„Einiges an Eskalationspotenzial“ – Hamburger Forscher zum Angriff auf ein Schiff der deutschen Hapag-Lloyd-Reederei
Der Beschuss eines deutschen Schiffes im Roten Meer verdeutlicht die Herausforderungen bei der Sicherung von Frachtschiffen vor Terrorgruppen. Die Professoren André Röhl und Marcel Schütz von der Northern Business School im Hamburg befassen sich mit Sicherheits- und Katastrophenfragen – eine Kurzeinschätzung zum jüngsten Vorfall.
Abermals wurde im Roten Meer ein Schiff angegriffen. Die „Al Jasrah“, unter liberianischer Flagge und im Besitz der deutschen Reederei Hapag-Lloyd, geriet in der Meerenge zwischen Jemen und Dschibuti unter Beschuss, was zu einem Feuer an Bord führte – ein erneuter Vorfall nach verschiedenen Angriffen auf Schiffe zuvor. Das Schiff konnte seine Reise nach Singapur fortsetzen, es blieb bei Sachschäden ohne Verletzte. Laut dem US-Verteidigungsministerium wurde das Geschoss aus jener Region im Jemen abgefeuert, die von der Terrorgruppe der Huthi-Miliz kontrolliert wird. Die erneute Attacke in der bedeutenden Meeresstraße von Bab el-Mandab erfolgte wohl im Zusammenhang mit der Unterstützung der Huthi-Rebellen gegenüber dem Iran und der radikalislamischen Hamas. Die Huthi-Miliz versucht, Schiffen mit einer Verbindung zu Israel, den Weg zu versperren.
Wie ist der Vorfall sicherheitspolitisch einzuordnen? Laut André Röhl, Professor für Sicherheitsmanagement an der NBS in Hamburg, „ist die aktuelle Situation tatsächlich herausfordernd und birgt einiges Eskalationspotenzial.“ Zwar besteht seit 2002 der International Ship and Port Facility Security Code (ISPS), der als Teil der Internationalen Richtlinien über die Seesicherheit (SOLAS) für die Weltschifffahrt verbindlich ist. Er entstand unter anderem als Reaktion auf die Terroranschläge von 11. September 2001. Der ISPS-Code sichert jedoch vorrangig die Hafengebiete gegen Terrorismus. „Die dazugehörigen Maßnahmen sind aber kaum für die Abwehr von Kriegswaffen geeignet“, bemerkt Sicherheitsexperte Röhl.
Auch die Begleitung von Schiffen durch Sicherheitsdienstleister gestaltet sich schwierig, insbesondere wenn es sich um deutsche Sicherheitsdienstleister handelt. Diese müssen sich einem Zulassungs- und Qualitätssicherungsverfahren unterziehen, das mit dem Problem verbunden ist, dass diese Dienstleister gegenüber Mitbewerbern anderer Nationen aufgrund von Auflagen benachteiligt werden. Röhl bemerkt grundsätzlich, „dass der Bewaffnung Grenzen gesetzt sind. Waffen, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, sind unzulässig. Daran halten sich natürlich keine Terroristen.“
Echten Schutz können nur die staatlichen Marinen bieten. Hier stellt sich jedoch die Frage, wer sich dafür verantwortlich sieht: der Eigentümer des Schiffes, der Eigentümer der Waren, das Herkunftsland der Besatzung, der Flaggenstaat? Außerdem gibt es das Problem, dass die von den Terroristen verwendeten Drohnen und Raketen vergleichsweise günstig zu haben sind, die Abfangraketen jedoch nicht.
Sein Hamburger Kollege, Marcel Schütz, Professor für Organisation, forscht zu Akut- und Katastrophenereignissen: „Es ist die eine Sache, wie man seitens der Sicherheitsbehörden und -dienste den Ernstfall plant – und die andere, wie es operativ funktioniert. Die Abstimmung zwischen verschiedenen Staaten, Behörden und Reedereien ist gerade auf See und in Krisengebieten alles andere als trivial“, sagt der Forscher, der gerade eine Studie über die Untersuchungen zur Estonia-Tragödie in der Ostsee, im Jahr 1994, abgeschlossen hat.
Natürlich haben derartige Zwischenfälle auch handfeste Folgen im Hinblick auf die wirtschaftliche Vulnerabilität. Die Meerenge Bab el-Mandeb verbindet das Rote Meer und den Golf von Aden. An der engsten Stelle sind es nur 29 Kilometer. Ein beträchtlicher Teil von Öl- und Gütertransporten von bis zu einer Billionen Dollar im Jahr wird hier verschifft.
Professor Röhl: „Ob gerade in Europa Reshoring-Prozesse, als die Rückverlagerung von Diensten und Prozessen in die sichere Heimat, in ausreichendem Maße durchgeführt werden, um die nötige ökonomische Resilienz gegenüber einer Unterbrechung wichtiger Handelswege aufzubauen, das ist, ehrlich gesagt, fraglich. Man sieht sich ja ohnehin in einer Polykrise.“ Viele Unternehmen haben unter dem Eindruck von Corona-Krise und Krieg zwar begonnen, geopolitischen Risiken, so gut es geht, logistisch und prozessual vorzubeugen, vieles davon ist aber noch nicht umgesetzt.
Organisationsforscher Schütz ergänzt: „Wenn es wirklich akut wird, wenn also Prozesse zum Erliegen kommen, dann ist es zu spät. Wenn man Lösungen aber von langer Hand planen muss, kommt es wiederholt zu Trägheit und Verzögerung. Es gibt immer etwas Wichtigeres. Organisationen fällt es gar nicht so leicht, sich langfristig auf kritische Eventualitäten einzustellen. Je dringlicher so ein Problem wird, desto eher werden aber natürlich Ressourcen mobilisiert. Man lernt aus Störungen und Defiziten – aber das geht nicht von jetzt auf gleich.“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. André Röhl (roehl@nbs.de)
Prof. Dr. Marcel Schütz (schuetz@nbs.de)