Starter-Filmpreise für Student*innen der HFF München
Starter-Filmpreise 2024 an Student*innen der HFF München vergeben / Starter-Filmpreise werden jährlich vom Kulturausschuss des Stadtrates der Landeshauptstadt München an künstlerisch herausragende Projekte des Münchner Regienachwuchses vergeben / Zusätzlich wird der Starter-Filmpreis Produktion, gestiftet von Pharos – The Post Group, vergeben / Preisverleihung findet dieses Jahr wieder im Rahmen des Filmfest München statt
München, Mai 2024 – Wie bereits bekannt gegeben wurde, erhalten in diesem Jahr vier Produktionen von/mit Student*innen der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München die Starter-Filmpreise der Landeshauptstadt München: Die drei mit jeweils 8.000 € dotierten Regie-Nachwuchspreise gehen an Emil Klattenhoff für GUTEN TAG, Camille Tricaud (zus. mit Franziska Unger) für SLOW DOWN THE FALL und Aaron Arens für SONNENPLÄTZE.
Den zusätzlichen Starter-Filmpreis für Produktion, gestiftet von ARRI Media GmbH als geldwerte Leistung in Höhe von 8.000 Euro für die Postproduktion eines künftigen Films gab es für JULIA FUHR MANN und ihren Film LIFE IS NOT A COMPETITION, BUT I’M WINNING. Über die Vergabe der Preise hatte auch in diesem Jahr wieder der Kulturausschuss des Stadtrates der Landeshauptstadt München auf Vorschlag einer Jury entschieden. Der Jury gehörten unter der Leitung von Kulturreferent Anton Biebl an:
Dunja Bialas (Filmjournalistin), Erec Brehmer (Filmemacher, Starter-Preisträger 2022), Claudia Engelhardt (Filmmuseum München), Christoph Gröner (Filmfest München), Anne Harder (ehem. Kinobetreiberin NEUES MAXIM) und Mila Zhluktenko (Filmemacherin, Preisträgerin 2023) sowie aus dem Stadtrat Marion Lüttig und David Süß (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste), Ulrike Grimm und Leo Agerer (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) und Lars Mentrup (Fraktion SPD/Volt).
Emil Klattenhoff für GUTEN TAG
HFF-Team: Emil Klattenhoff (Drehbuch, Regie), Giorgia Germeno (Produktion) und Jonas Kleinalstede, Paula Tschira (Bildgestaltung / DoP)
Jurybegründung: Ständige Bewegung, haltlos, ruhelos, aufgewühlt. Das prägt Emil Klattenhoffs beglückenden Kurzfilm „Guten Tag“. Da ist eine Vater-Sohn-(Nicht-)Beziehung, wie man sie im deutschen Kino selten sieht, ein Ziehen und Zerren, eine mit viel Distanz und wenig Nähe ausgespielte Verhandlung über Liebe. Toni will zu seinem Vater Linne, der seit Kurzem getrennt ist und erst einmal versucht, die neue Freiheit überhaupt zu verstehen und zu fühlen, sich als Mensch, auch als sexuelles Wesen noch einmal neu zu erfinden. Und der Sohn: ist ein wildes Kraftpaket, der eine Eltern-Entscheidung über sein Leben nicht mehr akzeptieren will. Ihre Geschichte wird am Münchner Hauptbahnhof verhandelt: Großbaustelle, Kommen und Gehen, Verspätungen und Stau. Klattenhoff und sein Kamerateam mit Jonas Kleinalstede und Paula Tschira haben auf 16 Millimeter eine bewegte Stadt eingefangen, Ecken und Kanten Münchens mit urbanem Flair. Die französische Nouvelle Vage lebte es vor. Raus auf die Straße, echtes Filmen. Die aufgewühlten Emotionen werden in diesem chaotischen Echoraum wunderbar genau gezeigt. Und die Zuschauer*innen schauen beglückt auf echte Kinobilder.
Camille Tricaud (zusammen mit Franziska Unger) für SLOW DOWN THE FALL
HFF-Team: Camille Tricaud (Drehbuch, Regie), Felix Pflieger (Bildgestaltung/DoP), Maximilian Bungarten, Felix Herrmann (beide Produktion)
Jurybegründung: Mitten in der spätsommerlichen alpinen Kulisse führen zwei Skispringerinnen synchron Bewegungen aus. Sie bewegen sich langsam, verzögert. Fast als wären sie unter Wasser. „Slow Down the Fall“ – eine Momentaufnahme in Zeitlupe. Der Film von Camille Tricaud und Franziska Unger erfasst in konzentrierten, ausgewählten Aufnahmen auf 16mm-Material das kurze Wiedersehen zweier Sportlerinnen bei einem Werbedreh ihres Sponsoren. In kurzen Augenblicken neben dem Dreh brechen Vergangenheit und Beziehung der beiden Athletinnen durch, aber auch die davon zurückgebliebenen Narben. Coline, verkörpert von der Profispringerin Coline Mattel, und ihre Spielpartnerin Verena Altenberger beeindrucken mit ihren feinen Gesten und Blicken. Camille Tricaud und Franziska Unger gelingt mit „Slow Down the Fall“ eine starke Erzählung, die vieles verhandelt und dennoch minimalistisch und bewusst mit filmischen Stilmitteln umgeht. Die Welt des Profisports und die Kommerzialisierung physischer Leistungen wird mit Ironie und Lust erzählt, dient aber auch als Bühne für die zwei Hauptfiguren, die ihre Beziehung zueinander und zum Sport neu justieren. Der Film glänzt dabei durch seine handlungsstützende Mise en Scène: der Einsatz einer durchdachten Farbdramaturgie im Kostüm, die Positionierung der Körper im Frame und die delikate Beziehung der Kamera zu den Darstellerinnen. Das Einflechten von Archivmaterial von Coline Mattels Teilnahme bei den Olympischen Spielen 2014 verleiht dem Kurzfilm eine besondere Dramatik und Fallhöhe, als es in der letzten hypnotisierenden Einstellung zu einem Sprung von der Schanze kommt. Camille Tricaud und Franziska Unger haben mit „Slow Down the Fall“ einen geschliffenen Kurzfilm für die große Leinwand geschaffen, der Lust auf mehr macht.
Aaron Arens für SONNENPLÄTZE
HFF-Team: Aaron Arens (Regie, Drehbuch), Lukas Loose (Drehbuch), Tobias Blickle (Bildgestaltung / DoP), Philipp Maron, Sebastian Fehring, Tristan Bähre (alle Produktion)
Jurybegründung: Der erste Kinospielfilm der Münchner Produktionsfirma Maverick Films ist auch der erste von Aaron Arens. Bei „Sonnenplätze“ führte der HFF-Absolvent nicht nur Regie, sondern ist auch für Drehbuch und Schnitt mitverantwortlich: ein echter Starter-Film. „Sonnenplätze“ ist eine Familiengeschichte, trotz vieler komischer Momente mehr Drama als Komödie. Anti-Heldin des Films ist die erfolglose Nachwuchsautorin Sam, die, gerade von ihrem Freund verlassen, erst Unterschlupf bei ihrer Mutter sucht und dann gemeinsam mit ihrem Bruder, einem Klavierwunderkind, in das Ferienhaus der Familie auf Lanzarote flüchtet, wo sie ihren Roman fertig schreiben will. Doch auch ihr Vater, ein ehemaliger Erfolgsautor, hat sich dort einquartiert, womit das Drama seinen Lauf nimmt. Im Laufe der ungewollten Begegnung bröckeln die Fassaden der Künstlerexistenzen. Kann Freiheit ohne Geld noch Freiheit sein? Wieviel Ehrlichkeit verträgt der Literaturbetrieb? Als noch die Mutter mit ihrem Liebhaber dazukommt, wird das unfreiwillige Familientreffen zum Psychospiel. Der Schauplatz Lanzarote ist eigentlich ein Sehnsuchtsort, doch selten wurde er so unwirtlich und verloren abgebildet wie hier in den CinemaScope-Bildern von Kameramann Tobias Blickle. Die karge, weite Landschaft gleicht mehr einem Alptraum, dem man nicht entrinnen kann. Die Darsteller*innen überzeugen allesamt, allen voran Julia Windischbauer als immer etwas ratlos wirkende Sam, die sich wie Don Quichotte im Kampf gegen die Windmühlen zu behaupten versucht. Der Elefant im Raum, oder besser im Ferienhaus, sind die unausgesprochenen Erwartungen und Enttäuschungen der Familienmitglieder, die sich vor allem durch intensive Blicke zeigen: zwischen Schwester und Bruder, Vater und Tochter, zwischen der Mutter und ihrem Liebhaber. Es war eine kluge Entscheidung des Regisseurs, das Personal und den Handlungsort überschaubar zu halten. So gelingt ihm der Balanceakt, in dieser nicht einfachen Konstellation jeder Figur ihre eigene Geschichte und Würde zu geben. Das Ende ist unerwartet verspielt. Und hoffnungsvoll.
Julia Fuhr Mann für LIFE IS NOT A COMPETITION, BUT I’M WINNING
HFF-Team: Julia Fuhr Mann (Drehbuch, Regie), Luisa Nöllke (Drehbuch), Caroline Spreitzenbart (Bildgestaltung/DoP), Melissa Byrne (Producerin)
Jurybegründung: Ein Sportfilm der anderen Art: „Wenn die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, wo bleiben dann all jene, deren Siege vergessen wurden?“ Anhand dieser Frage beleuchtet Julia Fuhr Mann in ihrem HFF-Abschlussfilm, dem hybriden Dokumentarfilm „Life is not a competition, but I’m winning“, die Diskriminierung weiblicher und queerer Athlet*innen der Sportgeschichte. Wir erleben die Athletin Lina Radke, die 1928 den ersten 800m-Lauf der Olympischen Geschichte gewinnt, deren Sieg jedoch ignoriert wird, als sie im Ziel erschöpft zusammenbricht. Wir erleben Sportler*innen, deren Lebensleistungen nach ihrem Tod aus der Geschichte getilgt werden. Sportler*innen, die sich aufgrund zu hoher natürlicher Testosteronwerte Operationen unterziehen müssen, um an Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen. Und die Geschichte von Amanda Reiter, die als Transfrau 2019 den Bayerischen Marathon gewinnt, von den Organisatoren jedoch nur als Zweitplatzierte gewürdigt wird – hinter einer Läuferin, die gar nicht erst angetreten ist. Der Film vermischt klug Archivmaterial mit aktuellen Bildern und inszenierten Sequenzen. Er lässt Zeitebenen verschwimmen und schafft es, die Geschichte der Diskriminierung von Athlet*innen umzuschreiben – spielerisch, innovativ und mit einer großen Nähe zu den Protagonist*innen. Ein politischer Film, der aufzeigt, ohne anzuklagen. Ein Film, der Spaß macht, so sehr man auch immer wieder ungläubig den Kopf schütteln muss. So wie Julia Fuhr Mann in ihrer Regiearbeit beweist auch das Zusammenspiel mit dem Produktionsteam um Schuldenberg Films, wie man mutiges, radikales und innovatives Kino stemmen kann.