Haustürwahlkampf hat weiterhin großes Potenzial
Zwei Politikwissenschaftler der Universität Trier haben den Erfolg und die Effekte der Gespräche von Kandidaten mit Wählern untersucht.
Mit welchen Strategien gewinnen wir Stimmen? Diese Frage stellen sich aktuell die Wahlkampfmanager in den Parteizentralen im Vorfeld der Europa- und Kommunalwahlen am 9. Juni nicht nur in Rheinland-Pfalz. Sollte man voll auf digitale Kanäle setzen, Plakatwerbung zurückfahren und aufwendigen Haustürwahlkampf komplett streichen? Wäre Marius Minas Politikberater, würde er den Parteien dringend empfehlen, weiterhin das Gespräch mit den Wählerinnen und Wählern an deren Haus- und Wohnungstüren zu suchen. „Wenn man es richtig macht, kann Haustürwahlkampf sehr erfolgreich sein“, sagt der Politikwissenschaftler der Universität Trier.
Mit dieser Feststellung bezieht sich Marius Minas auf eine Studie, die er gemeinsam mit Dr. Simon Jakobs an der Universität Trier durchgeführt und gerade veröffentlicht hat. Darin untersuchen die Wissenschaftler den Haustürwahlkampf der SPD zur Landtagswahl 2022 im Saarland aus der Perspektive von Kandidatinnen und Kandidaten. Nach deren Einschätzung hatte ihr Wahlkampf an den Wohnungstüren einen essenziellen Anteil an dem guten Wahlergebnis der SPD von 43,5 Prozent, das ihr zu einer Alleinregierung im Saarland verhalf.
Für ihre Analyse haben Marius Minas und Dr. Simon Jakobs im Herbst 2022 zehn Interviews mit Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern, auch aus der Spitzenpolitik, zu deren Strategien und Taktiken beim Haustürwahlkampf geführt und wissenschaftlich aufgearbeitet. Laut der Angaben in den Interviews betrieb die Saar-SPD einen engagierten Haustürwahlkampf und erreichte das gesteckte Ziel, 90.000 der insgesamt etwa 475.000 Haushalte in dem Bundesland persönlich anzusprechen. Demnach hatte jede Politikerin und jeder Politiker mit mindestens 300 bis 500 Personen Kontakt.
„Über die direkten Kontakte hinaus entfaltet sich durch die Gespräche ein Multiplikatoreffekt, dessen Wirkung nicht zu unterschätzen ist – im Gegenteil. Er entsteht, wenn Wähler das Gespräch als positives Erlebnis wahrnehmen und dies in ihrem sozialen Umfeld weiterverbreiten. Der Umstand, dass sie von ihren Verwandten, Freunden oder Nachbarn als glaubwürdige und authentische Quelle wahrgenommen werden, verstärkt den Effekt zusätzlich“, so Marius Minas. Über die anerkannten Ziele eines Haustürwahlkampfs hinaus, wie Aktivierung der Wahlbereitschaft und Stärkung der Bindung zur Partei, schätzen die Kandidaten die Hausbesuche auch als demokratisches Element, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen und zwischenmenschliches Vertrauen und Nähe aufzubauen.
In ihrer Studie betrachteten die Trierer Forscher auch die operative Ebene und analysierten, wie der Haustürwahlkampf vorbereitet und organisiert wurde. Aus den Informationen der Interviewten ergab sich, dass die Landesparteizentrale hierbei eine maßgebliche Rolle spielte. Den Wahlkämpfern vor Ort wurden unter anderem Anleitungen und Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, beispielsweise eine digitale Routenplanung mit Angaben zu den Potenzialen bestimmter Gebiete für die eigene Partei.
Diese Empfehlungen basierten unter anderem auf der Auswertung von Daten vorheriger Wahlen, stellten allerdings nur ein grobes Raster dar. Das dürfte auch ein Grund dafür gewesen sein, dass nicht alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer die Vorgaben der Landesparteizentrale uneingeschränkt übernahmen und stattdessen auf eigene Erfahrungen und ihre Intuition sowie auf die Ortskenntnisse lokaler Prominenz vertrauten, die oft als Türöffner im wahrsten Sinne des Wortes fungierte.
Mit den persönlichen Besuchen sollte insbesondere die für dieses Format zugänglichere ältere Bevölkerungsgruppe erreicht werden, die aufgrund ihrer durchschnittlich hohen Wahlbeteiligung eine wichtige Klientel darstellt. Die Chancen, in der kurzen Gesprächszeit einen fest mit einer Partei verbundenen Wähler von einem Wechsel zu überzeugen, schätzt Marius Minas als gering ein. „Der Haustürwahlkampf entfaltet seine größten Stärken vielmehr in der Mobilisierung, also der Aufforderung zur Wahl zu gehen und weniger in der Konversion“, erklärt Minas.
Im Rahmen der nun vorgelegten Studie war es nicht möglich, die Aussagen der interviewten Personen mit Blick auf die tatsächlichen Wirkungen bei den Wählerinnen und Wählern empirisch zu überprüfen. Da Marius Minas von dem ungebrochen großen Potenzial des Haustürwahlkampfs überzeugt ist, will er – gemeinsam mit Simon Jakobs und Prof. Dr. Uwe Jun – diesen Aspekt in einer Folgestudie vor den anstehenden Europa- und Kommunalwahlen nun aus der Perspektive von Wählerinnen und Wählern beleuchten. Dabei soll auch untersucht werden, ob es Saarland-spezifische Effekte gab oder sich die Ergebnisse auf andere Bundesländer übertragen lassen.
„Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass der Haustürwahlkampf der SPD zur saarländischen Landtagswahl in solch großem und organisiertem Maßstab durchgeführt wurde, dass er hinsichtlich seiner Relevanz für die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer selbst mindestens auf einem Niveau mit anderen Wahlkampfinstrumenten wie Plakatkampagnen, TV-Duellen und sozialen Medien genannt werden muss – und dass er hier offensichtlich keinen reinen Symbolcharakter hatte, sondern dialogorientierte Gespräche ermöglichte“, fasst Marius Minas die Ergebnisse der Studie zusammen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Marius Minas
Politikwissenschaft
minasm@uni-trier.de
Tel.: +49 651 201-2136
Originalpublikation:
Die Studie
Simon Jakobs, Marius Minas: „Kontakt, Nähe, Vertrauen: Mobilisierungstechniken und -taktiken im Haustürwahlkampf der SPD zur Landtagswahl 2022 im Saarland.“
In: Zeitschrift für Politikwissenschaft, März 2024.
https://doi.org/10.1007/s41358-024-00368-8