Neues aus der Forschung
Theory of Mind: Wie gut schwingt KI im Subtext mit? I Bewegungsmangel: höhere Kosten für Gesundheitssystem und Gesellschaft I Biomarker geben Hinweise auf Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen I Glioblastom: neue Methode zur Prognosebestimmung I SARS-CoV-2: Mechanismus zur Immunevasion identifiziert
Theory of Mind: Wie gut schwingt KI im Subtext mit?
Das Erkennen von Überzeugungen und Absichten kann bereits im menschlichen Miteinander eine Herausforderung darstellen – wie gut kann demgegenüber Künstliche Intelligenz (KI) zwischen den Zeilen lesen? Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) haben in einer systematischen Untersuchung überprüft, inwiefern große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) Aufgaben aus dem Bereich der sogenannten Theory of Mind bewältigen können und die Ergebnisse der untersuchten GPT- und Llama 2-Modelle mit den Fähigkeiten von rund 1.900 Proband:innen verglichen. Ihre Studienergebnisse haben die Forschenden im Fachjournal Nature Human Behaviour veröffentlicht.
Die Theory of Mind (ToM) ist ein psychologisches Konzept, das sich mit der menschlichen Fähigkeit beschäftigt, Überzeugungen, Emotionen oder Intentionen in sich selbst und anderen Personen zu erfassen. Die Wissenschaftler:innen stellten fest, dass GPT-Modelle bei der Erkennung von indirekten Aufforderungen, Fehlannahmen und Irreführungen auf menschlichem Niveau lagen, während die Llama 2-Modelle hier schlechter abschnitten. Dieses Muster kehrte sich bei der Erkennung von Fauxpas im Sinne von unbedachten kränkenden Äußerungen um, bei denen die GPT-Modelle Schwierigkeiten mit der korrekten Einordnung zeigten – zumindest auf den ersten Blick: „Unsere Ergebnisse verdeutlichen hier einen Unterschied zwischen Kompetenz und Leistung, dem ein hyperkonservativer Ansatz der GPT-Modelle bei entsprechenden Schlussfolgerungen zugrunde liegt: GPT-Modelle sind technisch in der Lage, Schlussfolgerungen auf sozialer Ebene zu ziehen, tun dies in spontaner Aktion aber weniger, da sie ihnen zu unsicher erscheinen“, sagt der Erstautor der Studie James Strachan, Klinik und Poliklinik für Neurologie des UKE. „Diese Arbeit ist die erste systematische Untersuchung von großen Sprachmodellen im Bereich Theory of Mind. Unsere Studie gewährleistet einen passgenauen Vergleich zwischen menschlicher Kognition und Maschinenpsychologie und ermöglicht so Rückschlüsse auf die Fähigkeiten des sozialen Denkens großer Sprachmodelle“, ergänzt Studienleiterin Prof. Cristina Becchio, ebenfalls Klinik und Poliklinik für Neurologie des UKE.
Literatur: Strachan, Albergo, Borghini et al. Testing theory of mind in large language models and humans. Nature Human Behaviour. 2024. DOI: doi.org/10.1038/s41562-024-01882-z
Kontakt für Rückfragen: Prof. Cristina Becchio, Klinik und Poliklinik für Neurologie
Bewegungsmangel: höhere Kosten für Gesundheitssystem und Gesellschaft
Unzureichende körperliche Aktivität ist mit höheren Kosten für Gesundheitssystem und Gesellschaft verbunden – so die Ergebnisse einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Im Rahmen der sogenannten NAKO Gesundheitsstudie haben die Forschenden zudem festgestellt, dass hohe körperliche Aktivität bei der Arbeit ebenfalls mit höheren gesundheitlichen und gesellschaftlichen Kosten einhergeht, während Freizeitsport einen kostensenkenden Effekt zu haben scheint. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler:innen im Fachmagazin The European Journal of Health Economics veröffentlicht.
Im Rahmen der Studie machten die Teilnehmenden Angaben zu ihrer körperlichen Aktivität in unterschiedlichen Lebensbereichen sowie zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in den letzten zwölf Monaten. Darüber hinaus wurden weitere gesellschaftliche Kosten wie Produktivitätsverluste berücksichtigt – basierend auf Angaben zu krankheitsbedingten Fehlzeiten und gesundheitsbedingter Frühverrentung. „Die Ergebnisse der Studie liefern wichtige Hinweise auf die ökonomischen Auswirkungen unzureichender körperlicher Aktivität für unterschiedliche Aktivitätsbereiche“, sagt Dr. Sophie Gottschalk vom Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung des UKE. „Durch wiederholte Untersuchungen der Teilnehmenden könnten wir in einem nächsten Schritt beispielsweise analysieren, wie körperliche Aktivität und Kosten über einen längeren Zeitraum zusammenhängen und welchen Einfluss der allgemeine Gesundheitszustand oder das Auftreten chronischer Krankheiten hierauf haben.“
Literatur: Gottschalk, König, Weber et al. Costs associated with insufficient physical activity in Germany: Cross-sectional results from the baseline examination of the German National Cohort (NAKO). The European Journal of Health Economics. 2024. DOI: doi.org/10.1007/s10198-024-01697-9
Kontakt für Rückfragen: Dr. Sophie Gottschalk, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung
Biomarker können frühzeitig Hinweise auf erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen geben
Die frühzeitige Identifizierung eines erhöhten Risikos bei Menschen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist von entscheidender Bedeutung, um mögliche präventive Maßnahmen zu ergreifen. Forschende des Universitären Herz- und Gefäßzentrums Hamburg des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) haben daher in einer Studie untersucht, ob bestimmte Biomarker im Blut dazu beitragen können, dieses Risiko präziser vorherzusagen. Die Ergebnisse zeigen, dass alle der untersuchten Biomarker mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung stehen. Wenn diese Biomarker zu anderen bekannten Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, erhöhten Blutfetten, Rauchen oder Blutdruck hinzukommen, erhöht sich die Vorhersagegenauigkeit. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden im Fachmagazin The Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlicht.
Im Rahmen der Studie wurde Blut auf im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen etablierte Biomarker analysiert, darunter Troponin, BNP und CRP. Die Studie umfasste rund 164.000 Menschen, die zu Beginn der Datenerfassung keine bekannten Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten. In einem Zeitraum von durchschnittlich über elf Jahren wurde erfasst, wie viele der Proband:innen ernsthafte Herz-Kreislauf-Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder eine Herzschwäche erlitten oder an anderen körperlichen Ursachen starben. „Die zusätzlichen Bluttests können uns bei der Vorhersage von Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterstützen. Insbesondere bei älteren Menschen über 65 Jahren und bei bestimmten Ereignissen wie Herzinsuffizienz sind sie besonders relevant“, sagt Priv.-Doz. Dr. Johannes Neumann, Klinik für Kardiologie des Universitären Herz- und Gefäßzentrums Hamburg des UKE.
Literatur: Neumann et al. Prognostic Value of Cardiovascular Biomarkers in the Population. The Journal of the American Medical Association. 2024. DOI: doi.org/10.1001/jama.2024.5596
Kontakt für Rückfragen: Priv.-Doz. Dr. Johannes Neumann, Klinik für Kardiologie des Universitären Herz- und Gefäßzentrums Hamburg
Glioblastom: Neue Methode zur Bestimmung der Prognose identifiziert
Ein internationaler Forschungsverbund unter Leitung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hat eine neue Methode ermittelt, um die Prognose von Patient:innen mit Glioblastom konkreter vorherzusagen. Hierzu identifizierten die Forschenden eine neue sogenannte epigenetisch-definierte neurale Signatur von Glioblastomen, also eine Form von genetisch-neuralem Fingerabdruck, der in direktem Zusammenhang mit der Prognose der Patient:innen steht. Die Ergebnisse der Wissenschaftler:innen könnten dazu beitragen, bei Patient:innen mit schlechteren Prognosen personalisierte Behandlungsansätze zu entwickeln. Die Studienergebnisse haben die Forschenden im Fachmagazin Nature Medicine veröffentlicht.
Beim Glioblastom handelt es sich um den häufigsten bösartigen Hirntumor bei Erwachsenen. Die Wissenschaftler:innen differenzierten im Rahmen der Studie Signaturen von Tumorzellen, die entweder geringe oder große Ähnlichkeit zu neuralen Zellen wie zum Beispiel Nervenzellen aufweisen. Tumore mit großer Ähnlichkeit zu neuralen Zellen, die hochneurale Glioblastome genannt werden, haben bestimmte Merkmale, die mit einer schlechteren Prognose verbunden sind: Diese Zellen können Verbindungen zwischen Nervenzellen und Tumor herstellen, das Tumorwachstum antreiben und scheinen damit schwerer behandelbar zu sein. „Bei Patient:innen mit dieser Art von Tumoren ist die Prognose oft nicht gut. Es ist wahrscheinlich, dass hochneurale Glioblastome einen anderen Therapieansatz erfordern, um das bestmögliche Ergebnis für die Patient:innen zu gewährleisten – unsere Ergebnisse liefern hierfür eine wichtige Grundlage“, sagt Studienleiter Priv.-Doz. Dr. Franz Ricklefs, Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des UKE.
Literatur: Drexler, Khatri et al. A prognostic neural epigenetic signature in high-grade glioma. Nature Medicine. 2024. DOI: doi.org/10.1038/s41591-024-02969-w
Kontakt für Rückfragen: Priv.-Doz. Dr. Franz Ricklefs, Klinik und Poliklinik für Neurologie; Dr. Sonja Hänzelmann, Institut für Medizinische Systembiologie
Mechanismus zur Immunevasion von SARS-CoV-2 identifiziert
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) konnte im Rahmen einer Studie nachweisen, wie SARS-CoV-2 und seine Varianten dem menschlichen Immunsystem entkommen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Zellen, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind, wichtige Immunsignale, sogenannte NKG2D-Liganden, herunterregulieren. Diese Liganden spielen eine entscheidende Rolle bei der Aktivierung des Immunsystems, insbesondere von natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) zur Bekämpfung von Virusinfektionen. Darüber hinaus identifizierten die Forschenden das virale Protein ORF6 als maßgeblichen Faktor für die Herunterregulation der Immunsignale. Demgegenüber verhindert der Antikörper 76C diesen Prozess und macht die infizierten Zellen für natürliche Killerzellen besser angreifbar. Ihre Studienergebnisse haben die Wissenschaftler:innen im Fachjournal Cell veröffentlicht.
„Unsere Erkenntnisse könnten zur Entwicklung neuer Therapieansätze gegen Covid-19 beitragen – zumal unsere Studie auch zeigt, dass NK-Zellen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2-infizierten Zellen spielen“, sagt Dr. Angelique Hölzemer, Fachärztin der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik des UKE sowie Leiterin der Arbeitsgruppe Infektion & Immunregulation des Instituts für Infektionsforschung und Impfstoffentwicklung (IIRVD) am UKE und des Leibniz-Instituts für Virologie (LIV). „Dies legt nahe, dass die Aktivierung des angeborenen Immunsystems eine vielversprechende Strategie zur Behandlung von COVID-19 sein könnte.“
Literatur: Hartmann, Cardoso, Ramiro Talarico et al. Evasion of NKG2D-mediated cytotoxic immunity by sarbecoviruses. Cell. 2024. DOI: doi.org/10.1016/j.cell.2024.03.026
Kontakt für Rückfragen: Dr. Angelique Hölzemer, I. Medizinische Klinik und Poliklinik