Beeinflussen Schulnoten das Förderverhalten von Eltern?
Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) hat das Unterstützungsverhalten von Eltern in Abhängigkeit von Schulnoten untersucht. Die Studie zeigt, dass Familien mit niedrigem Einkommen keine Unterschiede in der Förderung ihrer Kinder machen, während Eltern aus höheren Einkommensschichten Kinder mit schlechteren Schulnoten tendenziell stärker unterstützen. Die Ergebnisse werfen die Frage auf, ob unterschiedliche elterliche Unterstützungsmuster zur geringen sozialen Mobilität beitragen, weil Eltern leistungsstarker Kinder aus unteren sozialen Schichten nicht über die gleichen Ressourcen und Strategien verfügen, wie weniger leistungsstarke Kinder aus höheren sozialen Schichten.
Rostock. Ob ein Kind gute oder schlechte Schulnoten mit nach Hause bringt, kann Einfluss darauf haben, in welchem Maß Eltern ihre Kinder unterstützen. In einem Großteil der bisherigen Forschung wurde angenommen, dass Eltern mit höherem sozioökonomischem Status eher das Kind mit schlechteren Schulnoten unterstützen als das Kind mit guten Schulnoten zusätzlich zu fördern. In Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status steht dagegen die Annahme im Raum, dass eher nur das Kind mit den besten Aufstiegschancen gefördert wird. Diese These wird durch eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) zumindest für Familien mit niedrigerem Einkommen nicht gestützt.
Philipp Dierker ist Doktorand am MPIDR und an der Universität Helsinki. In seiner aktuellen Arbeit hat er gemeinsam mit Co-Autor Martin Diewald (Universität Bielefeld) anhand von Daten aus der deutschen TwinLife-Studie untersucht, wie sich das Unterstützungsverhalten von Eltern gegenüber ihren Kindern je nach schulischer Leistung in Form von Schulnoten verändert. „Im Gegensatz zur bisherigen Forschung haben wir uns nicht auf die kognitiven Fähigkeiten der Kinder konzentriert. Wir haben untersucht, wie Eltern ihre Kinder unterstützen - gemessen an den Schulnoten, die von Eltern objektiv als gut oder schlecht eingeordnet werden können - und die Reaktionen der Eltern auf diese Schulnoten ihrer Kinder ausgewertet“, erklärt Dierker.
Zwillingspaare dienen als Datengrundlage
Verwendet wurden Daten aus den ersten drei Erhebungswellen der TwinLife-Studie. Ausgewertet wurden die Ergebnisse der Kohorten der Geburtsjahrgänge 2003 und 2004 für eineiige und zweieiige gleichgeschlechtliche Zwillinge. Zum Zeitpunkt der ersten Befragung waren die Kinder im Durchschnitt 11 Jahre alt. In der dritten Befragungswelle waren sie durchschnittlich 13 Jahre alt. „Besonders vorteilhaft ist, dass hier die Kinder direkt gefragt wurden, wie stark sie von ihren Eltern unterstützt werden. So können wir ausschließen, dass Eltern ihre eigene Unterstützung für die Kinder beschönigen, um in ihrer eigenen Wahrnehmung kein Kind zu vernachlässigen“, so Dierker. Gefragt wurde, in welcher Form Eltern ihre Kinder unterstützen:
- bei den Hausaufgaben und der schulischen Kommunikation
- ermutigen und formulieren von Erwartungen
- Fördern der kognitiven Entwicklung (z.B. durch gemeinsames Lesen oder Musizieren)
Über drei Erhebungswellen hinweg werteten die Forscher aus, wie sich diese drei Formen im Zusammenhang mit den Schulnoten der Kinder veränderten. „Die Untersuchung von Zwillingspaaren bringt auch einige Einschränkungen mit sich. So könnten systematische Unterschiede darin bestehen, wie Eltern von Zwillingen und Eltern von Nicht-Zwillingen ihre Kinder behandeln. In der bisherigen Forschung konnten diese Bedenken, die darauf abzielen, dass Zwillinge von ihrem engsten Umfeld anders behandelt werden als Geschwister, jedoch nicht bestätigt werden, weswegen wir unsere Ergebnisse für generalisierbar halten, auch über Zwillingsfamilien hinaus“, erklärt Dierker.
Eine Elterngruppe fördert Kinder nicht unterschiedlich
„Wir können aus unseren Ergebnissen schließen, dass in Familien mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status die Eltern keine Unterschiede in der Förderung ihrer Kinder machen. Die Vermutung, dass Familien mit niedrigerem sozialem Status die Kinder mit den besten Aufstiegschancen besonders fördern, wird durch unsere Studie nicht bestätigt“, sagt der Rostocker Wissenschaftler. Allerdings belegen die Untersuchungen, dass in Familien mit höherem sozioökonomischem Status die Eltern tatsächlich das Kind mit den schlechteren Schulnoten stärker fördern. Mutmaßlich spielt hier die Angst vor einem sozialen Abstieg eine besondere Rolle. Eine solche Motivation ist bei Familien mit höherem sozialem Status größer. „Hier beobachten wir, dass mehr Unterstützung bei den Hausaufgaben und der schulischen Kommunikation geleistet wird und auch mehr Erwartungen und Ermutigungen formuliert werden. Unsere Annahme ist, dass hoch gebildete Eltern versuchen, ihr möglicherweise weniger begabtes Kind auch durch solche Formen der Unterstützung zu fördern, die nicht direkt auf die Förderung kognitiver Fähigkeiten abzielen.“ Ob diese Unterstützung Wirkung zeigt und ob diese Bemühungen erfolgreich sind, kann diese Studie noch nicht zeigen. Dazu müssten in Zukunft weitere Erhebungswellen untersucht werden.
Einfluss auf soziale Mobilität
Die Untersuchungen sind für die soziale Mobilitätsforschung von Bedeutung: „Leistungsstarke Kinder aus unteren sozialen Schichten verfügen nicht über dieselben Ressourcen, Netzwerke und Unterstützungsmaßnahmen wie Kinder aus höheren sozialen Schichten, die von ihren Eltern vor dem sozialen Abstieg geschützt werden. Es bleibt die Frage, wie stark diese Unterschiede in der elterlichen Unterstützung der eigenen Kinder zu einer geringen sozialen Mobilität beitragen“, so Dierker.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Philipp Dierker
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
dierker@demogr.mpg.de
Originalpublikation:
Philipp Dierker, Martin Diewald: Compensation or accentuation? How parents from different social backgrounds decide to support their children in European Sociological Review (2024). DOI: 10.1093/esr/jcae010
Weitere Informationen:
http://www.demogr.mpg.de/go/schulnoten