Die neuronale Verarbeitung des Gleichgewichtssinns verstehen
Maximilian U. Friedrich erhält den Jung-Karriere-Förderpreis für medizinische Forschung 2024 für seine Forschungen zum Gleichgewichtssinn
Was haben Tontechnik, ein Zivildienst und ein Forschungsaufenthalt in New York City gemeinsam? Sie alle haben die Karriere von Dr. med. Maximilian U. Friedrich vorangetrieben. Der junge Neurologe arbeitet aktuell als Clinician Scientist in der Neurologie und Postdoktorand am Center for Brain Circuit Therapeutics des Brigham and Women’s Hospital und Forschungsstipendiat an der Harvard Medical School. Dort erforscht er die Hirnschaltkreise, die eine tragende Rolle bei Gleichgewichtsstörungen spielen, wie sie sehr häufig bei neurologischen Erkrankungen wie Schlaganfall, Multiple Sklerose oder der Parkinsonerkrankung auftreten. Besonders am Herzen liegt es ihm, durch ein besseres Verständnis des vestibulären Systems eine Grundlage zu schaffen für die Entwicklung innovativer Therapieansätze für neurologische Erkrankungen. Für diesen Forschungsansatz erhält er in diesem Jahr den Jung-Karriere-Förderpreis für medizinische Forschung 2024 von der Hamburger Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung. Der Preis unterstützt seine wissenschaftliche Arbeit an der neuronalen Verarbeitung des Gleichgewichtssinns in den kommenden drei Jahren mit insgesamt 210.000 Euro, die Maximilian U. Friedrich frei einsetzen kann.
Der Gleichgewichtssinn ermöglicht uns die Anpassung an eines der fundamentalen Naturgesetze: die Schwerkraft. Er wird durch das sogenannte vestibuläre Organ im Innenohr gesteuert, das aus jeweils drei Bogengängen und zwei Otolithenorganen besteht. Dieses Organ erfasst die Bewegungen von Kopf und Körper entlang aller Raumrichtungen. Signale aus diesem System sowie Sehreize werden an das Gehirn weitergegeben und geben uns ständig Informationen darüber, wo und wie wir uns im Raum befinden. Deshalb können Störungen des Gleichgewichtssinns unsere Lebensqualität drastisch reduzieren und sogar zu Arbeitsunfähigkeit oder langfristig zu Depression und Angst führen. Diese Fakten sind bekannt – allerdings gibt es bislang keine effektiven Therapien. Hier setzt einer der diesjährigen Jung-Karriere-Förderpreisträger mit seinem Projekt an: Dr. med. Maximilian U. Friedrich erforscht das „Gehirn im Gleichgewicht: Translationale Neuroanatomie und konnektombasierte Netzwerkanalyse des vestibulären Systems“.
Bisher untersuchte Maximilian Friedrich unter anderem, wie und wo den Gleichgewichtssinn betreffende Signale weiterverarbeitet werden. Ausgangspunkt waren dabei schlaganfallbedingte Verletzungen und elektrische Stimulationen im Gehirn, die die Gleichgewichtswahrnehmung beeinträchtigen. Es gelang ihm außerdem, ein auf Künstlicher Intelligenz basierendes System zu entwickeln, mit dem sich mittels gewöhnlicher Smartphones Augenbewegungsstörungen analysieren lassen, die charakteristisch bei Gleichgewichtserkrankungen auftreten. Die Ergebnisse sind vergleichbar mit denen bisheriger teurer Spezialmethoden, so dass die von ihm gewonnenen Erkenntnisse in Zukunft bei medizinischen Untersuchungen direkt am Krankenbett eine Rolle spielen könnten. Der Jung-Karriere-Förderpreis ermöglicht es ihm nun, auf seinen bisherigen Forschungen aufzubauen und das Gleichgewichtssystem über die nächsten drei Jahre im Detail weiter zu untersuchen. Eines der Ziele seiner geplanten Arbeit ist es, modernste, hochauflösende bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) mit detaillierten anatomischen Schnittpräparaten zu integrieren, um so einen Atlas des neuronalen Netzwerks des Gleichgewichtssinns zu erstellen. Dieser Atlas soll helfen, schlaganfallbedingte Schädigungen von Gleichgewichtsnetzwerken besser zu verstehen. Die mit dem Jung-Karriere-Förderpreis einhergehenden 210.000 Euro kann er über einen Zeitraum von drei Jahren frei dazu einsetzen, diese Ziele zu erreichen.
Neben Dr. med. Maximilian U. Friedrich geht der Jung-Karriere-Förderpreis in diesem Jahr auch an die Kardiologin Dr. med. Christine Maria Poch, die an der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I der Technischen Universität München das menschliche Herz anhand von Modellsystemen untersucht. Beide erhalten die volle Fördersumme.
Über Umwege ans Ziel – Der Werdegang von Dr. Maximilian U. Friedrich
Fast wäre Maximilian U. Friedrich gar nicht in der Medizin oder Wissenschaft gelandet: Er hatte ein Studium der Germanistik, Philosophie und klassischen Philologie vorgesehen. Doch noch bevor er damit starten konnte, stand für ihn der Zivildienst an. Er entschied sich für eine pflegerische Arbeit im Krankenhaus – und stellte die Weichen für sein berufliches Leben ganz neu. „Ich fühlte mich einfach sofort ‚richtig‘. Und dadurch, dass ich oft neuropsychiatrisch arbeite, kann ich noch immer meiner Faszination für die „Wissenschaft des Geistes“ nachgehen – nur jetzt eben aus einem anderen Blickwinkel“, fasst er die Entscheidung zusammen. Dass sich seine berufliche Laufbahn in diese Richtung bewegt, hätte sich auch früher abzeichnen können: „In meiner Jugend habe ich mich hobbymäßig als Tontechniker engagiert. Dabei habe ich mich natürlich auch mit Schaltkreisen und Signalprozessierung auseinandergesetzt – Themen, die mich heute auch in meinem Beruf begleiten.“
Nach der Aufnahme seines Medizinstudiums in Würzburg stellte sich schnell heraus, dass besonders die neuropsychiatrischen Fächer ihn begeisterten. Die finale Entscheidung für dieses Spezialgebiet fiel dann im Rahmen seiner anschließenden Rotation in der Neurologie im Praktischen Jahr: Die Kunstfertigkeit seines Mentors inspirierte ihn. „Er schaffte es, nur auf Basis einer nuancierten Untersuchung der Augenbewegungen und des Gleichgewichts und fast ohne Einsatz von Apparaten die komplexesten neurologischen Rätsel direkt am Patientenbett zu lösen“, erklärt Maximilian U. Friedrich. „Hier sprang der Funke für mein späteres Spezialgebiet über: die Störungen von Gleichgewicht, Augenbewegungen und der Motorik.“
Jung-Karriere-Förderpreis 2024 für Grundlagenforschung in der Neurologie
Die Liebe zur Musik hat Maximilian U. Friedrich bis heute nicht verloren. „Ich mag deutschen HipHop sehr. Und wenn ich mich nicht gerade mit Hirnschaltkreisen beschäftige, dann erzeuge ich als DJ Musik aus elektrischen Schaltkreisen.“ Darüber hinaus sorgen auch Ausdauersport und Abenteuer in der Natur für den passenden Ausgleich zum stressigen Alltag. Denn leicht ist der Weg für ihn nicht. Passend zu seinem Lebensmotto „Per aspera ad astra“ hat er sich seinen Erfolg mit viel Initiative, Authentizität, Bodenständigkeit und Leistungsbereitschaft erarbeitet – und ist daher umso dankbarer für die Unterstützung, die die Jung-Stiftung ihm jetzt durch die Verleihung des Jung-Karriere-Förderpreises zukommen lässt. „Auf dem Karriereweg als Clinician-Scientist ist aller Anfang schwer und hängt stark von äußeren Faktoren wie ideelle und finanzielle Förderung ab“, fasst Maximilian U. Friedrich die aktuelle Situation zusammen. „Über die vergangenen Jahre habe ich neben der klinischen Arbeit mit Herzblut an der Entwicklung meines wissenschaftlichen Programms gearbeitet, eine integrierte Ambulanz für Patient*innen mit komplexen Gleichgewichtserkrankungen aufgebaut, und herausragende Mentoren gewinnen können – jedoch musste ich mich auch über Widerstände und Rückschläge hinwegsetzen. Die Bedeutung der Auszeichnung der Jung Stiftung kann ich daher gar nicht überschätzen.“ Besonders schätzt er die damit verbundene Unabhängigkeit: „Die Förderung ermöglicht mir die Gründung einer eigenen Arbeitsgruppe und damit die Verwirklichung meines ganzheitlichen klinisch-wissenschaftlichen Programms. Hierfür bin ich ungemein dankbar.“
Die Jung-Stiftung engagiert sich seit 1975 für den Fortschritt der Humanmedizin. Mit ihren Preisen sowie verschiedenen Stipendien kommt die Stiftung so auf jährliche Förderungen im Wert von bis zu 650.000 Euro.