Deutschkenntnisse von Geflüchteten: Frauen sind mehrfach benachteiligt
Mit zunehmender Aufenthaltsdauer in Deutschland verbessern sich die Deutschkenntnisse der Geflüchteten – allerdings mit deutlichen Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Wie lassen sich die geringeren Deutschkenntnisse von geflüchteten Frauen erklären? Mit der Kurzanalyse „Deutschkenntnisse von geflüchteten Frauen und Männern“ untersucht das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) die Entwicklung des Spracherwerbs von Geflüchteten, analysiert die Hintergründe von Geschlechterunterschieden und zeigt mögliche Handlungsoptionen auf.
Im Unterschied zu anderen Migrationsgruppen sind bei geflüchteten Frauen und Männern Vorbereitungen auf das Leben im Einreiseland und damit auch die Aneignung von Sprachkenntnissen in der Regel kaum möglich. Dementsprechend haben Geflüchtete zum Zeitpunkt ihrer Einreise zumeist nur sehr wenige Deutschkenntnisse, ungeachtet ihres Geschlechts. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer kommt es zu einer bemerkenswerten Verbesserung der durchschnittlichen Deutschkenntnisse, allerdings sind hierbei deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beobachten. Bereits ab dem zweiten Jahr nach der Ankunft in Deutschland weisen geflüchtete Frauen im Durchschnitt schwächere Deutschkenntnisse auf als geflüchtete Männer.
„Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang von einer mehrfachen Benachteiligung von geflüchteten Frauen, die unsere Analysen bestätigen. Neben den Herausforderungen der Migration und den besonderen Bedingungen der Fluchterfahrungen stehen geflüchtete Frauen zusätzlich geschlechtsspezifischen Anforderungen gegenüber“, so Dr. Jan Eckhard, wissenschaftlicher Mitarbeiter im BAMF-FZ.
Einfluss der Elternschaft auf Spracherwerb
Insbesondere geflüchtete Frauen mit kleinen Kindern weisen auch bei fortgeschrittener Aufenthaltsdauer in Deutschland deutlich geringere Deutschkenntnisse auf als geflüchtete Männer. Das Zusammenleben mit Kindern wirkt sich bei geflüchteten Frauen und Männern unterschiedlich auf den Erwerb von Sprachkenntnissen aus: Ein Zusammenhang zwischen Elternschaft und Deutschkenntnissen ist bei geflüchteten Männern nicht zu beobachten, wohingegen die umfangreiche Einbindung geflüchteter Frauen in die Kinderbetreuung maßgeblich zu einer langsameren Progression ihres Spracherwerbs beiträgt.
Kein Integrationskurs heißt langsamerer Spracherwerb
Eine wichtige Bedeutung kommt auch den Integrations- und Sprachkursen zu, an welchen geflüchtete Frauen seltener teilnehmen als Männer. In der Gruppe der Frauen mit kleinen Kindern erweist sich deren niedrigere Rate der Integrationskursteilnahme sogar als der bedeutsamste Erklärungsfaktor für die vergleichsweise langsamere Entwicklung der Deutschkenntnisse. „Wenn dann noch seltenere Kontakte zu Deutschen und eine geringere Erwerbsbeteiligung dazukommen, sind die schwächeren Deutschkenntnisse von geflüchteten Frauen im Vergleich zu den Männern nicht verwunderlich“, sagt Dr. Jan Eckhard.
Mehr Angebote im Bereich der Kinderbetreuung können dazu beitragen, dass mehr geflüchtete Frauen einen Integrations- oder Sprachkurs besuchen. Die Förderung von sozialen Kontakten durch beispielsweise Mentoring-Programme kann den Spracherwerb zusätzlich beschleunigen.
Geschlechtsspezifische Disparitäten schon im Herkunftsland
Auch tragen fehlende Zugangsmöglichkeiten zu Bildung im jeweiligen Herkunftsland dazu bei, dass bereits zum Zeitpunkt der Einreise Disparitäten in der Ausgangslage von geflüchteten Männern und Frauen bestehen. So verfügen geflüchtete Frauen seltener über mittlere oder höhere Bildungsabschlüsse und ihnen fehlen häufiger als geflüchteten Männern ausreichende Schreib- und Lesekompetenzen auch in ihrer Erstsprache. „Unterstützungsinitiativen sollten daher nach Möglichkeit auch auf Personen mit fehlenden Lese- und Schreibkompetenzen zugeschnitten, entsprechende Maßnahmen auch für Personen mit wenig Bildungserfahrung verständlich und zugänglich sein“, so Dr. Jan Eckhard.
Fazit
Neben den grundsätzlichen Herausforderungen der Migration und den besonderen Bedingungen der Fluchterfahrung sind geflüchtete Frauen auch mit geschlechtsbezogenen Anforderungen konfrontiert. Im Vergleich zu geflüchteten Männern wenden sie mehr Zeit für familienbezogene Aufgaben und Hausarbeit auf, sind seltener erwerbstätig und verbringen weniger Zeit mit Deutschen. Zudem fehlt ihnen in den Herkunftsländern häufiger der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten, so dass für geflüchtete Frauen bereits zum Zeitpunkt der Einreise schlechtere Ausgangsbedingungen des Sprachen-Lernens bestehen.
„Die mehrfache Benachteiligung von geflüchteten Frauen erklärt, weshalb sie den Männern beim Spracherwerb nachstehen“, sagt Dr. Jan Eckhard.
Die Kurzanalyse des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) basiert auf der Datengrundlage der ersten sechs Erhebungswellen der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten, die in den Jahren 2016 bis 2021 nach Deutschland eingereist sind, und untersucht Geschlechterdifferenzen beim Erwerb von Deutschkenntnissen von Geflüchteten. Die Untersuchung der Deutschkenntnisse beruht auf Selbsteinschätzungen der Befragten in den Sprachbereichen Sprechen, Lesen und Schreiben. Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten ist eine jährliche Erhebung, bei der die Studienteilnehmenden wiederholt befragt werden. Die Studie wird seit 2016 als gemeinsames Kooperationsprojekt des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), des Forschungszentrums im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung durchgeführt.
Die Publikation finden Sie hier: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse1-2024-iab-bamf-soep-geschlechterunterschiede-deutschkenntnisse.html?nn=282772
Weiterführende Informationen zum Projekt IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten:
https://www.bamf.de/SharedDocs/ProjekteReportagen/DE/Forschung/Integration/iab-bamf-soep-befragung-gefluechtete.html?nn=404000
Ansprechpartner für Medienanfragen:
Jochen Hövekenmeier
Pressestelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Telefon: +49 911 943 17799
E-Mail: pressestelle@bamf.bund.de
Über das BAMF-Forschungszentrum:
Mit der Arbeit des 2005 gegründeten Forschungszentrums kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seiner gesetzlichen Aufgabe nach, wissenschaftliche Forschung zu Migrations- und Integrationsthemen zu betreiben. Das Forschungszentrum betrachtet das Migrationsgeschehen nach und von Deutschland und analysiert die Auswirkungen der Zuwanderung. Es begleitet Integrationsprozesse und trägt mit seinen Erkenntnissen entscheidend zur Weiterentwicklung von Integrationsmaßnahmen auf Bundesebene bei. Weitere Forschungsschwerpunkte sind u. a. Erwerbs- und Bildungsmigration, Fluchtmigration, Rückkehr und sicherheitsrelevante Aspekte der Zuwanderung. Damit leistet das BAMF-Forschungszentrum einen grundlegenden Beitrag zum Informationstransfer zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Weitere Informationen unter: www.bamf.de/DE/Themen/Forschung/forschung-node.html
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Jan Eckhard, Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Originalpublikation:
Eckhard, J. (2024). Deutschkenntnisse von geflüchteten Frauen und Männern: Entwicklung, Unterschiede und Hintergründe (Kurzanalyse 01|2024). Nürnberg. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. https://doi.org/10.48570/bamf.fz.ka.01/2024.d.2024.geschlechterunterschiedsprache.1.0