Einsatz von CAR-T-Zell-Therapien bei Auto-immunerkrankungen
17.05.2024 – CAR-T-Zellen haben sich bei der Behandlung bestimmter Arten von Leukämie und Lymphomen als erfolgreich erwiesen und werden in Einzelfällen auch bei Autoimmunerkrankungen angewandt. Das Potenzial von CAR-T-Zellen in der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) und anderer entzündlicher Erkrankungen des Nervensystems muss jetzt näher untersucht werden, um ihre Wirksamkeit und Sicherheit im Vergleich zu bestehenden Therapien einordnen zu können.
Was sind CAR-T-Zellen?
Der chimären Antigenrezeptor-T-Zell-Therapie liegt eine autologe Transplantation zugrunde. Das bedeutet, dass der Spender der Zellen gleichzeitig auch ihr Empfänger ist. Dem Patienten wird zunächst über einen zentralvenösen Katheter Blut abgenommen (sogenannte Leukapharese), T-Zellen werden herausgefiltert und mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestattet, bevor diese wieder zurück in den Körper geführt werden. Formal ist dies eine gentechnische Modifikation und damit eine Gentherapie.
In der Regel erfolgt vor Infusion der CAR-T-Zellen eine Chemotherapie (meistens mit Cyclophosphamid in Kombination mit Fludarabin). Die CAR-T-Zell-Therapie ist derzeit ausschließlich zur Behandlung einiger Krebsarten zugelassen. Der CAR wirkt wie eine winzige Antenne, die in den Körperzellen nach bestimmten Merkmalen auf den Krebszellen patrouilliert. Sobald die CAR-T-Zellen wieder in den Körper des Patienten eingeschleust werden, beginnen sie, Zellen mit dem Antigen, das zu ihren neuen Rezeptoren passt, aufzuspüren und zu zerstören.
Weshalb werden CAR-T-Zell-Therapien bei Autoimmunerkrankungen wie der MS untersucht?
B-Zellen spielen eine zentrale Rolle bei vielen Autoimmunerkrankungen. Die Elimination von B-Zellen durch therapeutische Antikörper ist seit dem letzten Jahrzehnt eine wirksame Behandlungsstrategie bei der MS und anderen neuroimmunologischen Erkrankungen.
CAR-T-Zellen können so konstruiert werden, dass sie – ähnlich wie die therapeutischen Antikörper – B-Zellen erkennen und zerstören, aber im Vergleich zu diesen eine bessere Gewebegängigkeit und eine stärkere Depletionstiefe, d.h. höhere Effektivität in der Elimination von B-Zellen, erreichen [1]. In den vergangenen 2 Jahren wurden CAR-T-Zellen, die mit ihrer Antenne das CD19 Antigen auf B-Zellen erkennen und B-Zellen eliminieren, erfolgreich bei einzelnen schwerstbetroffenen Patientinnen und Patienten mit Systemischem Lupus Erythematodes (SLE) eingesetzt [2]. Basierend auf diesen Erfahrungen wurden an den Universitätsklinika Magdeburg und Bochum die ersten Patientinnen und Patienten mit sogenannten therapie-refraktären, d.h. alle anderen Behandlungsmethoden waren nicht erfolgreich, neurologischen Autoimmunerkrankungen mit einer CD19 CAR-T-Zell-Therapie behandelt [3,4]. Hier konnten für schwerstbetroffene Patienten mit Myasthenia gravis deutlich alltagsrelevante Besserungen erzielt werden. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf erfolgten kürzlich die ersten Behandlungen von MS Betroffenen, die auf zugelassene Therapien nicht angesprochen haben [5]. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf. Wie wirksam diese Therapie bei der MS ist, kann derzeit nicht abgeschätzt werden. Mehrere klinische multizentrische Studien zum Einsatz von CAR-T-Zell-Therapien bei neurologischen Autoimmunerkrankungen einschließlich der MS sind derzeit in der EU in Planung.
Was sind die Risiken von CAR-T-Zell-Therapien?
Grundsätzlich können bei jeder Therapie Nebenwirkungen auftreten, bei einer CAR-T-Zell-Therapie können diese schwerwiegend sein. Hierzu zählen Entzündungsreaktionen, Nervenschäden, Herzkreislaufschäden oder das Cytokine-Release Syndrom (CRS), das zu lebensgefährlichem Fieber, Schüttelfrost und Atembeschwerden führen kann. Zudem kann durch eine CAR-T-Zell-Therapie das zentrale Nervensystem geschädigt werden im Rahmen des sogenannten Immuneffektorzell-assoziierten Neurotoxizitätssyndroms (ICANS).
Diese potentiellen Nebenwirkungen treten in der Regel zeitnah zur Infusion auf, sind durch die starke CAR-T-Zell vermittelte Immunaktivierung bedingt, sind vorübergehender Natur und können in den spezialisierten Behandlungszentren, in denen auch die CAR-T-Zell-Therapie erfolgt, optimal betreut und versorgt werden. Der Patient verbleibt daher zwischen zwei und selten vier Wochen nach Infusion der Zellen im Krankenhaus. Da die Therapie noch relativ neu ist, gibt es bisher noch keine größeren Studien über mögliche Langzeitfolgen. Bei Krebspatienten, die mit dieser Methode behandelt worden sind, sind länger anhaltende Beeinträchtigungen des Immunsystems durch Zytopenien und Antikörpermangel (Hypogammaglobulinämie) einhergehend mit einem erhöhten Risiko für Infektionen beobachtet worden. Nach einer CAR-T-Zell-Therapie bedarf es daher einer engmaschigen ärztlichen Nachsorge.
Positionierung der CAR-T-Zell-Therapie
Es handelt sich bei der CD19 CAR-T-Zell-Therapie um ein experimentelles, für die Therapie von Autoimmunerkrankungen nicht zugelassenes Behandlungsverfahren. Der Einsatz erfolgt aktuell nur in strenger Nutzen-Risiko Abwägung im Rahmen eines sogenannten individuellen Heilversuches. Insbesondere bei einer Erkrankung wie der MS, bei der eine Vielzahl von Medikamenten wirksam und zugelassen ist, sollte der Einsatz derzeit nur in Situationen erwogen werden, in denen die Erkrankung durch verfügbare therapeutische Maßnahmen nicht oder nur unzureichend kontrolliert werden kann. Die Behandlung sollte ausschließlich durch in der MS und CAR-T-Zell Therapie spezialisierten Zentren in enger Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Hämato-Onkologie erfolgen. Die derzeit in Planung befindlichen klinischen Studien sind notwendig, um die Sicherheit und Wirksamkeit dieser neuen zellbasierten Therapie bei der schubförmigen und der progredienten Verlaufsform der MS sowie bei anderen neuroimmunologischen Erkrankungen besser beurteilen zu können.
Autoren
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. Jan D. Lünemann, Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Universitätsklinikum Münster
Univ.-Prof. Dr. med. Christoph Heesen, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Univ.-Prof. Dr. med. Aiden Haghikia, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg
Univ.-Prof. Prof. h.c. Dr. med. Heinz Wiendl, Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Universitätsklinikum Münster
Univ.-Prof. Dr. med. Ralf Gold, Klinik für Neurologie, Ruhr Universität Bochum
Quellen
[1] von Baumgarten, L., Stauss, H. J., & Lünemann, J. D. (2023). Synthetic cell-based immunotherapies for neurologic diseases. Neurology: Neuroimmunology & Neuroinflammation, 10(5), e200139.
[2] Müller, F., Taubmann, J., Bucci, L., Wilhelm, A., Bergmann, C., Völkl, S., ... & Schett, G. (2024). CD19 CAR T-Cell Therapy in Autoimmune Disease—A Case Series with Follow-up. New England Journal of Medicine, 390(8), 687-700.
[3] Haghikia, A., Hegelmaier, T., Wolleschak, D., Böttcher, M., Desel, C., Borie, D., ... & Mougiakakos, D. (2023). Anti-CD19 CAR T cells for refractory myasthenia gravis. The Lancet Neurology, 22(12), 1104-1105.
[4] Motte, J., Sgodzai, M., Schneider-Gold, C., Steckel, N., Mika, T., Hegelmaier, T., ... & Gold, R. (2024). Treatment of concomitant myasthenia gravis and Lambert-Eaton myasthenic syndrome with autologous CD19-targeted CAR T cells. Neuron.
[5] Fischbach, F., Richter, J., Pfeffer, L. K., Fehse, B., Berger, S. C., Reinhardt, S., ... & Kröger, N. (2024). CD19-targeted chimeric antigen receptor T cell therapy in two patients with multiple sclerosis. Med.