»Riesige, völlig unerschlossene Märkte für die Photonik«
Mit 525 Teilnehmenden und 80 Referierenden aus 21 Ländern, einer komplett ausgebuchten konferenzbegleitenden Ausstellung und 60 »Lasertechnik Live«-Vorführungen in Laboren des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT und der RWTH Aachen University hat der »AKL - International Laser Technology Congress« seinen Ruf als führendes Forum der europäischen Laserindustrie vollauf bestätigt. Innovationen für etablierte Laseranwendungen standen ebenso im Fokus wie potenzielle Milliardenmärkte der Zukunft – darunter Cyberphotonics, Quantentechnologien und die lasergezündete Trägheitsfusionsenergie (Inertial Fusion Energy; IFE). Abermals ein Highlight: Die Gerd Herziger Session.
»Der Laser ist nicht ausgeforscht. Im Gegenteil – 60 Jahre nach seiner Erfindung geht es nun erst richtig los!«, sagte Prof. Constantin Häfner, Leiter des Fraunhofer ILT in Aachen, bei seinem Abschlussvortrag des AKL’24. Mit Blick nach vorn sehe er riesige, völlig unerschlossene Märkte für die Photonik mit vielen hundert Milliarden Euro Umsatzpotenzial: »Quantentechnologien, Nachhaltigkeit, Secondary Sources, Cyberphotonics und die Trägheitsfusion«. Häfners Aufzählung war zugleich ein Rückblick auf die Top-Themen des »AKL - International Laser Technology Congress«, zu dem letzte Woche (17.-19. April 2024) 525 Teilnehmende, 80 Referierende sowie 58 Ausstellerfirmen aus 21 Ländern nach Aachen geströmt waren.
Einfluss von Digitalisierung und KI auf Wertschöpfung und Geschäftsmodelle
Im dreitägigen Vortragsprogramm war ein Thema allgegenwärtig. Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet Forschungsinstituten, Anbietern von Lasersystemen und deren Anwendern neue Horizonte. Im Zusammenspiel mit der dynamisch fortschreitenden Digitalisierung und der immer engmaschigeren sensorischen Prozessüberwachung wird KI zu einem hocheffektiven Werkzeug. Denn entlang industrieller Prozessketten fallen massenhaft Daten an, die Unternehmen dank KI zu Informationen mit Mehrwert veredeln können. Was das für die Wertschöpfung und Geschäftsmodelle in der Lasertechnik bedeutet, erörterte Häfner im Zuge der Gerd Herziger Session des AKL’24 mit drei Top-Managern der Branche: Dr. Hagen Zimer, Vorstandsmitglied und CEO Laser Technology der TRUMPF SE + Co. KG in Ditzingen, Dr. Christoph Rüttimann, CTO Bystronic Group in Niederönz (CH) sowie Dr. Christopher Dorman, Executive Vice President des COHERENT Lasers Business.
Häfner wies einleitend auf die Chancen der Cyberphotonics für die Branche hin. »Als Fraunhofer ILT werden wir unsere gewachsene Kompetenz in den Anwendungen von Lasertechnik und Optiken weiterentwickeln, sie aber um digitale Dimensionen und die rasch zunehmenden Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz erweitern«, sagte er. Da absehbar sei, wie tief und schnell KI die Wertschöpfung in der Photonik verändern wird, adaptiere man sie ohne Zögern. Schon jetzt steige der Einsatz von KI exponentiell; auch in der Photonik, deren Akteuren Häfner riet, ohne weiteren Zeitverzug in die KI-Anwendung einzusteigen. »Der Zugang zu Daten und die Fähigkeit, mit KI Mehrwerte daraus zu ziehen, ist schon jetzt gleichbedeutend mit Wettbewerbsvorteilen«, mahnte er. Mittelfristig gehe es darum, wer die Photonikmärkte kontrollieren wird. Anbieter von photonischer Hardware oder Softwarekonzerne, die Laser quasi als Commodity in digitale Plattformen einbinden und die Wertschöpfung in digitale Services verlagern?
Laser nicht zur austauschbaren Commodity werden lassen
Mit einem Exkurs in die Landtechnik verdeutlichte Häfner seine These: Hersteller von Traktoren, Mähdreschern und Anbaugeräten hätten sich sehr früh auf standardisierte Datenschnittstellen verständigt, über die Maschinen, Geräte und zunehmend optische Sensoren Daten austauschen und in die Cloud übermitteln. Auf diesem Fundus sind digitale Plattformen entstanden, die Landwirten echte Mehrwerte bieten. Konsequent zu Ende gedachte Integration – vernetzt, smart und serviceorientiert – als Basis für ein rundum informiertes, datenbasiertes Farmmanagement. Dessen Fixpunkt bleibt die Landmaschine. Rundum bilden sich digitale Ökosysteme, in denen Landwirte sensorisch ermittelte, räumlich und zeitlich hochaufgelöste Daten zur Fruchtbarkeit, zum Dünger- und Bewässerungsbedarf und Ernteertrag ihrer Äcker finden oder auf Wetterdaten, Handelspreise und Fuhrparkmanagementlösungen zugreifen können. Absehbar werden auch vollautonome Landmaschinen diese hochpräzisen, intelligenten Farmsysteme mit Daten versorgen und umgekehrt datenbasierte Handlungsempfehlungen umsetzen.
Die Photonik kann laut Häfner vergleichbare Ökosysteme schaffen, ihre Lasersysteme in aller Welt vernetzen, Daten sammeln und mit KI-Tools Mehrwerte für Kunden schaffen. »Sie ermöglicht gezieltere Forschung und Entwicklung, verkürzt die Time-to-Markt, hilft Laserprozesse zu optimieren und prädiktive, proaktive Services zu realisieren«, sagte er. Data Science sei der Schlüssel zu tieferem Verständnis von Mess- und Sensordaten und von Laserbearbeitungsprozessen. Da KI, Machine Learning sowie Digitale Zwillinge das technologische Repertoire stark erweitern, seien mittelfristig selbstlernende Maschinen und eine »First-Time-Right (FTR) Produktion« zu erwarten. Cyberphotonics könnten den Weg zu einem »Internet of sustainable Production« ebnen, an dem das Fraunhofer ILT mit anderen Aachener Forschungseinrichtungen arbeitet, um datenbasierte Prozesse für die Circular Economy voranzutreiben. Das Fraunhofer ILT selbst nutze KI bereits für das Design von optischen Systemen, für ein effektiveres Miteinander von Simulationen und realen Tests, sowie zur Prozessoptimierung und Regelung von Laserprozessen on-the-fly. Das Ziel der FTR-Fertigung rückt näher. Doch mit Blick auf den globalen Wettbewerb richtete Häfner zwei Fragen ans Podium: »Reicht die Geschwindigkeit unserer Branche? Und sind Ihre Unternehmen bereit für Cyberphotonics?«.
KI-Einsatz pragmatisch angehen – es geht um »Readiness for Cyberphotonics«
Die Antworten von Zimer, Dorman und Rüttimann waren eindeutig. TRUMPF, Bystronic und COHERENT arbeiten intensiv mit KI und treiben digitale Strategien zur Vernetzung ihrer Prozesse, Produkte und Organisationen voran. Bei Bedarf ziehen sie Know-how von Startups und Forschungsinstituten sowie ihren Kunden hinzu.
Zimer teilte die Sorge, photonische Hardware könne zur Commodity werden; »selbst hochentwickelte Laser und Lasersysteme«. Deshalb müsse sich die Branche bewegen. »Digitalisierung mit Embedded Systems und Sensors bildet die Welt immer genauer ab. Mit KI können wir komplexen, aus verschiedenen Bereichen stammenden Daten bisher unzugängliche Informationen entnehmen«, sagte er. Es stehe ein Werkzeug bereit, das die evolutionär perfektionierten neuronalen Lernabläufe des menschlichen Gehirns in Lichtgeschwindigkeit nachbildet. Bisherige Limits im Verständnis photonischer Prozesse würden überwindbar. Das eröffne Optimierungspotenziale für Produkte und Prozesse, für die Automation in der eigenen Fertigung und bei Kunden – und sogar, um mithilfe großer Sprachmodelle verteilte Unternehmensdaten zusammenzuführen. Bei alledem komme es auf Pragmatismus an: Pilotprojekte starten, Potenziale erkunden und externe Kompetenz hinzuziehen, wo sie fehlt. Wer noch keine KI nutze, solle schnell und ohne große organisatorische Vorbereitung damit beginnen, riet er.
Christopher Dorman pflichtete bei. Auch COHERENT mit den Einheiten Material (II-VI), Datacom (Finisar) and Lasers (Coherent) zögere nicht beim KI-Einsatz – und adressiere damit große Herausforderungen. Laut Prognosen könnte der von KI ausgelöste Bedarf an Rechnerkapazitäten 2030 ein Zehntel des globalen Energiebedarfs beanspruchen. »Mit KI-optimierten photonischen Lösungen können wir hier gegensteuern«, sagte er. COHERENT nutze KI heute in der Halbleiterinspektion, beschleunige die Hardware-Entwicklung, erziele durch KI-gestütztes Software-Coding Effizienzzuwächse zwischen 30 und 50 Prozent, charakterisiere Optiken mithilfe von KI oder nutze sie für smarte Sensorsysteme, die Schweißprozesse überwachen. »Weil wir das disruptive Potenzial und die riesigen Chancen sehen, sind wir entschlossen, ihre Vorteile schnellstmöglich für unsere Kunden nutzbar zu machen«, erklärte Dorman.
Vorteile der AI-getriebenen Cyberphotonics schnell und umfassend nutzen
Die Bystronic Group verfolgt laut Rüttimann einen ähnlichen Ansatz. Anhand eines vermeintlich einfachen Laserschneidprozesses in Stahlblech zeigte er, wie die Schweizer vorgehen: »Wir haben eine KI-basierte On-the-fly Anpassung der Parameter realisiert, die im Zusammenspiel mit einem Kamerasystem autonom die Einstellungen für das beste Schneidergebnis mit minimalem Nachbearbeitungsbedarf findet«. KI senke die Kosten, adaptiere Prozesse an wechselnde Werkstoffe und Materialchargen und führe unerfahrene Nutzer automatisch zu optimalen Prozessparametern. »KI wird so zum Problemlöser mit großem Potenzial für die Optimierung der Laserprozesse und Produktionsplanung unserer Kunden«, erklärte er.
Mit Blick auf das Potenzial von KI mahnte Dorman ein »Silikon Valley Mindset« an: »Wir sollten uns auf die Chancen konzentrieren und sie schnell adaptieren«. Ansätze seien in der Photonik zu beobachten. Doch noch sind laut Zimer vor allem angelernte KI´s für eine qualitätsgetriebene Prozessoptimierung im Einsatz. Sie liefere vertieftes Prozessverständnis, mit dem Anbieter zunächst höhere Bearbeitungsgeschwindigkeiten realisieren werden. Doch die Evolution weise in Richtung selbstlernender Maschinen, die Bearbeitungsprozesse im Zusammenspiel mit Realtime-Inline-Sensorik on-the-fly regeln werden. »Dann werden wir eine sehr schnelle Markdurchdringung erleben«, zeigte er sich überzeugt.
Rüttimann teilte diese Einschätzung. In künftigen vollautomatisierten, smarten Fabriken werde KI die Prozesse auf breiter Front regeln und steuern. Um sich in dieser Welt zu behaupten, komme es tatsächlich auf Mentalität an: Machen statt Zaudern. Chancen in den Mittelpunkt stellen, statt in Sorge vor den Risiken nach Regulierung zu rufen. Das Fraunhofer ILT geht genau diesen Weg. »KI ist das erste Technologiefeld, das wir ohne Gründung einer Taskforce angehen«, berichtete Häfner. Denn es gehe aktuell darum, die Entwicklungsdynamik und die Vorteile der AI-getriebenen Cyberphotonics schnell für eigene Forschungsprojekte nutzbar zu machen – und in Form anwendungsnaher Forschungsdienstleistungen in die Industrie zu transferieren.
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