Forschen HAW doch nicht so anders?
Forschung und Promotionen sind inzwischen selbstverständliche Bestandteile der Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) geworden, auf den Bezug zur Wirklichkeit, auf Inter- und Transdisziplinarität aber auch die Entwicklung neuer Disziplinen kommt es an – zu diesem Ergebnis kamen die Teilnehmenden der Tagung „Forschen an HAW: anders?“, die am 19. März in Bochum stattfand. Im Rahmen der von HAW-Vertreterinnen und -vertretern in Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Wissenschaftsrat sowie dem Promotionskolleg NRW organisierten Tagung diskutierten über 60 Forschende und Forschungsverantwortliche über die Zukunft der Forschung an HAW.
Eröffnet wurde die Tagung durch Professor Martin Sternberg, Mitorganisator und Vorsitzender des Promotionskollegs NRW, der in seiner Begrüßung die veränderten Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Erwartungen an HAW-Forschung skizzierte und die Frage nach den spezifischen Merkmalen der HAW-Forschung stellte. Neben der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen durch anwendungsorientierte Forschung würden von den HAW auch signifikante Beiträge zur Entwicklung neuer Wissenschaftszweige erwartet, etwa in den Pflege- und Therapiewissenschaften.
Forschen an HAW – eine Annäherung
In den daran anschließenden Impulsvorträgen von Professorin Uta Gaidys, Leiterin des Departements Pflege und Management der HAW Hamburg und Mitglied des Wissenschaftsrats, sowie Professor Stefan Hornbostel, emeritierter Professor der Humboldt-Universität und Abteilungsleiter des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, wurde übereinstimmend festgestellt, dass die paradigmatische Unterscheidung der Hochschultypen heute kaum noch möglich ist, eine Differenzierung des Hochschulsystems aber wünschenswert bleibt.
Mittels eines historischen Überblicks zum Wandel der HAW hob Gaidys die große Bedeutung von Forschung und die Notwendigkeit von Promotionen sowohl für den Erkenntnisgewinn zur Disziplinenentwicklung als auch für die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen hervor. Beides liege in einem gewissen Spannungsverhältnis. Als innovative Systemsprenger seien die HAW und ihre Forschung aber nicht auf den Aspekt der Anwendungsorientierung zu beschränken. Vielmehr seien sie auf die Freiheit angewiesen, ein breites Forschungsspektrum abzubilden, auch um künftige Herausforderungen zu antizipieren.
Hornbostel bekräftigte in seinem Beitrag grundsätzlich diese Darstellung und ergänzte sie um die damit verbundenen Implikationen für das Hochschulsystem. Gehen wir auf ein vereinheitlichtes Hochschulsystem nach britischem Vorbild zu mit dem Risiko, dass viele HAW schlechte Universitäten werden, oder gelingt es den HAW, mit Forschung und Promotionen ein eigenes Profil zu entwickeln? Können sie sich auf diesem Feld gegenüber den großen Playern behaupten und können Sie die Fehler der Universitäten bei Promotionen vermeiden? Durch die Besonderheit der anwendungsorientierten Forschung biete sich den HAW die Chance, einen neuen Typus von Forschung und Nachwuchsausbildung mit hohem Qualitätsanspruch zu begründen. Die eingeführten Qualitätsstandards für Forschung und Promotion orientieren sich an den Universitäten, für anwendungsorientierte Forschung gibt es keine vergleichbaren Standards.
Profilbildung stärken
Der Hauptteil der Tagung war der Arbeit in vier Workshops gewidmet, deren Themen gemeinsam mit den Teilnehmenden in einem moderierten Prozess erarbeitet wurden. Dabei zeigte sich workshopübergreifend, dass es nicht um die ohnehin kaum mögliche Abgrenzung zu Universitäten geht, sondern darum, das Selbstverständnis der HAW zu stärken und die Profilbildung in den Fokus zu stellen. Wichtig sei es zu reflektieren, welche Merkmale Forschung und Promotionen an der eigenen Hochschule ausmachen und entsprechend Schwerpunkte auszubilden. Insofern betrifft die Differenzierung stärker die einzelnen Hochschulen als die Hochschultypen. Ziel der HAW muss es bleiben, auf allen Qualifikationsstufen berufsbefähigend auszubilden, also auch bereits mit dem Bachelorabschluss. Eine HAW mit anwendungsorientierter oder auch erkenntnisorientierter disziplinenentwickelnder Forschung muss aber auch promovieren können und der Arbeitsmarkt erfordert in steigendem Maß eine vertiefte wissenschaftliche Qualifikation. Hinsichtlich der Forschungsthemen zeichnen sich die HAW durch einen hohen Wirklichkeitsbezug aus, der sich in Inter- und Transdisziplinarität sowie Missionsorientierung äußert. Bei Promotionen muss unabhängig vom Profil die Qualität im Vordergrund stehen und die Umsetzung von Innovationen wichtiges Qualifikationsziel sein. Schlüssel für hohe Qualität ist auch ein überzeugendes Betreuungskonzept, das Halt und Unterstützung bietet, ohne die eigenständige wissenschaftliche Arbeit zu behindern.
In der abschließenden Podiumsdiskussion mit wechselnden Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden einzelne der in den Workshops diskutierten Themen pointiert beleuchtet. Welche „Story“ können HAW der Gesellschaft zu ihrer Forschung erzählen? Woher kommt es, dass HAW mit Interdisziplinarität selbstverständlicher umgehen als Universitäten? Welche Potenziale zur Zusammenarbeit können noch besser genutzt werden? Betont wurde der Beitrag der HAW zur Bildungsgerechtigkeit auch bei Promotionen sowie ihr großes Potenzial für Nachqualifizierungen. Kritisch wurden die nach wie vor für HAW teilweise ungünstigen Rahmenbedingungen angemerkt und die Beschränkung auf nahezu ausschließlich drittmittelfinanzierte Forschung. Schließlich wurde noch der große Bogen geschlagen zum notwendigen freien und vorbehaltlosen Diskurs über die Zukunft des Wissenschaftssystems und die notwendige wissenschaftlich forschende Begleitung.
Noch nicht am Ende
In seinem Schlusswort fasste Professor Jörg Bagdahn, Rektor der Hochschule Anhalt und Sprecher der HAW in der Hochschulrektorenkonferenz, die Ergebnisse der Tagung zusammen: „Mit der massiven Ausweitung der Forschung verbunden mit der Ausübung des Promotionsrechts wurde an HAW eine Entwicklung angestoßen, die den HAW, aber auch den Universitäten, Veränderungen abverlangt, die gleichzeitig aber auch dem Wissenschaftssystem und der Gesellschaft zugutekommt.“ Es komme nun darauf an, diesen Prozess selbstbewusst und reflektiert weiter auszugestalten.
Sternberg zeigte sich zufrieden mit den Ergebnissen der Tagung: „Der Tag hat gezeigt, welche neue Verantwortung den HAW durch Forschung und Promotionen erwachsen ist und welche komplexen Wechselwirkungen es gibt. Dieser Diskurs muss fortgesetzt werden.“
Anmerkung für Journalist*innen
Anlass für die Tagung ist die gestiegene Bedeutung der Forschung an HAW in Verbindung mit der Ausbreitung des Promotionsrechts. Das Promotionskolleg NRW als wissenschaftliche Einrichtung von 21 HAW in NRW wurde 2020 mit dem hochschulpolitischen Auftrag gegründet, kooperative Promotionen zu stärken und die Voraussetzungen für Promotionen an HAW nach eigenem Promotionsrecht zu schaffen. Ende 2022 wurde dem PK NRW durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW das Promotionsrecht verliehen.