Potenziale & Herausforderungen: Neue Publikation veranschaulicht die Vielfalt der Bevölkerung mit Migrationshintergrund
In Deutschland leben rund 24 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Mit einem Anteil von 29 Prozent an der Gesamtbevölkerung sind sie ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und einer alternden Gesellschaft kommt dieser Bevölkerungsgruppe auf Grund ihrer relativ jungen Altersstruktur eine bedeutende Rolle zu. Eine neue Publikation des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigt jetzt anschaulich anhand vieler Bevölkerungspyramiden, welche Potenziale Menschen mit Migrationshintergrund für die Gesellschaft in Deutschland bieten und welche Herausforderungen es gibt.
Basierend auf Auswertungen des Mikrozensus zeigen die neuen Analysen, wie sich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Hinblick auf Merkmale wie Familienstand, Schulbildung oder Erwerbsbeteiligung in den letzten beiden Jahrzehnten verändert hat. Der Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund verdeutlicht, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen Gruppen bestehen und welche Potenziale und Herausforderungen Zuwanderung mit sich bringt. So bleibt die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere von Frauen, hinter dem Niveau der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zurück, obwohl diese Gruppe durch ihre relativ junge Altersstruktur und ihre steigende Bildungsbeteiligung prinzipiell gute Voraussetzung für eine Integration in den Arbeitsmarkt hat.
„Der demografische Wandel und die Alterung der Gesellschaft stellen den Arbeitsmarkt schon jetzt vor große Herausforderungen. Um diesen zu begegnen, gilt es, die vielfältigen Potenziale von Menschen mit Migrationshintergrund bestmöglich zu nutzen.“ [Dr. Nikola Sander, Studienleiterin und Forschungsdirektorin am BiB]
Um die Potenziale der Menschen mit Migrationshintergrund in Zeiten des demografischen Wandels zu nutzen, gilt es, ihre Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt, den Spracherwerb sowie den Zugang zu frühkindlicher, schulischer und beruflicher Bildung aktiv zu fördern und nachhaltig zu gestalten.
Ein Ausbau der frühkindlichen Bildung würde sowohl den Spracherwerb als auch die Integration der Kinder sowie deren Eltern fördern. Gleichzeitig könnte eine stärkere Nutzung von institutionellen Betreuungsangeboten insbesondere Mütter von der Sorgearbeit entlasten und ihren Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Weitere Anstrengungen im Hinblick auf die Sprachförderung Jugendlicher und Erwachsener sowie die Anerkennung ausländischer Abschlüsse können sich ebenfalls positiv auf die Bildungs- und Erwerbsbeteiligung auswirken.
Im Fokus: Potenziale bei Bildung und Erwerbsbeteiligung
Bildung gilt als wesentlicher Schlüssel zur Teilhabe an der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt, zudem kann sie die Gesundheit und die Lebenserwartung positiv beeinflussen. Die Bevölkerungspyramide zeigt, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund 2022 eine höhere Bildungsbeteiligung haben als 2013. Sie liegt aber immer noch unter den Vergleichswerten der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund:
- Kinder unter drei Jahren mit Migrationshintergrund besuchen seltener eine Bildungs- und Betreuungseinrichtung als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Mit zunehmendem Alter steigt ihr Anteil an und erreicht mit fünf Jahren 82 Prozent (2022).
- Bei Jugendlichen im Alter von 15 Jahren zeigt sich ein Trend zu höherwertigen Schulabschlüssen, insbesondere bei Mädchen mit Migrationshintergrund: Zwischen 2013 und 2022 stieg der Anteil von Gymnasiastinnen von 30 auf 38 Prozent. Bei gleichaltrigen Mädchen ohne Migrationshintergrund liegt der Vergleichswert für 2022 mit 47 Prozent allerdings noch höher. Ähnliche Unterschiede zeigen sich für männliche Jugendliche, wenn auch auf niedrigerem Niveau.
- Die Hochschulbeteiligung ist über die letzten Jahre bei beiden Geschlechtern gestiegen, wobei sie bei Frauen höher ist als bei den Männern. 36 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund besuchen im Alter von 20 Jahren eine Hochschule, bei Frauen mit Migrationshintergrund sind es mit 30 Prozent etwas weniger.
„Ein unterstützendes und durchlässiges Bildungsangebot von Anfang an ist eine wichtige Voraussetzung, um Bildungspotenziale zu heben und daraus den Bedarf an Arbeitskräften zu decken.“ [Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB und Mitautorin der Studie]
Der Schulabschluss gilt unter anderem als Messwert für die späteren beruflichen Abschlüsse sowie für die künftige Arbeitsmarktteilhabe. Bei den 25-Jährigen mit Migrationshintergrund zeigt die Bevölkerungspyramide sowohl eine steigende Zahl von Abiturientinnen und Abiturienten als auch eine steigende Zahl von Personen ohne Abschluss:
- 46 Prozent der 25-jährigen Männer und 59 Prozent der Frauen im gleichen Alter mit Migrationshintergrund haben in 2022 die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und damit die Berechtigung für einen Hochschulbesuch erworben. Im Vergleich zu 2013 ist der Anteil bei den Männern um 6 Prozentpunkte und bei den Frauen sogar um 10 Prozentpunkte angestiegen. Gleichaltrige beider Geschlechter ohne Migrationshintergrund kommen allerdings noch immer auf einen knapp zehn Prozentpunkte höheren Anteil.
- Im Jahr 2022 konnten bei den 25-Jährigen ohne Migrationshintergrund 3 Prozent der Männer und 2 Prozent der Frauen keinen Schulabschluss vorweisen. Bei Gleichaltrigen mit Migrationshintergrund lagen die Vergleichswerte mit 12 Prozent (Männer) beziehungsweise 10 Prozent (Frauen) deutlich höher. Im Jahr 2013 hatte diese Quote in beiden Gruppen noch bei jeweils 6 Prozent gelegen.
„Es bedarf weiterer Anstrengungen, damit mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund einen Schulabschluss erzielen.“ [Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB und Mitautorin der Studie]
Die Ausübung einer Erwerbsarbeit ist eine wichtige Voraussetzung für die soziale und wirtschaftliche Integration. Außerdem spielt sie eine Rolle für die individuelle finanzielle Unabhängigkeit. Teilzeit- und Vollzeitquoten sind gute Kennzahlen, um die Erwerbsbeteiligung der Bevölkerungen mit und ohne Migrationshintergrund abzubilden:
- Zwischen 2013 und 2022 hat sich die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund um gut drei Prozentpunkte erhöht. In der für den Arbeitsmarkt besonders relevanten Altersgruppe der 15- bis unter 65-Jährigen sind im Jahr 2022 75 Prozent der Männer und 62 Prozent der Frauen einer Erwerbsarbeit nachgegangen.
- Männer und Frauen ohne Migrationshintergrund sind häufiger erwerbstätig als jene mit Migrationshintergrund: Bei den 15- bis unter 65-jährigen Männern sind es acht Prozentpunkte mehr, bei Frauen sogar 17 Prozentpunkte.
- Deutliche Unterschiede zeigen sich bei der Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung zwischen den Geschlechtern unabhängig vom Migrationshintergrund: Im Jahr 2022 waren 88 Prozent der erwerbstätigen Männer und lediglich 52 Prozent der erwerbstätigen Frauen mit Migrationshintergrund in Vollzeit tätig. Bei Personen ohne Migrationshintergrund sind es 90 Prozent (Männer) und 52 Prozent (Frauen).
„Unsere Bevölkerungspyramide zeigt eindrücklich das große Potenzial der Bevölkerung mit Migrationshintergrund - und hier insbesondere von Frauen - für eine höhere Erwerbsbeteiligung.“ [Sophie Straub, Wissenschaftlerin am BiB und Mitautorin der Studie]
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. C. Katharina Spieß
C.Katharina.Spiess@bib.bund.de
Dr. Nikola Sander
Nikola.Sander@bib.bund.de
Sophie Sraub
Sophie.Straub@bib.bund.de
Originalpublikation:
Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund neu entdecken / hrsg. v. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). Wiesbaden, 2024
DOI: 10.12765/bro-2024-01