Die Richtlinie zum vorübergehenden Schutz: schneller Zugang zu Rechten aber unsichere langfristige Aufenthaltssituation
Als nationale Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN) hat das Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) die Praktiken und Herausforderungen der Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes für Geflüchtete aus der Ukraine untersucht. Die Studie zeigt: Zwar schafft die sogenannte Temporary Protection Directive („TPD-Richtlinie“) schnellen Schutz für die Betroffenen, erzeugt aber aufgrund des begrenzten Geltungszeitraums auch Unsicherheiten im Hinblick auf einen längerfristigen Aufenthalt. Derzeit ist der vorübergehende Schutz bis März 2025 gesichert, aufenthaltsrechtliche Nachfolgeregelungen existieren bisher nicht.
Das EMN Deutschland Paper beleuchtet die rechtliche und verwaltungstechnische Umsetzung der Richtlinie 2001/55/EG (TPD-Richtlinie), die erstmalig am 4. März 2022 als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit einhergehenden Fluchtbewegungen aktiviert wurde. Die Richtlinie ermöglicht eine unkomplizierte Aufnahme der Geflüchteten ohne Einzelfallprüfung. „Im Fokus der Studie steht der Zugang zu den im Rahmen der Richtlinie gewährten Rechten in den Bereichen Wohnen, Arbeit, Sozialleistungen und Bildung. Zudem werden im Zusammenhang mit der Implementierung der Richtlinie bewährte Praktiken und der Umgang staatlicher Akteure mit Herausforderungen analysiert.“, so Philipp Heiermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im BAMF-FZ. Erkenntnisse aus dem EMN Deutschland Paper fließen in eine vergleichende EMN-Studie ein, die einen gesamteuropäischen Überblick zum Thema darstellt. Die Studie wird in allen Mitglieds- und Beobachterstaaten des EMN nach gemeinsamen Vorgaben durchgeführt.
Die Geflüchteten aus der Ukraine erlangen über die TPD-Richtlinie zwar schnell einen vorübergehenden Schutz in Deutschland nach § 24 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Zugleich sind mittel- bis langfristige Aufenthaltsperspektiven in Deutschland aufgrund des begrenzten Geltungszeitraums der Richtlinie gegenwärtig nicht gegeben.
Beschäftigung und Bildungsbeteiligung im Mittelpunkt der Integrationsförderung
Die Schutzberechtigten aus der Ukraine haben in Deutschland vollen Arbeitsmarktzugang und erhalten Leistungen nach dem SGB II und SGB XII. Die Beschäftigungsquote der ukrainischen Geflüchteten lag im Sommer 2023 bei etwa 19 Prozent und ist damit zum Vorjahr (14,6 Prozent) gestiegen. Hürden bestehen insbesondere mit Blick auf eine qualifikationsadäquate Beschäftigung und Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen. Der Aktionsplan „Job-Turbo zur Arbeitsmarktintegration“ soll die Erwerbsbeteiligung beschleunigen.
Im September 2023 besuchten über 210.000 ukrainische Schülerinnen und Schüler deutsche Schulen. Neben der Integration in den regulären Schulbetrieb werden auch ukrainische Lehrkräfte und Unterrichtsmaterialen eingesetzt sowie die Online-Teilnahme am ukrainischen Fernunterricht unterstützt. Für ukrainische Studierende besteht ein erleichterter Zugang zum Hochschulsystem.
79 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer in Privatunterkünften
Bei der Unterbringung der ukrainischen Geflüchteten spielen private Unterkünfte eine zentrale Rolle. Nach Erkenntnissen der aktuellen Forschung waren im Anfang 2023 79 Prozent der Betroffenen privat untergebracht. „Empirische Daten zeigen, dass sich die Wohnsituation ukrainischer Geflüchteter im Zeitverlauf verbessert. Ob Geflüchtete privat oder in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, hängt vor allem von den bestehenden sozialen Kontakten in Deutschland ab, was die Bedeutung des privaten Engagements bei der Wohnraumversorgung hervorhebt“, so Kaan Atanisev, wissenschaftlicher Mitarbeiter im BAMF-FZ.
Zur Gewährung der freien Mobilität der Geflüchteten innerhalb der Europäischen Union sowie zur Vermeidung von Leistungsmissbrauch durch Doppelregistrierungen wurde die Registrierungsplattform „Temporary Protection Registration Plattform (TPP)“ geschaffen. Ein Dunkelfeld besteht allerdings weiterhin im Bereich der temporären und dauerhaften Rückkehr in die Ukraine. Hier sollen durch Forschung sowie eine geplante Verbesserung des Datenaustauschs zwischen Ausländer- und Leistungsbehörden Daten über Mobilität zwischen der Ukraine und Deutschland geschaffen werden.
Notwendigkeit einer Nachfolgeregelung zur TPD-Richtlinie
Die Richtlinie gewährt derzeit Schutz bis zu ihrem Auslaufen im März 2025. Ein Wechsel in mittel- und längerfristige Aufenthaltstitel - etwa zum Zweck der Ausbildung, des Studiums oder der Erwerbstätigkeit sowie in eine Niederlassungserlaubnis - ist zwar grundsätzlich möglich, findet bislang aber kaum statt. Zum Zeitpunkt der Studie haben lediglich 3,4 Prozent der ukrainischen Geflüchteten einen solchen Wechsel vollzogen. Dies dürfte daran liegen, dass ukrainische Geflüchtete die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Wechsel noch nicht erfüllen. Auch im März 2025 werden die Schwellen für einen Titelwechsel für viele Betroffene zu hoch sein.
Ohne den Übergang in einen anderen Aufenthaltstitel und ohne eine aufenthaltsrechtliche Nachfolgeregelung zur TPD-Richtlinie bleibt nach März 2025 nur die Möglichkeit der Rückkehr in die Ukraine oder die Asylantragsstellung. Beide Optionen erscheinen aus heutiger Sicht nicht praktikabel. Vor diesem Hintergrund ist eine klare Nachfolgeregelung dringend erforderlich. Eine frühzeitige Entscheidung würde klare Perspektiven für die Geflüchteten schaffen und den beteiligten Behörden Zeit zur Vorbereitung geben.
Weitere Informationen:
Das EMN Deutschland Paper zur Umsetzung der TPD-Richtlinge finden Sie hier: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/EMN/EMNDeutschlandPaper/emn-dp-1-2024-tpd-richtlinie-ukr-gefluechtete.html?nn=282388
Am 12. Juni 2024 (10:30 bis 12:00 Uhr) findet ein englischsprachiger EMN Deutschland-Workshop im Onlineformat statt. Thema: Ukrainische Geflüchtete in der EU. Hier können Sie sich anmelden: https://www.bamf.de/SharedDocs/Veranstaltungen/DE/2024/EMN/240612-emn-workshop.html?nn=282388
Das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN) ist eine Einrichtung der Europäischen Kommission. Das Netzwerk verfügt über nationale Kontaktstellen in den Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark sowie in Norwegen, Georgien, Moldau, Ukraine, Montenegro, Armenien und Serbien. Die deutsche EMN-Kontaktstelle ist beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angesiedelt, wo das BAMF-Forschungszentrum die Erstellung der nationalen Studien übernimmt.
Weiterführende Informationen zum EMN finden Sie hier:
https://www.bamf.de/DE/Themen/EMN/emn-node.html
Ansprechpartner für Medienanfragen:
Jochen Hövekenmeier
Pressestelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Telefon: +49 911 943 17799
E-Mail: pressestelle@bamf.bund.de
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Philipp Heiermann
Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
E-Mail: Philipp.Heiermann@bamf.bund.de
Originalpublikation:
Heiermann, P. & Atanisev, K. (2024). Die Anwendung der Richtlinie über den vorübergehenden Schutz auf Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland: Bewährte Praktiken und Herausforderungen (EMN Deutschland Paper 1/2024). Nürnberg. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
https://doi.org/10.48570/bamf.fz.emndp.01/2024.d.2024.rlschutzukr.1.0