Flow-Erleben: Ein natürlicher Schutzschild gegen psychische und Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
Kann die Neigung zum Flow-Erleben bestimmten Gesundheitsproblemen entgegenwirken? Dieser Frage ist ein internationales Team aus Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt am Main und der University of Melbourne, Australien, nachgegangen. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal Translational Psychiatry veröffentlicht. Sie liefern neue Belege für eine potentiell schützende Wirkung von Flow, betonen gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit, Störfaktoren bei der Erforschung möglicher positiver Gesundheitseffekte zu berücksichtigen.
„Flow“ ist ein Begriff aus der Psychologie und bezeichnet einen Zustand, in dem Menschen völlig in einer Tätigkeit aufgehen. Frühere Studien haben gezeigt, dass die Neigung zu Flow mit einer guten psychischen und kardiovaskulären Gesundheit einhergeht. Diese Zusammenhänge wurden im Allgemeinen als Beweis für eine kausale Schutzwirkung von Flow interpretiert. Bei den Studien handelte es sich jedoch hauptsächlich um Querschnittsstudien, die auf Selbstauskünften der Teilnehmer:innen basierten.
Co-Seniorautorin Miriam Mosing vom MPIEA erklärt: „Darüber hinaus berücksichtigten die bisherigen Studien weder die umgekehrte Kausalität, also psychische Gesundheitsprobleme, die zu einer geringeren Neigung zu Flow führen, noch Störfaktoren, die sowohl der Gesundheit als auch dem Flow zugrunde liegen können, wie z. B. gemeinsame genetische Einflüsse, Umweltfaktoren oder Persönlichkeitsmerkmale. Ein kausaler Zusammenhang war also bisher nicht eindeutig nachgewiesen.“
In der aktuellen Studie untersuchten die Forscher:innen den Zusammenhang zwischen der Neigung zu Flow und gesundheitlichen Diagnosen anhand der Daten von mehr als 9.300 Personen und deren Infomationen aus schwedischen Patientenregistern. Sie fanden heraus, dass Personen mit einer höheren Neigung zu Flow-Erfahrungen ein geringeres Risiko für bestimmte Diagnosen wie Depressionen, Angstzustände, Schizophrenie, bipolare und stressbedingte Störungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufwiesen. Am deutlichsten war dieser Effekt bei Depressionen und Angstzuständen zu erkennen.
Darüber hinaus untersuchte das Team erstmals, ob Neurotizismus die beobachteten Zusammenhänge beeinflusst und ob familiäre Faktoren eine Rolle spielen. Neurotizismus ist eine von fünf Persönlichkeitseigenschaften nach dem „Big Five“-Modell. Der Begriff beschreibt die Neigung einer Person, emotional unausgeglichen und leicht reizbar zu sein. Menschen mit hohen Neurotizismuswerten sind anfälliger für Stress und psychische Probleme sowie für Herz-Kreislauf- und andere somatische Erkrankungen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Neurotizismus und familiäre Faktoren bemerkenswerte Störfaktoren sind, die Neigung zu Flow aber auch unter Berücksichtigung dieser Faktoren mit einem deutlich geringeren Risiko für Depressionen und Angstzustände verbunden ist. Damit stehen diese Ergebnisse im Einklang mit einer kausalen Schutzfunktion von Flow-Erfahrungen“, berichtet Co-Seniorautorin Laura Wesseldijk vom MPIEA.
Die Forscher:innen weisen jedoch darauf hin, dass zusätzliche Untersuchungen erforderlich sind, um den Zusammenhang zwischen Flow-Erfahrungen und psychischer sowie somatischer Gesundheit weiter zu klären. Sie betonen weiterhin, wie wichtig es dabei ist, Störfaktoren – insbesondere Neurotizismus – zu berücksichtigen. Dennoch sind die vorläufigen Ergebnisse vielversprechend: Sie bieten eine Grundlage für zukünftige Interventionen zur Förderung von Flow-Erfahrungen im Sinne einer Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik
Dr. Miriam A. Mosing: miriam.mosing@ae.mpg.de
Dr. Laura Wesseldijk: laura.wesseldijk@ae.mpg.de
Originalpublikation:
Gaston, E., Ullén, F., Wesseldijk, L. W., & Mosing, M. A. (2024). Can Flow Proneness Be Protective Against Mental and Cardiovascular Health Problems? A Genetically Informed Prospective Cohort Study. Translational Psychiatry, 14, Article 144. https://doi.org/10.1038/s41398-024-02855-6