Passauer Team erforscht ungewollte Folgen der Regulierung digitaler Märkte
Wie wirksam ist Interoperabilität zwischen Messenger-Diensten? Fördert das wirklich Wettbewerb und Innovation? Unter anderem diese Fragen untersucht ein Team der Universität Passau unter der Leitung des Wirtschaftsinformatikers Prof. Dr. Jan Krämer im Rahmen eines neuen bidt-Projekts.
Der Digital Markets Act (DMA) gibt digitalen Gatekeepern mit viel Marktmacht wie Meta, Google und Apple spezifische Verhaltensvorschriften vor, die Wettbewerb und Innovation in digitalen Märkten fördern sollen. Beispielsweise müssen große Messenger-Dienste in Zukunft interoperabel sein, also auch Kommunikation mit kleineren Diensten ermöglichen. Das trifft den Konzern Meta, der für seinen Messenger-Dienst Whatsapp und Facebook Messenger eine Schnittstelle schaffen muss, damit auch Nutzerinnen und Nutzer kleinerer Dienste an Gruppenchats teilhaben können.
Aber wie wirksam ist diese Vorschrift? Und welche Grundsätze braucht es, um aktuelle Fälle in digitalen Märkten effizient zu behandeln und gleichzeitig langfristig klug zu regulieren? Diese Fragen untersucht ein interdisziplinäres Forschungsteam im Rahmen eines neuen Projekts des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unter der Koordination von Prof. Dr. Tobas Kretschmer von der Ludwig-Maximilians-Universität München. An dem Vorhaben mit dem Titel „Resiliente Regulierung für digitale Märkte (RESREG)“, das rechtliche, strategische und informationstechnische Perspektiven vereint, sind auch Forschende der Universität Passau unter der Leitung des Wirtschaftsinformatikers Prof. Dr. Jan Krämer beteiligt. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Es ist eines von vier interdisziplinären Forschungsvorhaben, die aus 39 Bewerbungen in einem zweistufigen Auswahl- und Begutachtungsverfahren ausgewählt wurden.
Interoperabilität könnte negative Folgen haben
„Der DMA versucht langwierige Wettbewerbsverfahren zu umgehen, indem das Gesetz sehr spezifische Do’s und Don‘ts für digitale Gatekeeper vorgibt“, sagt Prof. Dr. Krämer. „Allerdings haben diese konkreten Vorgaben einen Preis, denn es stellt sich die Frage, ob die Regulierung resilient gegenüber dem rasant fortschreitenden technischen Fortschritt in digitalen Märkten ist und welche Auswirkungen dies langfristig hat.“
Im Projekt konzentriert sich das Team auf die Interoperabilität zwischen Messengern. Die Annahme im DMA ist, dass dies Netzwerkeffekte reduziert, Zutrittsschranken zum Markt abbaut und erst einmal gut für den Wettbewerb ist. Doch in einer Studie des Brüsseler Think Tanks „Centre on Regulation in Europe (CERRE)“ kommen Prof. Dr. Krämer und andere Forschende zu dem Schluss, dass dem womöglich gar nicht so ist. Ein Grund ist das sogenannte Multi-Homing, also die Option, mehrere Messenger auf dem Handy zu installieren. Interoperabilität würde dazu führen, dass Nutzerinnen und Nutzer sich den kleineren Messenger-Dienst gar nicht mehr installieren würden. Denn sie hätten ja auch von dem größeren Anbieter aus Zugriff. „Das heißt, der kleine Wettbewerber verliert den direkten Kundenzugang. Das würde sich langfristig schädlich auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken“, sagt Prof. Dr. Krämer.
Darüber hinaus untersucht sein Team, wie sich Interoperabilität auf Innovation auswirkt. Hätte der kleinere Wettbewerber überhaupt noch Anreiz zur Innovation, wenn er davon lebt, dass er Zugriff auf die Nutzerinnen und Nutzer der größeren Plattform hat? Welche Dynamiken spielen hier eine Rolle? Wie können technische Standards entwickelt werden, die resilient und gleichzeitig innovations- und wettbewerbsfördern sind? Um dies zu erforschen, arbeiten die Forschenden mit Methoden aus der Spieltheorie und Laborexperimenten.
Forschung zur digitalen Plattform-Ökonomie
Das Team um Prof. Dr. Krämer kann dazu auf bestehende Expertise an der Universität Passau zurückgreifen: Der Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt auf Internet- und Telekommunikationswirtschaft erforscht seit Jahren alte und neue Monopole. Als Academic Co-Director des Brüsseler Think Tanks CERRE berät er die europäische Politik zu Fragen der Regulierung der Internet-Giganten. Zudem ist der Wirtschaftsinformatiker Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs 2720 „Digital Platform Ecosystems (DPE)“, das sich unter anderem mit den Folgen der digitalen Plattform-Ökosysteme für ordnungspolitische Entwicklungen befasst.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jan Krämer
Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Internet- und Telekommunikationswirtschaft
Dr.-Hans-Kapfinger-Str. 12
94032 Passau
Mail: Jan.Kraemer@uni-passau.de
Website: https://ibusiness.uni-passau.de
Weitere Informationen:
https://www.bidt.digital/forschungsprojekt/resiliente-regulierung-fuer-digitale-maerkte/ • Projektbeschreibung des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt)
https://cerre.eu/wp-content/uploads/2022/03/220321_CERRE_Report_Interoperability-in-Digital-Markets_FINAL.pdf CERRE-Studie zu horizontaler und vertikaler Interoperabilität
https://www.dpe.uni-passau.de/en/ DFG-Graduiertenkolleg 2720 „Digital Platform Ecosystems (DPE)“ an der Universität Passau