„Der Westen hat den Osten nicht überrollt“
Er forschte lange in der DDR, sie in der BRD: Für die Mikrobiologen Michael Hecker und Bärbel Friedrich ist die Wende in den Wissenschaften eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte. Die These von der Kolonisierung der ostdeutschen Universitäten durch den Westen sei Unfug, sagen sie im Interview auf der Website der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ).
Zu DDR-Zeiten seien die Lebenswissenschaften in Ostdeutschland „total abgehängt“ gewesen, sagt Professor Michael Hecker, der langjährige Leiter des Instituts für Mikrobiologie an der Universität Greifswald. „Nach der Wende ist es überraschend schnell gelungen, sie auf internationales Niveau zu bringen.“ Wie das gelang, schildert Hecker zusammen mit seiner westdeutschen Fachkollegin Professorin Bärbel Friedrich im Doppelinterview mit der Redaktion der GDNÄ-Website. Die beiden Wissenschaftler haben kürzlich den Titel „Die ostdeutschen Universitäten im vereinten Deutschland“ veröffentlicht und stellen sich nun in Lesungen und Medienbeiträgen der öffentlichen Diskussion.
Aktuell sei die Debatte über die Wissenschaft an ostdeutschen Universitäten in eine Schieflage geraten, sagt Bärbel Friedrich im Interview und betont: „Uns geht es darum, sie ins Lot zu bringen.“
Auslöser der Kontroverse ist der Leipziger Literaturprofessor Dirk Oschmann, der in seinem Buchbestseller behauptet, der Osten sei im Wissenschaftsbereich vom Westen überrollt worden. Auf die Lebenswissenschaften und Medizin treffe die provozierende Diagnose nicht zu, sagt Michael Hecker. Insgesamt seien zwei Drittel der Anfang der 1990er-Jahre neuberufenen Professoren Ostdeutsche gewesen. Hecker: „Hätten wir mehr qualifizierte Bewerber aus Ostdeutschland gehabt, wäre der Anteil wahrscheinlich noch höher ausgefallen.“ Unvereinbar mit der Kolonisierungs-These seien auch die Zahlen des DFG-Förderatlas: Ihnen zufolge entsprechen die in Ostdeutschland eingesetzten Fördermittel ganz und gar den Aufwendungen für westdeutsche Universitäten.
Inzwischen sei eine neue Wissenschaftlergeneration herangewachsen, der die Ost-West-Debatte fremd sei, sagt Michael Hecker. „Viele von ihnen konnten sich nach der Promotion in renommierten Laboratorien weltweit profilieren. Sie erhalten hochattraktive Stellenangebote und ihre Lebensläufe ähneln denen im Westen.“ So löse sich das Thema Ost-West mit der jungen Generation zunehmend auf.
Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sagt Bärbel Friedrich: „Für die Wissenschaft könnte ein gutes Abschneiden der AfD katastrophal werden. Freiheit und Internationalität werden dann womöglich stark eingeschränkt – und gerade sie sind die Grundlagen für erfolgreiche Forschung.“
Zu den Interviewpartnern
Bärbel Friedrich forschte und lehrte als Mikrobiologin in Göttingen und in Berlin, zunächst an der Freien Universität, später an der Humboldt-Universität. Bis 2018 war sie Direktorin des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs in Greifswald. Sie war Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Leopoldina sowie Mitglied des Wissenschaftsrats und erhielt zahlreiche Auszeichnungen.
Michael Hecker war von 1986 bis 2014 Professor für Mikrobiologie an der Unversiität Greifswald und von 1990 bis 2013 Direktor des dortigen Instituts für Mikrobiologie. Als Dekan war er maßgeblich am Neuaufbau der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät beteiligt. Er wurde mit mehreren Wissenschaftspreisen ausgezeichnet und ist Mitglied nationaler und internationaler Akademien.
Zum Interview: https://www.gdnae.de/
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