Stillstand in der Arktis: Internationale Zusammenarbeit wegen Russlands Krieg in der Ukraine ausgesetzt
Ein neuer ZOiS Report analysiert diverse Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine auf die Arktisregion. Die Autor*innen schätzen ein, wie eine Basis für die Koordinierung mit Russland in wichtigen Fragen der Sicherheit und des Klimawandels im Interesse des Gemeinwohls wiederhergestellt werden könnte.
Die vollumfängliche russische Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 hat weltweit Schockwellen ausgelöst und auch in der Arktis grundlegende Veränderungen bewirkt. In den Monaten nach der Invasion haben die westlichen Arktisstaaten die meisten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kooperationen mit Russland ausgesetzt. Der Arktische Rat, das wichtigste zwischenstaatliche Forum der Region, ist derzeit nicht in der Lage, als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik zu fungieren. Internationale Arktisforscher sind nun von über 60 Prozent ihrer Forschungsregion abgeschnitten, und der Datenaustausch mit ehemaligen russischen Partnern ist unmöglich. Die langfristigen Folgen könnten drastisch sein, denn die Erwärmung der Arktis ist ein wichtiger Indikator für die globale Klimaentwicklung. Ohne Datenaustausch wird es unmöglich sein, die weitreichenden Auswirkungen des Klimawandels zu modellieren. Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise empfehlen die Autor*innen dieses Berichts, den Datenaustausch durch nichtstaatliche Dritte wie den Weltklimarat (IPCC) oder den Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) vermitteln zu lassen.
Das arktische Sicherheitsdilemma ist älter als der Krieg
Die zunehmenden politischen und militärischen Spannungen in der Arktis bestanden bereits vor der vollumfänglichen Invasion der Ukraine und sind darauf zurückzuführen, dass Russland sein vermeintliches Sicherheitsbedürfnis in der Region geltend macht. Die erneute Militarisierung und Versicherheitlichung der Arktis in den letzten zwanzig Jahren durch das Putin-Regime haben die westlichen Arktisstaaten zu Gegenmaßnahmen veranlasst. Russland, das nun in einen selbstverschuldeten Krieg in der Ukraine verwickelt ist, kann seine Großmachtambitionen in der Arktis kaum noch verwirklichen und greift zunehmend auf nukleare Rhetorik und hybride Bedrohungen zurück. Obwohl die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Eskalation in der Region gering ist, betonen die Autor*innen die Notwendigkeit eines militärischen Verhaltenskodex für die Arktis. In der Zwischenzeit sollten bestehende bilaterale Verträge aus der Zeit des Kalten Krieges über Krisenkommunikation und die Verhinderung militärischer Eskalation reaktiviert werden.
Energie-Geopolitik in der Arktis
Auf dem Gebiet der Energiepolitik wird die Zweiteilung der Arktis in eine russisch-asiatische Arktis und eine europäische und nordamerikanische Arktis deutlich. Als sich einige westliche Unternehmen wegen westlicher Sanktionen vom russischen Energiemarkt zurückzogen, suchte Russland in nicht-westlichen Ländern wie Indien und China nach Investitionen, qualifizierten Arbeitskräften und Technologien, die es zur Umsetzung wichtiger Energieprojekte in der Arktis benötigt. Die westlichen arktischen Staaten haben die Energieunabhängigkeit von Russland zur Priorität gemacht. Norwegen wurde zum wichtigsten Gaslieferanten der EU. In einer zweigleisigen Strategie, die durch den Krieg bedingt ist, erschließen diese Staaten weiterhin fossile Brennstoffe und unterstützen gleichzeitig Projekte für erneuerbare Energien.
Indigene arktische Bevölkerung zunehmend gefährdet
Selbst vor Februar 2022 waren indigene arktische Bevölkerungsgruppen ein besonders gefährdeter Bestandteil der arktischen Bevölkerung. Ihre Probleme wurden durch den Krieg in der Ukraine verschärft. Mit der Lähmung des Arktischen Rats haben sie ihre Hauptplattform für multilaterale Mitsprache in der Region verloren. Sie spüren außerdem die Auswirkungen der kriegsbedingten Inflation, Probleme in der Energieversorgung und unterbrochene Lieferketten. Indigene Gemeinschaften in der russischen Arktis waren zudem besonders im Fokus der russichen Rekrutierungspolitik und eine unverhältnismäßig hohe Anzahl von Männern dieser Gemeinschaften sind in der Ukraine gestorben. Es besteht die Hoffnung, dass der Arktische Rat unter dem derzeitigen norwegischen Vorsitz als Kontrollinstanz erneut seinen Einsatz für die Rechte Indigener angehen wird.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Nadja Douglas
Nadja.Douglas@zois-berlin.de
Originalpublikation:
Serafima Andreeva, Klaus Dodds, Nadja Douglas, Christoph Humrich and Thomas Nawrath: New Arctic Realities: Between Conflicting Interests and Avenues for Cooperation, ZOiS Report 1/2024.
Weitere Informationen:
https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-report/new-arctic-realities-between-conflicting-interests-and-avenues-for-cooperation