Effiziente Arzneimittelentwicklung mit KI: Plattform Lernende Systeme zeigt Potenziale und Herausforderungen
Künstliche Intelligenz (KI) kann die Entwicklung von Arzneimitteln beschleunigen und personalisierte Medizin in der Breite fördern. So können bessere und individualisierte Medikamente kostengünstiger auf den Markt gebracht werden. Bevor die Bevölkerung von günstigeren und innovativen Medikamenten profitieren kann, müssen jedoch ausreichend hochwertige Patientendaten für die Forschung zugänglich gemacht und ein rechtssicherer regulatorischer Rahmen geschaffen werden. Ein aktuelles Whitepaper der Plattform Lernende Systeme zeigt anhand von Praxisbeispielen die Potenziale von KI in der Arzneimittelentwicklung und adressiert Gestaltungoptionen, wie bestehende Hürden überwunden werden können.
In Deutschland wird bei jedem Arztbesuch durchschnittlich ein Arzneimittel verordnet. Arzneimittel bilden den drittgrößten Posten der deutschen Gesundheitsausgaben. Doch ihre Entwicklung wird immer teurer und zeitintensiver. Bis zur Markteinführung eines Medikaments dauert es etwa zwölf Jahre bei durchschnittlichen Gesamtkosten von etwa 2,8 Milliarden US-Dollar. Die Gründe hierfür sind vor allem die immer komplexer werdenden Produkte und Studiendesigns, die steigenden Anforderungen für Dokumentation und Sicherheit während der Entwicklung und die aufwändige Rekrutierung von Teilnehmenden für klinische Studien. Die Entwicklung neuer Wirkstoffe ist in vielen Fällen, wie etwa bei Antibiotika, nicht mehr rentabel – zum Nachteil der Gesundheitsversorgung.
Personalisierte Krebstherapien und innovative Wirkstoffe
Der Prozess der Arzneimittelentwicklung von der ersten Idee bis zur Zulassung könne mit dem Einsatz von KI effizienter gestaltet werden und biete die Möglichkeit, jahrelange Arbeit und kostspielige Investitionen einzusparen, heißt es im Whitepaper „Arzneimittel mit KI entwickeln“. Mithilfe von KI können riesige Datenmengen systematisch analysiert und umfangreiches Wissen schnell ausgewertet werden. Auf diese Weise lassen sich geeignete Wirkstoffziele und -kandidaten in kurzer Zeit finden, bessere Vorhersagen zu Nebenwirkungen der Arzneimittel treffen und die chemische Synthese, also die Herstellung des Wirkstoffs, optimieren. Auch bei Auswahl und Monitoring der Probanden für klinische Studien und der Zulassung kann KI unterstützen. Die KI-basierte Datenanalyse ermöglicht auch die Entwicklung personalisierter Therapien etwa zu Behandlung von Krebs, die auf das individuelle Krankheitsbild der betroffenen Person abgestimmt sind.
Die Autorinnen und Autoren des Whitepapers benennen auch die Herausforderungen auf dem Weg zu einer KI-basierten Arzneimittelforschung. So müssen für den KI-Einsatz große Mengen hochwertiger Daten zu Wirkstoffen verfügbar sein. Dies setzt allerdings die Bereitschaft der forschenden Unternehmen zur Datenteilung voraus. Lücken bestehen insbesondere in der Datenbasis zur menschlichen Biologie, zum Beispiel zu Krankheitsmechanismen und der Wirkung von Arzneimitteln. Diese könnte mit qualitativ hochwertigen Daten der Bevölkerung geschlossen werden, die über die elektronische Patientenakte oder die Krankenkassen bereitgestellt werden. Die KI-Analyse der Patientendaten erlaubt etwa Aussagen zur Wirksamkeit und den Nebenwirkungen von Arzneimitteln sowie personalisierte Behandlungsempfehlungen.
Aktuell gibt es sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene Vorhaben zur Steigerung der Datenverfügbarkeit, etwa in Form des Verordnungsentwurfs zum European Health Data Space (EHDS) sowie dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) in Deutschland. Dadurch sollen Gesundheitsdaten für Forschungszwecke auch für die Industrie zugänglich gemacht werden. Die Expertinnen und Experten der Plattform Lernende Systeme empfehlen, die gesteigerte Datenverfügbarkeit nicht durch regulatorische Einschränkungen bei der KI-gestützten Forschung zu torpedieren.
Zulassung braucht verbindliche Standards und Transparenz
Der KI-Einsatz in der Wirkstoffentwicklung muss auch bei der Zulassung und Erstattung von Arzneimitteln berücksichtigt werden. Die Ergebnisse der KI-Datenanalyse müssen nachvollziehbar und KI-basierte Aussagen zu medizinischen Aspekten klar belegbar sein. Regulatorische Prozesse sind entsprechend anzupassen. KI nutzt nicht nur Daten aus klassischen Studien, sondern auch synthetisch generierte Daten. Notwendig sind verbindliche Standards für die Prüfung und Gültigkeit von KI-basierten Daten im Rahmen der Zulassung.
Die Anwendung von KI-Methoden in der Arzneimittelentwicklung bedeutet auch, dass in kürzerer Zeit mehr Zulassungsanträge für neue Medikamente bei den Behörden gestellt werden. KI könne aber auch auf Seiten der Zulassungsbehörden dazu beitragen, Prozesse zu beschleunigen, um mit dem gesteigerten Entwicklungstempo Schritt zu halten, heißt es im Whitepaper.
Über das Whitepaper
Das Whitepaper „Arzneimittel mit KI entwickeln: Von der Idee bis zur Zulassung. Anwendungen, Potenziale und Herausforderungen“ wurde von Mitgliedern der Arbeitsgruppe Gesundheit, Medizintechnik, Pflege der Plattform Lernende Systeme verfasst. Es steht zum kostenfreien Download zur Verfügung.
Über die Plattform Lernende Systeme
Die Plattform Lernende Systeme ist ein Netzwerk von Expertinnen und Experten zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Sie bündelt vorhandenes Fachwissen und fördert als unabhängiger Makler den interdisziplinären Austausch und gesellschaftlichen Dialog. Die knapp 200 Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln in Arbeitsgruppen Positionen zu Chancen und Herausforderungen von KI und benennen Handlungsoptionen für ihre verantwortliche Gestaltung. Damit unterstützen sie den Weg Deutschlands zu einem führenden Anbieter von vertrauenswürdiger KI sowie den Einsatz der Schlüsseltechnologie in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Plattform Lernende Systeme wurde 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anregung von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften gegründet und wird von einem Lenkungskreis gesteuert. Die Leitung der Plattform liegt bei Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (BMBF) und Jan Wörner (acatech).
Weitere Informationen:
https://www.plattform-lernende-systeme.de/files/Downloads/Publikationen/AG6_WP_Wirkstoffforschung_2024.pdf Download des Whitepapers