Neue Schmetterlingsart entstand vor 200.000 Jahren durch Kreuzung zweier anderer Arten
Bei der Entstehung neuer Arten denken wir an einen Prozess, bei dem sich eine angestammte Art in mindestens zwei neue Arten aufspaltet. Nun hat ein internationales Wissenschaftsteam unter Beteiligung von Forschenden des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) die Entstehung einer neuen Art durch Hybridisierung nachgewiesen: Die amazonische Schmetterlingsart Heliconius elevatus entstand vor 200 000 Jahren bei einer Kreuzung zwischen den Arten Heliconius pardalinus und Heliconius elevatus. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
„Diese Studie befasst sich mit so vielen verschiedenen Ebenen des Artbildungsprozesses, insbesondere mit der Introgression, also der Aneignung ökologischer Merkmale, und konnte nur durch die Zusammenarbeit eines internationalen Teams und die Entschlossenheit sowie harte Arbeit von Dr. Neil Rosser von der Harvard University durchgeführt werden", betont Dr. Karina Lucas Silva-Brandão, Kuratorin für Schmetterlinge am LIB. Sie steuerte brasilianische Proben von Heliconius-Schmetterlingen bei und hat an mehreren Evolutionsstudien mit diesen Schmetterlingen mitgearbeitet.
Arten werden oft als die Spitzen oder Blätter eines „Lebensbaums" betrachtet. In diesem Modell entstehen neue Arten dadurch, dass sich die Spitzen abspalten und über Tausende bis Millionen von Jahren neue Arten bilden. Heute wissen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass die Äste des Lebensbaums verworren sind und Gene durch gelegentliche Kreuzung von einer Art auf eine andere übertragen werden. Dies kann theoretisch zur Bildung einer neuen Art führen.
Der amazonische Schmetterling Heliconius elevatus ist das Ergebnis einer Kreuzung zwischen zwei anderen Arten, H. pardalinus und H. melpomene. Heliconius elevatus ist genetisch näher mit H. pardalinus verwandt, aber es war H. melpomene, die die Merkmale übertrug, die für die Abweichung von H. pardalinus verantwortlich sind, darunter Farbmuster, Flügelform, Vorliebe für Wirtspflanzen, Sexualpheromone und Partnerwahl. Diese Art der Entstehung neuer Arten, bei der die Hybridisierung eine entscheidende Rolle bei der Errichtung von Fortpflanzungsbarrieren spielt, wird als hybride Speziation bezeichnet.
Der Nachweis, dass eine hybride Speziation bei Tieren möglich ist, ist jedoch eine schwierige Aufgabe. Die Forschenden müssen nachweisen, dass die Kreuzung zwischen zwei Arten tatsächlich die Bildung einer völlig neuen Art ausgelöst hat, die sich genetisch von beiden Eltern unterscheidet. Das Wissenschaftlerteam, dem Forschende aus mehreren südamerikanischen Ländern angehören, hat nun ein Beispiel für eine hybride Art bei den farbenprächtigen Heliconius-Schmetterlingen des Amazonas gefunden.
In einer zehnjährigen Studie sammelten die Forscher genetische und ökologische Beweise dafür, dass der Vorfahre der heutigen Heliconius melpomene und Heliconius pardalinus vor fast 200.000 Jahren Teile ihres Genoms einbrachte, um eine dritte Art, Heliconius elevatus, hervorzubringen, und dass alle drei Arten heute im Amazonas-Regenwald nebeneinander existieren.
Professor Kanchon Dasmahapatra vom Fachbereich Biologie der Universität York und Hauptautor der Studie betont: „Hybride Spezies sind zwar nicht so ungewöhnlich, aber überzeugende Beispiele für hybride Tierarten sind wirklich schwer zu finden. Bei den wenigen Beispielen, die es gibt, haben die vermeintlichen Hybridarten entweder nur wenige Generationen lang existiert und sind möglicherweise kurzlebig oder die Hybridart lebt nicht neben ihrer Elternart, so dass es schwierig ist festzustellen, ob es sich tatsächlich um eine neue Art handelt.“
Hauptautor Dr. Neil Rosser, Postdoktorand an der Universität York und jetzt an der Harvard University, verbrachte mehrere Jahre im Amazonasgebiet damit, die beteiligten Arten zu kreuzen. So legte er die genetische Grundlage mehrerer Merkmale offen, die für die Erhaltung der Unterscheidbarkeit einer Art wichtig sind. Zu diesen Merkmalen gehören Farbmuster, Flügelform, Vorliebe für Wirtspflanzen, Sexualpheromone, Partnerwahl und Flug. Er stellt heraus: „Bemerkenswerterweise haben wir festgestellt, dass beim Schmetterling Heliconius elevatus die Teile des Genoms, die diese wichtigen Merkmale steuern, tendenziell mit Regionen des Genoms von Heliconius melpomene übereinstimmen. Dieser Befund ist der Schlüssel zum Nachweis, dass Heliconius elevatus eine hybride Art ist, da er stark darauf hindeutet, dass die Hybridisierung dazu geführt hat, dass der Schmetterling andere Merkmale als seine Eltern hat und sich deshalb nicht mit ihnen fortpflanzen kann."
Kanchon Dasmahapatra fügt hinzu: „Da sich das Verbreitungsgebiet von Arten aufgrund menschlicher Eingriffe und des Klimawandels rasch verändert, werden die Möglichkeiten zur Hybridisierung oder Vermischung zwischen Arten wahrscheinlich zunehmen, was große Auswirkungen hat. Diese zunehmende Vermischung wird wahrscheinlich dazu führen, dass sich mehr Gene zwischen den Arten bewegen, was in einigen Fällen dazu führt, dass Arten von den Genen anderer Arten überschwemmt werden und in anderen Fällen möglicherweise zur Bildung neuer Hybridarten in der Zukunft führt.“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Leibniz Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Museum der Natur Hamburg
Dr. Karina Lucas Silva-Brandão
Kuratorin Lepidoptera, Hamburg
+49 40 238 317 602
Email: K.Brandao@leibniz-lib.de
www.leibniz-lib.de
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41586-024-07263-w