Behandlung von Depressionen durch das Ohr - Erstmals transkutane Vagusnervstimulation bei Jugendlicher
Weltweit leben etwa 350 Millionen Menschen mit einer Depression. Sie zählen weltweit zu den häufigsten Ursachen für gesundheitsbezogene Beeinträchtigungen. Viele der Betroffenen berichten bereits im Kindesalter über erste Symptome. Gleichzeitig spricht die Mehrheit der Kinder- und Jugendlichen mit Depressionen nicht hinreichend auf die aktuell verfügbaren Therapien – Psychotherapie und Pharmakotherapie – an. Einem Forschungsteam der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln sowie der Medizinischen Fakultät Köln ist es nun gelungen, eine neue Therapieform – eine transkutane Vagusnervstimulation – bei einer jugendlichen Patientin einzusetzen und ihre Symptomatik damit zu verbessern.
Der Fallbericht wurde in der Fachzeitschrift „The Journal of Pediatrics“ veröffentlicht.
Bei Erwachsenen bieten invasive Verfahren der Neuromodulation, zum Beispiel die Vagusnervstimulation, eine Behandlungsalternative für Patientinnen und Patienten mit schwer-behandelbaren Depressionen. Hierbei wird ein Stimulator mittels einer Operation unter dem Schlüsselbein eingebracht und der Vagusnerv über eine Elektrode direkt stimuliert.
Für Minderjährige war dieses invasive Verfahren bisher aufgrund der mit der Operation verbundenen Risiken ungeeignet. Durch technologische Entwicklungen ist die elektrische Stimulation des Vagusnervs heute auch durch das Ohr möglich. Dabei wird eine Elektrode, ähnlich wie bei einem Hörgerät, ohne operativen Eingriff am Ohr platziert. Sie erzeugt einen schwachen Stromfluss. Dieser reicht aus, um einen Ast des Vagusnervs zu stimulieren. Er erstreckt sich bis in den Hirnstamm. Diese Form der Stimulation ist weitgehend frei von Nebenwirkungen und gut verträglich. Bei Erwachsenen mit Depressionen wird die sogenannte transkutane aurikulare Stimulation des Vagusnervs (taVNS) bereits erfolgreich eingesetzt. Neben experimentellen Studien zur akuten Stimulation fehlten bislang jedoch Arbeiten dazu, ob eine derartige Langzeit-Stimulation auch bei Kindern und Jugendlichen mit Depressionen machbar ist.
Dem Forschungsteam der Arbeitsgruppe für Biologische Kinder- und Jugendpsychiatrie unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Julian Koenig an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln ist nun die weltweit erste Behandlung einer Patientin mit taVNS gelungen. Der Fallbericht wurde in der Fachzeitschrift „The Journal of Pediatrics“ veröffentlicht. Die Patientin, die im Laufe ihrer langen Krankheitsgeschichte nicht auf unterschiedliche Verfahren der Psychotherapie und mehrere medikamentöse Behandlungen ansprach, wurde an der Uniklinik Köln ambulant betreut und nutzte einen mobilen Stimulator in ihrem Alltag. Im Rahmen der für sie gut verträglichen Behandlung berichtete die Patientin erstmals von einer klinisch bedeutsamen Verbesserung ihrer depressiven Symptomatik.
„Unser Fallbericht zeigt die grundsätzliche Machbarkeit der Behandlung auch bei Kindern und Jugendlichen mit schwer-behandelbaren Depressionen. Allerdings sind nun größer angelegte klinische Studien notwendig, um die Effekte der Behandlung und Ihre Nachhaltigkeit zuverlässig zu beurteilen“, so Prof. Koenig.
Die Forschenden entwickeln aktuell gemeinsam mit der Medizinischen Fakultät und mit Partnern aus der Industrie neue Geräte, die spezifisch für die Stimulation von Kinder- und Jugendlichen abgestimmt sind. Mittelfristig sollen durch multizentrische randomisiert-kontrollierte Studien belastbare Nachweise zur klinischen Wirksamkeit des Verfahrens erbracht werden.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Univ.-Prof. Dr. Julian Koenig
Originalpublikation:
Koenig J, Vöckel J. Transcutaneous Auricular Vagus Nerve Stimulation in Adolescent Treatment Resistant Depression - A Case Report. J Pediatr. 2024 Apr 27:114078. doi: 10.1016/j.jpeds.2024.114078. Epub ahead of print. PMID: 38685314.
PubMed Link: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38685314/