Die sozialen Aspekte von Baulücken
Die Bekämpfung von Leerstand und die Nachverdichtung von Orten im ländlichen Raum rücken insbesondere die bestehenden Baulücken in den Fokus. Ein Forschungsprojekt der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) untersuchte anhand von drei Gemeinden in Franken (Bayern) die gesellschaftlichen Aspekte, die der Innenentwicklung im Wege stehen, und gibt praxisorientierte Handlungsempfehlungen.
Die Europäische Union und die Bundesregierung streben bis 2050 einen Netto-Null-Flächenverbrauch an. Das heißt, keine weiteren Flächen sollen netto für Siedlungs- und Verkehrszwecke beansprucht werden. Bis 2030 soll der Flächenverbrauch in Deutschland auf weniger als 30 Hektar pro Tag sinken. Die Innenentwicklung, also die nachhaltige Nutzung bereits bebauter oder brachliegender Flächen, ist ein zentraler Bestandteil dieses Vorhabens. Besonders in ländlichen Regionen sind die sogenannten „Baulücken“ von Bedeutung. Eine dreijährige HSWT-Studie unter Leitung von Prof. Dr. Jennifer Gerend und Marina Beck analysierte, warum Eigentümer:innen diese Flächen nicht entwickeln haben.
Vermehrt „Enkelgrundstücke“ und Grünflächen
In ihrer Studie unterschieden die Forscherinnen zwischen vier Siedlungstypen: historische Ortskerne, Nachkriegssiedlungen, 1980-90er Jahre-Siedlungen und Neubaugebiete ab dem Jahr 2000. Anonym befragt wurden 1.417 Eigentümer:innen in den Kommunen Wolframs-Eschenbach, Neusitz und Uehlfeld zu ihrer Sichtweise zu Privateigentum und zur Ortsentwicklung. Viele Eigentümer:innen von Baulücken gaben an, Grundstücke für Enkelkinder vorzubehalten. Vermehrt dienen die Baulücken auch als Grünflächen. Nur wenige Eigentümer:innen waren interessiert an einem Verkauf, wobei ein Fünftel angab, unschlüssig über die künftige Nutzung des Grundstücks zu sein.
Bei allen Siedlungstypen gab es eine starke Zustimmung zur Erhaltung älterer Gebäude. „Dies gibt der Innenentwicklung und entsprechenden Maßnahmen in den Kommunen einen starken Rückhalt. Sanierungen werden in der Bevölkerung geschätzt“, betont Professorin Gerend. Insgesamt 45 Gemeinderatsmitglieder und Bürgermeister nahmen an einer Online-Umfrage teil, gefolgt von 35 Interviews mit Vertreter:innen der regionalen Planungsbehörden und Eigentümer:innen. Die Gemeinderäte befürworteten eine Mischung aus Neubaugebieten und Nachverdichtung.
Unterschiede zwischen Siedlungstypen
Jedoch tendierten Grundstückseigentümer:innen in den neueren Siedlungen zu einer individualistischeren Einstellung als in den Ortskernen. Unter anderem wurden diese zum Einfluss ihres Privateigentums auf die Ortsentwicklung befragt: „Was ich mit meinem Gründstück mache, hat Einfluss auf die Ortsentwicklung“. Die größte Diskrepanz zeigt sich in Neusitz mit einem Unterschied von 18,8 Prozentpunkten zwischen der Zustimmung in den Altorten (70,7 Prozent) und der Zustimmung in den Neubaugebieten (51,9 Prozent). In Wolframs-Eschenbach beträgt der Unterschied 16,9 Prozent und in Uehlfeld 14,3 Prozent zwischen den Altorten und den Neubau-gebieten.
Baulücken nachhaltig nutzen: Handlungsempfehlungen für die Praxis
Basierend auf der Studie schlagen die Forscherinnen eine maßgeschneiderte Unterstützung für Baulücken-Eigentümer:innen vor, unter Einbeziehung sozialer Aspekte. Dazu gehören langfristige Pachtoptionen, Landtausch oder Einheiten in neuen Gebäuden. Zentral gelegene Mehrfamilienhäuser könnten für die allgemeine Bevölkerung, insbesondere für Senior:innen, kleinere Wohneinheiten bieten. Dies helfe jenen, die kein Einfamilienhaus benötigen oder es sich nicht leisten können. Zusätzlich sollte die Grünflächenplanung mitberücksichtigt werden: ältere Baulücken, die begrünt sind, könnten als Parks oder Grünanlagen bewertet werden, oder zu kühlenden Effekten im Ort beitragen.
Das Forschungsprojekt „Die sozialen Aspekten von Baulücken“ lief von 2021 bis 2023 und wurde gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Die zentralen Studienergebnisse sowie die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen für die Praxis sind im Studienbericht "Die sozialen Aspekte von Baulücken" zusammengefasst. Weitere Publikationen folgen 2024.
Verfasserin: Amanda Murtezaj, Pressereferentin der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jennifer Gerend
Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
Regionalmanagement und Sozialwissenschaftliche Methoden
https://www.hswt.de/jennifer-gerend
jennifer.gerend@hswt.de
Originalpublikation:
Studienbericht "Die sozialen Aspekte von Baulücken" https://www.hswt.de/fileadmin/Redaktion/Forschung/ZFW_Downloads/Forschung/hswt-id1551_Studienbericht_Die-sozialen-Aspekte-von-Bauluecken.pdf
Weitere Informationen:
https://www.hswt.de/forschung/projekt/1551-die-sozialen-aspekte-von-baulucken Projektseite auf den Webseiten der HSWT