Rassismusmonitor: Wer trotz Vollzeitjob in Deutschland besonders armutsgefährdet ist
Der neue Kurzbericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) ermöglicht erstmals eine Analyse der Armutsgefährdung dreier rassistisch markierter Gruppen in Deutschland: Schwarze, asiatische und muslimische Menschen. Demnach haben rassistisch markierte Menschen ein zum Teil deutlich erhöhtes Armutsrisiko gegenüber nicht rassistisch markierten Menschen, auch schützen eine hohe Bildung und Vollzeitjobs sie weniger. Die deutsche Staatsbürgerschaft kann das Armutsrisiko je nach Gruppe unterschiedlich stark senken.
Der Kurzbericht "Grenzen der Gleichheit" basiert auf einer repräsentativen Befragung (NaDiRa.panel) von 21.000 Menschen zwischen Januar und März 2022.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2022 14,8 % aller in Deutschland lebenden Menschen armutsgefährdet. Derartige Berichte berücksichtigen zwar den Migrationshintergrund, nicht aber Rassismus und Mehrfachdiskriminierung.
Die NaDiRa-Daten ergänzen die Armutsforschung um diese Perspektive, indem sie zeigen: Eine Differenzierung allein nach Migrationshintergrund reicht nicht aus, weil die Analyse nach rassistisch markierten Gruppen zeigt, dass die Unterschiede zwischen den Gruppen differenziert sind und sich zum Teil erheblich vergrößern. Um eine gerechtere Teilhabe aller Gruppen zu gewährleisten, müssen Benachteiligungsprozesse berücksichtigt werden.
Zentrale Ergebnisse:
1) Rassistisch markierte Menschen haben ein höheres Armutsrisiko als nicht rassistisch markierte Menschen: Während die Armutsgefährdungsquote bei nicht rassistisch markierten Männern bei 9 % bzw. bei Frauen bei 10 % liegt, trifft dies bei 26 % der Schwarzen Männer und Frauen, bei 30 % bzw. 26 % der asiatischen Männer und Frauen sowie bei 41 % bzw. 38 % der muslimischen Männer und Frauen zu.
2) Hohe Bildung und eine Erwerbstätigkeit schützen rassistisch markierte Menschen weniger als nicht rassistisch markierte Menschen vor Armutsgefährdung: Die Gefahr, trotz Vollzeiterwerbstätigkeit unter der Armutsschwelle zu leben, ist bei Schwarzen Frauen (22 %), muslimischen Männern (21 %) und asiatischen Männern (19 %) etwa viermal höher als bei nicht rassistisch markierten Männern und Frauen (5 %).
3) Der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft kann das Armutsrisiko senken: Dieser Zusammenhang lässt sich in allen Gruppen feststellen, wobei er sich besonders bei Schwarzen Frauen sowie bei Schwarzen und asiatischen Männern herauskristallisiert.
Dazu der Direktor des DeZIM-Instituts, Prof. Dr. Frank Kalter:
„In Deutschland fehlt bislang eine quantitative Analyse zur Rolle von Rassismus beim Armutsrisiko. Der Rassismusmonitor deckt auf: trotz Vollzeitarbeit sind jeder fünfte muslimische Mann, jede fünfte asiatische Frau und jede fünfte Schwarze Frau in Deutschland von Armut bedroht. Es ist nicht zu übersehen, wie eng strukturelle und institutionelle Formen von Rassismus mit einem erhöhten Armutsrisiko verbunden sind.“
Die Leiterin des Nationalen Diskriminierungs-& Rassismusmonitors, Prof. Dr. Zerrin Salikutluk:
„Um das erhöhte Armutsrisiko rassistisch markierter Menschen zu verringern, müssen rassistische Strukturen und Diskriminierungen in verschiedenen Bereichen wie dem Bildungssystem, dem Arbeitsmarkt, dem Gesundheitssystem und dem Wohnungsmarkt umfassend abgebaut werden. Es geht nicht nur darum, gleiche Bildungschancen und berufliche Qualifikationen für alle zu gewährleisten, sondern auch darum, ausländische Bildungs- und Berufsabschlüsse anzuerkennen. Bildung und Arbeit muss sich für alle gleichermaßen lohnen.“
Die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, kommentiert den Kurzbericht:
„Rassismus macht arm und es ist ein Skandal, dass ein hoher Bildungsabschluss oder Vollzeit-Arbeit nicht alle Menschen gleichermaßen vor Armut schützen. Egal wie sehr sich von Rassismus betroffene Menschen anstrengen, wieviel sie arbeiten - Chancengleichheit erreichen sie dadurch noch nicht. Darum müssen wir Rassismus auf allen Ebenen bekämpfen, an die Strukturen ran, die auch am Arbeitsmarkt rassistisch diskriminieren. Und wir müssen bei allen Anstrengungen immer die Betroffenen in den Mittelpunkt stellen. Dafür habe ich das größte Netzwerk community-basierter Beratungs- und Anlaufstellen in Deutschland aufgebaut, für alle, die Rassismus erfahren.“
Die ausführlichen Ergebnisse finden Sie hier: https://www.rassismusmonitor.de/
Interviewanfragen richten Sie bitte an presse@dezim-institut.de oder Tel: +49 30 200754-130.
ÜBER DEN RASSISMUSMONITOR
Der Deutsche Bundestag hat im Juli 2020 das DeZIM mit dem Aufbau eines Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor beauftragt. Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) erfasst seit 2020 systematisch und multimethodisch verschiedene Dimensionen von Diskriminierung und Rassismus, um gesellschaftliche Entwicklungen und Trends zu identifizieren. Der Monitor dient dazu, Ursachen, Ausmaß und Folgen von Diskriminierung und Rassismus auf eine empirische Basis zu stellen, um daraus politische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Dabei arbeitet er im Austausch mit einem zivilgesellschaftlichen Begleitprozess.
ÜBER DAS DEZIM-INSTITUT
Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) forscht zu Integration und Migration, zu Konsens und Konflikten, zu gesellschaftlicher Teilhabe und zu Rassismus. Es besteht aus dem DeZIM-Institut und der DeZIM-Forschungsgemeinschaft. Das DeZIM-Institut hat seinen Sitz in Berlin-Mitte. In der DeZIM-Forschungsgemeinschaft verbindet sich das DeZIM-Institut mit sieben anderen Einrichtungen, die in Deutschland zu Migration und Integration forschen. Das DeZIM wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Zerrin Salikutluk
Leitung Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor
salikutluk@dezim-institut.de
Weitere Informationen:
https://www.rassismusmonitor.de/ Hier finden Sie den aktuellen Kurzbericht und weitere Informationen zum Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor.