Stärken und Potenziale: Britisch-deutscher Wissenschaftstransfer
HWR Berlin-Präsident Prof. Dr. Andreas Zaby begleitete Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger zum ersten britisch-deutschen Forschungsdialog nach London. Ein Interview zum Status quo.
Zwölf strategische Partnerschaften mit Hochschulen im Vereinigten Königreich unterhält die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) – Internationalität gehört zu ihrem Markenkern. Im Interview erklärt der Präsident der HWR Berlin, Prof. Dr. Andreas Zaby, weshalb der Studierendenaustausch und der Forschungstransfer zwischen Großbritannien und den EU-Staaten nach wie vor wichtig sind und wie die Zusammenarbeit seit dem Brexit im Jahr 2020 gelingt. Andreas Zaby ist Vorsitzender der Allianz der sieben deutschen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften UAS7 und Mitglied des Vorstandes des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD).
Wie geht es den deutsch-britischen Beziehungen hinsichtlich des wissenschaftlichen Austausches aus Ihrer Sicht?
Der Brexit hat den deutsch-britischen Austausch ganz klar erschwert. Hürden bei den Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen haben ihren Teil dazu beigetragen, aber auch der Rückgang der Fördermöglichkeiten hat zu Einschränkungen bei den Austauschbeziehungen geführt.
Der deutsch-britische Wissenschaftsdialog hat den EU-Austritt Großbritanniens überdauert.
Ja, trotz der Hemmnisse. Umso wichtiger ist es, dass Mobilitätsförderung im Rahmen von ERASMUS+ weiterhin grundsätzlich möglich ist und dass auf der britischen Seite das Turing Scheme eine Teilkompensation für den Wegfall der europäischen Förderung darstellt. Von zentraler Bedeutung hierfür war es, dass deutsche Hochschulen und ihre britischen Partner die ERASMUS-Agreements durch bilaterale Abkommen ersetzen konnten. Dem gingen viele aufwändige bilaterale Verhandlungen voraus und ich bin sehr froh, dass die UAS7-Hochschulen gute Ergebnisse erzielt haben. Beispielsweise konnte die HWR Berlin mit nur einer Ausnahme ihre Partnerschaften im Vereinigten Königreich ins neue System überführen.
Die Hochschulen führen bilateral Bewährtes fort, gibt es auch auf nationaler Ebene weiterhin Vereinbarungen?
Es ist sehr erfreulich, dass die EU und die britische Regierung eine Einigung zur Beteiligung an „Horizon Europe“ verhandeln konnten, dem größten europäischen Programm zur Forschungsförderung bis 2027. Alles andere wäre einer deutlichen Schwächung der Forschung in Europa gleichgekommen.
Weshalb ist der Austausch mit Großbritannien für den Wissenschaftsstandort Deutschland so wichtig?
Die britischen Universitäten sind forschungsstark und seit viele Jahren besonders enge Partner deutscher Wissenschaftseinrichtungen. Auch die UAS7-Mitgliedshochschulen partizipieren immer wieder sehr erfolgreich an Horizon-Projekten, unter anderem mit britischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Daneben bestehen gemeinsame Forschungsvorhaben, die zum Beispiel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder von der britischen Partnerorganisation UK Research and Innovation gefördert werden. Gerade in den für die Allianz der sieben deutschen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften UAS7 so wichtigen Ingenieurwissenschaften, der Informatik und den Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftswissenschaften gehören britische Universitäten zu den führenden Institutionen weltweit.
Was ist das Besondere an der deutsch-britischen Wissenschaftskoalition?
Es wäre ein Rückschritt für alle deutschen Hochschulen gewesen, wenn sie ohne die vertrauensvolle und langjährig etablierte Forschungszusammenarbeit mit den britischen Partnern hätten auskommen müssen. Es ist entscheidend, dass neben der Forschungsförderung auch weiterhin ein Austausch von Studierenden – insbesondere durch Auslandssemester – und Lehrenden stattfindet. Das ist die Basis für die Bildung langfristiger Beziehungen und von Forschungsnetzwerken.
Welches Beispiel für die Zusammenarbeit der HWR Berlin mit den britischen Partnerhochschulen beeindruckt Sie besonders?
Die neuen Collaborative Online International Learning (COIL) Projekte sind ein faszinierender Fortschritt. Lehrende in UK und in Berlin bringen die Studierenden ihrer Lehrveranstaltungen virtuell live und auch asynchron zusammen. Die Studiereden bearbeiten gemeinsam Aufgaben, die direkt in ihre jeweiligen Curricula integriert sind. So wird internationale akademische Teamarbeit erlernt und die Studierenden lernen sich persönlich kennen. Für viele ist das die erste internationale Erfahrung und so manche entscheiden sich auf der Basis dieser Erfahrung für ein Auslandssemester. Wir sind froh, dass die HWR Berlin – und mit Schwerpunkt Nordamerika, auch UAS7 als Verbund – für die Erprobung und den Roll-out von COILs großzügige Fördermittel des DAAD einwerben konnte. Gerade mit unseren Partnern in England wie der Coventry University, der University of Leeds und der University of Liverpool haben wir an der HWR Berlin diese innovative Form der virtuellen Zusammenarbeit etablieren können.
Wo sehen Sie Potenzial für weitere Synergien?
Es gibt vor allem im Bereich des Forschungstransfers noch ungenutzte Potentiale. Sowohl die britische als auch die deutsche Wirtschaft läuft Gefahr, bezüglich neuer innovativer Technologien gegenüber den USA und China ins Hintertreffen zu geraten. Das wird vielfach den unzureichenden Transfermechanismen zugeschrieben. Es gelingt nicht in ausreichendem Maße, die Ergebnisse der Forschung in neue Produkte zu übersetzen. Gemeinsame Anstrengungen im Technologietransfer wären daher zu begrüßen. Dies schließt den Bereich der Unternehmensgründung ein. Denn auch die Zahl und der wirtschaftliche Erfolg der technologiebasierten Startups ist in beiden Ländern ausbaufähig.
Was können wir vom britischen Hochschulsystem lernen – und umgekehrt?
Der Austausch zwischen deutschen und britischen Hochschulen bringt für beide Seiten viele Anregungen: UK zieht erstklassige Studierende und Forschende aus der ganzen Welt an. Deutschland kann sich hier inspirieren lassen, um ähnlich erfolgreich zu werden, zum Beispiel bei der Rekrutierung von Professorinnen und Professoren aus dem Ausland. Britische Universitäten punkten in internationalen Rankings durch Flexibilität bei der Gestaltung von spezialisierten Studiengängen – auch eine Überlegung wert.
Was die Betreuungsrelation angeht, also die Zahl der Studierenden je Professor*in, sind wir an der HWR Berlin vergleichsweise schon gut aufgestellt. Auch der seminaristische Unterricht in Kleingruppen bei uns ermöglicht individuelle fachliche Betreuung nach britischem Vorbild. Hier gibt es in Deutschland jedoch große Länderunterschiede, und es hängt von der Hochschulform ab. Eine, wie ich finde, schöne Tradition setzt sich mittlerweile auch in Deutschland mehr und mehr durch, nämlich die angelsächsische Art Studienabschlüsse auf eine würdevolle Weise zu zelebrieren. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Bindung zur einstigen Alma Mater über den Abschluss hinaus.
Was würden Sie in den Exportwarenkorb aus Deutschland legen?
Die Aufenthalts- und Arbeitsregelungen für ausländische Studierende sind im internationalen Vergleich in Deutschland sehr liberal. Seit 1. März ermöglicht das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz es ihnen neben dem Studium eine Arbeit aufzunehmen. Das gilt sogar schon in einer bis zu neun Monate dauernden Phase der Studienplatzsuche. Und es kommt hinzu, dass für das Studium in Deutschland in der Regel keine Studiengebühren erhoben werden – sehr förderliche Rahmenbedingungen!
Ein echter Exportschlager ist das Duale Studium, bei dem die Studierenden schon während des Studiums direkt in die Berufspraxis einsteigen, akademische und betriebliche Ausbildung eng miteinander verzahnt sind. Damit können Arbeitgeber Nachwuchsfachkräfte gewinnen und schon frühzeitig an sich binden; Studierende gehen nach ihrem Abschluss in der Regel direkt in den Job.
Die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung ist ein weiterer Pluspunkt. Deutschland setzt auf flexible Bildungschancen. Auch beruflich Qualifizierte mit entsprechender Berufserfahrung erhalten Zugang zum Studium. Studierende genießen einen relativ großen Spielraum bei der Planung ihres Studiums. Durch entsprechend gestaltbare Stundenpläne und Lehrformate können Studierende ihr Studium an individuelle Lebensmodelle und -phasen anpassen. Das deutsche System hat durchaus seine Vorzüge. Gut möglich, dass gerade diese Flexibilität im globalisierten Hochschulbildungswesen in Zukunft noch wichtiger wird.
Prof. Zaby, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin).
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) ist eine fachlich breit aufgestellte, international ausgerichtete Hochschule für angewandte Wissenschaften, einer der bundesweit größten staatlichen Anbieter für das duale Studium und im akademischen Weiterbildungsbereich. Sie sichert den Fachkräftebedarf in der Hauptstadtregion und darüber hinaus. Über 12 000 Studierende sind in über 60 Studiengängen der Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts-, Ingenieur- und Polizei- und Sicherheitswissenschaften sowie in internationalen Master- und MBA-Studiengängen eingeschrieben. Die HWR Berlin ist die viertgrößte Hochschule für den öffentlichen Dienst in Deutschland und mehrfach prämierte Gründungshochschule. Über 700 Kooperationen mit Partnern in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst garantieren den ausgeprägten Praxisbezug in Lehre und Forschung. 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen Kontinenten fördern einen regen Studierendenaustausch und die internationale Forschungszusammenarbeit. Die HWR Berlin ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for Excellence“ und unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.
Weitere Informationen:
http://Mehr zur Erklärung über die künftige britisch-deutsche Forschungszusammenarbeit
https://www.kooperation-international.de/aktuelles/nachrichten/detail/info/vereinigtes-koenigreich-und-deutschland-staerken-wissenschafts-und-forschungsbeziehungen