Ein neuer Kanal für Berührung
Der Tastsinn ist elementar für uns – und trotzdem kaum verstanden. Jetzt hat das Team um Gary Lewin am Max Delbrück Center einen zweiten Ionenkanal entdeckt, der mit der Wahrnehmung von Berührung zu tun hat. Elkin1 könne ein Angriffspunkt für die Schmerztherapie sein, schreibt das Team in „Science“.
Jede Umarmung, jeder Händedruck, jede geschickte Bewegung macht erst der Tastsinn möglich. Die molekularen Grundlagen dieses Sinnes zu verstehen, ist dementsprechend wichtig. „Bislang wussten wir nur, dass der Ionenkanal Piezo2 dafür nötig ist. Aber dieses Protein allein kann nicht die gesamte Bandbreite, wie wir Berührung spüren, erklären. Das war ganz klar“, sagt Professor Gary Lewin, der Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung“ am Max Delbrück Center.
Lewin erforscht seit über 20 Jahren die molekularen Grundlagen des Tastsinns. Jetzt hat er gemeinsam mit seinem Team einen Ionenkanal entdeckt, der dafür unverzichtbar ist: Elkin1. Es ist erst der zweite Ionenkanal, der mit der Wahrnehmung von Berührungen in Verbindung gebracht wird. Sehr wahrscheinlich ist er direkt daran beteiligt, einen mechanischen Reiz wie eine leichte Berührung in ein elektrisches Signal umzuwandeln. Mithilfe von Elkin1 können die Rezeptoren in der Haut die Berührungssignale über die Nervenfasern ans zentrale Nervensystem und ans Gehirn weiterleiten. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Forschenden im Fachmagazin „Science“.
Vor wenigen Jahren hat das Team um Lewin Elkin1 bei Zellen mit schwarzem Hautkrebs, also malignem Melanom, entdeckt. Die stark streuenden Krebszellen nutzen das Protein, um mechanische Kräfte zu erkennen. „Nun wollten wir wissen, ob das gleiche Protein bei gesunden sensorischen Zellen ebenfalls eine Rolle bei der Wahrnehmung von Berührung spielt“, sagt Lewin.
Verminderte Reizwahrnehmung ohne Eklin1
Dafür züchteten die Forschenden zunächst genetisch veränderte Mäuse, denen das Gen für Elkin1 fehlte. In einfachen Verhaltensexperimenten reizten sie die Nager mit einem Wattestäbchen leicht an der Hinterpfote. „Normalerweise reagieren Mäuse in 90 Prozent der Fälle auf das Wattestäbchen. Mäuse ohne Elkin1 ziehen im Gegensatz dazu nur jedes zweite Mal die Pfote zurück. Das deutet darauf hin, dass sie Berührung schlechter wahrnehmen“, sagt Lewin. Die Reaktion auf nicht-mechanische Reize, beispielsweise auf Wärme, war dagegen nicht beeinträchtigt.
Auf der Ebene der Nervenzellen nutzte Dr. Sampurna Chakrabarti, Wissenschaftlerin in Lewins Team, die Patch-Clamp-Methode. So konnte sie die elektrische Aktivität der sensorischen Neuronen aufzeichnen, wenn sie ihre Membran anstupste. „Rund die Hälfte der Neuronen von veränderten Mäusen ohne Elkin1 reagierte nicht auf mechanische Reize und es kam nicht zur Signalweiterleitung“, sagt Chakrabarti. Weitere Experimente bestätigten, dass bereits auf dem ersten Stück des Weges von der Haut ins Rückenmark und Gehirn keine Reize weitergeleitet wurden, also vom Rezeptorende der Nervenzelle in der Haut aus. Australische Kolleg*innen um Professorin Mirella Dottori an der University of Wollongong testeten außerdem, ob menschliche sensorische Neuronen, die sie in der Kulturschale aus Stammzellen gezüchtet hatten, Elkin1 brauchen, um Berührungssignale zu übertragen. Ihre Ergebnisse lassen ebenfalls darauf schließen, dass Eklin1 für den menschlichen Tastsinn eine wichtige Rolle spielt.
Die Forschenden gehen davon aus, dass Elkin1 und Piezo2 bei der normalen Reizweiterleitung gemeinsame Aufgaben bei der Wahrnehmung von Berührungen übernehmen. Sie haben außerdem Hinweise darauf gefunden, dass Elkin1 bei der Weiterleitung von schmerzhaften mechanischen Reizen eine Rolle spielen könnte. „Sollte sich das bestätigen, haben wir nicht nur einen zweiten Ionenkanal entdeckt, der unverzichtbar ist für einen normalen Tastsinn. Das wäre auch ein neuer möglicher Angriffspunkt für die Behandlung von chronischen Schmerzen“, sagt Lewin.
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Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center) gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 70 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organ-übergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das Max Delbrück Center fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am Max Delbrück Center arbeiten 1800 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete Max Delbrück Center zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.
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Originalpublikation:
Sampurna Chakrabarti et al. (2024): “Touch sensation requires the mechanically-gated ion channel Elkin1”; Science, DOI: 10.1126/science.adl0495
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