Was bedeutet heute eigentlich Familie?
Gesundheit und Ungleichheit in sich verändernden Gesellschaften
Sie ist die kleinste Einheit einer Gesellschaft und sie ist Abbild von Veränderung: die Familie. Was unter ihr verstanden wird, ist einem beständigen Wandel unterworfen. Im Einstein Center Population Diversity (ECPD) kommen Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und weiterer Berliner Einrichtungen zusammen. Am Beispiel der Familie gehen sie den aktuellen demografischen Veränderungen nach: Wie ändern sich Gesellschaft und Familie durch Zuwanderung, Alterung und neue Formen von Arbeit und sozialen Beziehungen? Welche Chancen, aber auch Risiken wie Ungleichheiten in Gesundheit und Bildung enstehen daraus?
Gemeinsame Pressemitteilung der Charité und der Einstein Stiftung Berlin
Kleinfamilie, allein- und getrennt erziehende Familie, Patchwork- oder Regenbogenfamilie, Familie über Landes- oder Kontinentalgrenzen hinweg – die Familie hat heute viele Gesichter. Doch nicht nur diese Vielfalt, auch Zuwanderung und eine steigende Lebenserwartung tragen zur Gestaltung heutiger und künftiger Gesellschaften bei.
„Die wachsende Bevölkerungsvielfalt und die gleichzeitige Veränderung der Altersstruktur stellen Gesellschaften vor Herausforderungen, gerade wenn es um das Beherrschen von Ungleichheitsdynamiken geht. Verschiedene Formen des Zusammenlebens sind dabei eine Chance, sie können aber auch potenzielle Risiken mit sich bringen, beispielsweise wenn Ungleichheit durch räumliche und soziale Ausgrenzung entsteht oder sie sich im Hinblick auf Gesundheit und Bildung verstärkt“, sagt Prof. Paul Gellert, Direktor des ECPD. „Um mit den Chancen und Herausforderungen dieses gesellschaftlichen Wandels umgehen zu können, benötigen wir ein umfassendes Wissen über die komplexen Mechanismen, die die Bevölkerungsvielfalt und die Ungleichheit im Laufe des Lebens bestimmen.“
Wie ungleiche Lebensverläufe entstehen
Die Familie ist ein entscheidender Ort, an dem Ungleichheiten innerhalb und zwischen Generationen entstehen und weitergegeben werden. Dies geschieht unter anderem in Interaktion mit Bildungseinrichtungen, Sozialpolitik und Arbeitsmarkt. Veränderte Verhaltensweisen und Familienmuster können Chancen in einer Gesellschaft sein, etwa beim Herausbilden neuer Pflegearrangements, oder sie sorgen für Wohlstand auf individueller und familiärer Ebene. Gleichzeitig können sie Triebkraft für soziale und gesundheitliche Ungleichheit sein. Besonders deutlich wird der enge Zusammenhang zwischen Familienverhalten und sozialer Ungleichheit am Beispiel des hohen Anteils von Frauen, die nach Trennung und Scheidung von Armut und später Altersarmut betroffen sind.
Auch die COVID-19-Pandemie hat diese Verbindung sichtbarer gemacht. Je nach individueller Konstellation und vorhandenen Ressourcen waren Familien unterschiedlich stark Druck und Stress ausgesetzt, weil staatliche Systeme für die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen zeitweise eingeschränkt wurden. Und auch über die Pandemie hinaus sind pflegende Angehörige die stärkste Säule des Pflegesystems – ihre Bedeutung nimmt in alternden Gesellschaften weiter zu.
Auswirkungen auf Gesundheit und Chancengleichheit
Um die Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Familienmodellen, Gesundheit, Bildung und sozialen Ungleichheiten in alternden Gesellschaften aufzuzeigen, arbeiten im ECPD führende Wissenschaftler:innen disziplinübergreifend zusammen. „Das Einstein Center Population Diversity wird die in Berlin ansässige Forschung an der Schnittstelle von Biomedizin, Sozial- und Gesundheitsforschung bündeln und stärken. Mit Expert:innen aus den Bereichen Demografie, Soziologie, Medizin, Psychologie und Gesundheitswissenschaften ist es in einer einzigartigen Position, um die verschiedenen Mechanismen der Bevölkerungsentwicklung sowie ihre Wechselbeziehungen auf der Ebene der Familie zu untersuchen“, erklärt Prof. Martin Rennert, Vorstandsvorsitzender der Einstein Stiftung Berlin.
Heute nimmt das neue Einstein Center für zunächst sechs Jahre seine Forschungsarbeit auf. Ziel der Wissenschaftler:innen ist es, die Auswirkungen von Familienvielfalt auf soziale Ungleichheit und auf Gesundheit zu entschlüsseln. Sie betrachten dazu Lebensläufe von Menschen ganzheitlich und innerhalb ihrer jeweiligen sozialen, kulturellen und strukturellen Zusammenhänge. Der Fokus des ECPD liegt auf der Analyse von bevölkerungsrepräsentativen Datensätzen sowie Datensätzen zu relevanten biologischen Merkmalen, sogenannten Biomarkern. Die Wissenschaftler:innen werden außerdem in sogenannten Real World Labs mit Vertreter:innen der Zivilgesellschaft ins Gespräch kommen.
Einstein Center Population Diversity (ECPD)
Das ECPD ist ein Konsortium von renommierten Berliner Institutionen, das die Auswirkungen der zunehmenden Bevölkerungsvielfalt auf soziale und gesundheitliche Ungleichheit durch das Prisma der Familie untersucht, unter ihnen die Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Humboldt Universität zu Berlin, die Freie Universität Berlin, die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und das Demografieforschungsnetzwerk Population Europe. Durch eine Kooperation mit dem Leverhulme Centre for Demographic Science im Rahmen der Oxford-Berlin-Forschungspartnerschaft der Berlin University Alliance (BUA) wird das ECPD dauerhafte Verbindungen zu einer international führenden Institution auf diesem Gebiet aufbauen. Es hat eine Laufzeit von sechs Jahren und wird hauptsächlich von der Einstein Stiftung Berlin finanziert, einer Einrichtung zur Wissenschaftsförderung des Landes Berlin.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Paul Gellert
Stellvertretender Direktor
Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft
Charité – Universitätsmedizin Berlin
T: +49 30 450 529 215
paul.gellert@charite.de