Grüße von der Insel der erhöhten Stabilität: Die Suche nach der Grenze des Periodensystems
Seit der Jahrtausendwende wurden sechs neue chemische Elemente entdeckt und in das Periodensystem der Elemente, das Symbol der Chemie schlechthin, aufgenommen. Diese neuen Elemente haben hohe Ordnungszahlen von bis zu 118 und sind deutlich schwerer als Uran, das Element mit der höchsten Ordnungszahl (92), das in größeren Mengen auf der Erde vorkommt. Dies wirft Fragen auf, unter anderem wie viele weitere dieser superschweren Spezies noch auf ihre Entdeckung warten, wo – wenn überhaupt – eine grundsätzliche Grenze für die Existenz dieser Elemente liegt und wie die sogenannte Insel der erhöhten Stabilität aussieht.
In einer kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit fassen Expert*innen für theoretische und experimentelle Chemie und Physik der schwersten Elemente und ihrer Kerne die wichtigsten Herausforderungen zusammen und bieten einen neuen Blick auf neue superschwere Elemente und die Grenzen des Periodensystems. Zu ihnen gehört auch Prof. Dr. Christoph Düllmann vom GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und dem Helmholtz-Institut Mainz (HIM). In seiner Februar-Ausgabe präsentiert das weltweit führende High-Impact-Journal Nature Reviews Physics das Thema als aktuelle Titelgeschichte.
Vorstellung einer „Insel der Stabilität“ aus superschweren Kernen
Bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde erkannt, dass die Masse der Atomkerne kleiner ist als die Gesamtmasse der darin enthaltenen Protonen und Neutronen. Dieser Massenunterschied ist für die Bindungsenergie der Kerne verantwortlich. Eine bestimmte Anzahl von Neutronen und Protonen führt zu einer stärkeren Bindung und wird als „magisch“ bezeichnet. Tatsächlich wurde schon früh erkannt, dass sich Protonen und Neutronen in einzelnen Schalen bewegen, die den elektronischen Schalen ähneln, wobei die Kerne des Metalls Blei die schwersten sind mit vollständig gefüllten Schalen. Sie enthalten 82 Protonen und 126 Neutronen – ein doppelt magischer Kern. Frühe theoretische Vorhersagen legten nahe, dass die zusätzliche Stabilität der nächsten „magischen“ Zahlen, weit von den damals bekannten Kernen entfernt, zu Lebensdauern führen könnte, die mit dem Alter der Erde vergleichbar sind. Dies führte zu der Vorstellung von einer „Insel der Stabilität“ aus superschweren Kernen, die durch ein Meer der Instabilität von Uran und seinen Nachbarn getrennt ist.
Zur „Insel der Stabilität“, die als weit entfernte Insel beschrieben wird, lassen sich viele grafische Darstellungen finden. Seit der Entstehung dieses prägnanten Bildes sind inzwischen viele Jahrzehnte vergangen, sodass es an der Zeit ist, einen neuen Blick auf die Stabilität der superschweren Kerne zu werfen und zu sehen, wohin die Reise zu den Grenzen von Masse und Ladung führen könnte. In dem jetzt veröffentlichten Paper mit dem Titel „The quest for superheavy elements and the limit of the periodic table“ beschreiben die Autor*innen den aktuellen Erkenntnisstand und die wichtigsten Herausforderungen auf dem Gebiet dieser Superheavies und stellen zentrale Überlegungen zur künftigen Entwicklung vor.
Experimentell wurden weltweit in Beschleunigeranlagen wie bei GSI in Darmstadt und künftig bei FAIR, dem dort entstehenden internationalen Beschleunigerzentrum, Elemente bis zum Oganesson (Element 118) hergestellt, benannt und in das Periodensystem der Elemente aufgenommen. Die neuen Elemente sind höchst instabil: Die schwersten bekannten zerfallen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, innerhalb von Sekundenbruchteilen. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass ihre Lebensdauer in Richtung der nächsten als magisch erwarteten Neutronenzahl 184 stark ansteigt – in Copernicium (Element 112), das bei GSI entdeckt wurde, beispielsweise von weniger als einer Tausendstelsekunde auf 30 Sekunden. Dabei ist die Neutronenzahl 184 jedoch noch lange nicht erreicht worden – die 30 Sekunden sind nur ein Schritt auf dem Weg. Eine vertiefte Analyse zeigt auch, dass die theoretische Beschreibung noch unbekannter Atomkerne mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Es gibt keinen Konsens darüber, wo die längsten Lebensdauern auftreten und auch nicht darüber, wie lange sie sein werden. Alle aktuellen Berechnungen deuteten aber darauf hin, dass wirklich stabile, superschwere Kerne nicht mehr zu erwarten sind.
Überarbeitung der Landkarte der superschweren Elemente
Dies führt zu einer Überarbeitung der Landkarte der superschweren Elemente in zweierlei Hinsicht: Wir sind tatsächlich an den Ufern der Region erhöhter Stabilität angekommen – das Konzept einer Insel erhöhter Stabilität ist also experimentell bestätigt. Wir wissen aber – um bei dem Bild zu bleiben – noch nicht, wie groß diese Region ist, wie lange die zu erwarteten Lebensdauern sein werden, wobei das Maß für die Stabilität oft durch die Höhe der Berge auf jener Insel dargestellt wird, und wo genau die längsten Lebensdauern auftreten. Der Artikel in Nature Reviews Physics erörtert verschiedene Aspekte der einschlägigen Kern- und Elektronenstrukturtheorie: die Synthese und den Nachweis von superschweren Kernen und Atomen im Labor oder bei astrophysikalischen Ereignissen, ihre Struktur und Stabilität sowie die Position der derzeitigen und erwarteten superschweren Elemente im Periodensystem.
Die detaillierte Untersuchung der superschweren Elemente ist weiterhin eine wichtige Säule des Forschungsprogramms bei GSI/FAIR, unterstützt durch die Infrastruktur und Expertise des Helmholtz-Instituts Mainz und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die in einem schlagkräftigen Verbund einen einzigartigen Rahmen für solche Studien bilden. In den letzten zehn Jahren wurden mehrere bahnbrechende Ergebnisse erzielt, darunter detaillierte Untersuchungen der Produktion dieser Elemente im Labor, die zur Bestätigung des Elements 117 und zur Entdeckung des mit mehreren Stunden vergleichsweise langlebigen Isotops Lawrencium-266 führten, ihrer Kernstruktur mittels verschiedener experimenteller Techniken, der Struktur ihrer Atomhüllen sowie ihrer chemischen Eigenschaften, wobei Flerovium (Element 114) das schwerste Element darstellt, für das chemische Daten vorliegen. Berechnungen zur Produktion im Kosmos, vor allem bei der Verschmelzung zweier Neutronensterne, wie sie 2017 erstmals experimentell beobachtet wurde, runden das Forschungsportfolio ab. Künftig könnte die Untersuchung der superschweren Elemente dank einem neuen in Planung befindlichen Linearbeschleuniger HELIAC, für welchen jüngst das erste Modul am HIM zusammengebaut und anschließend in Darmstadt erfolgreich getestet wurde, noch effizienter erfolgen, sodass auch weitere, noch exotischere und damit vermutlich auch langlebigere Kerne experimentell erreichbar sein werden. Eine Übersicht über die Elemententdeckungen und erstmalige chemische Untersuchungen einiger Elemente, die bei GSI erfolgten, findet sich in dem Beitrag „Five decades of GSI superheavy element discoveries and chemical investigation“ vom Mai 2022.
Gemeinsame Pressemitteilung des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, des Helmholtz-Instituts Mainz und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1038/s42254-023-00668-y
Weitere Informationen:
https://www.gsi.de/start/aktuelles/detailseite/2024/02/13/she-overview-2024