Rat der EU empfiehlt Policy Paper von Passauer Forschenden
Die Republik Moldau strebt eine EU-Mitgliedschaft an. Doch ist das mit dem Konflikt um die abtrünnige Region Transnistrien überhaupt möglich? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Passauer Forschenden Julian Plottka vom Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik und Florence Ertel vom Science Hub for Europe in einem Policy Paper, das die Bibliothek des Rates der EU in ihrem aktuellen „Think Tank Review“ aufgegriffen hat.
Im Dezember 2023 hat der Europäische Rat beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit der Republik Moldau aufzunehmen. Die Regierung von Präsidentin Maia Sandu strebt einen baldigen Beitritt zur EU an, nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen, denn die Republik gilt als mögliches Ziel russischer Aggression. Doch der Prozess dürfte schwierig werden. Einer der Gründe dafür ist der Status der Region Transnistrien entlang der Grenze der Republik Moldau zur Ukraine.
In einem beim Institut für Europäische Politik (IEP) veröffentlichten Policy Paper analysieren Julian Plottka, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Europäische Politik, und die Politologin Florence Ertel, Geschäftsführerin des Science Hub for Europe, die Herausforderungen im Zusammenhang mit der abtrünnigen Region Transnistrien. In dem Policy Paper mit dem Titel „The status of Transnistria and neutrality: major obstacles for Moldovaʼs EU accession and little incentives for reforms“ diskutieren sie, was es braucht, damit das Land der EU beitreten kann. Eine Voraussetzung aus Sicht des Autoren und der Autorin: die Reintegration von Transnistrien in die Republik Moldau. In dem international nicht-anerkannten und von Russland unterstützten Staaten auf moldauischem Territorium sind bis heute formal russische Soldatinnen und Soldaten stationiert, während die Unternehmen in der Region genauso wie alle moldauischen Unternehmen erleichterten Zugang zum EU-Binnenmarkt haben. „Der Beitritt einer von russischen Truppen besetzten Region zur EU ist angesichts der aktuellen geopolitischen Spannung unmöglich“, sagt Plottka. Allerdings hätten sich die Moldauerinnen und Moldauer mit dem Status quo arrangiert. „Dessen Änderung ist in der Bevölkerung unpopulär, entsprechend gering ist das Interesse der pro-europäischen Regierung von Präsidentin Maia Sandu, das Thema anzugehen.“
Ähnlich sieht es mit der in der Bevölkerung populären Neutralität des Landes aus. Die Regierung würde diesen Verfassungsartikel gerne abschaffen, hat dafür aber wenig Unterstützung. Zwar gebe es mit Österreich, Irland und Malta bereits neutrale Staaten in der EU, jedoch sehe sich keines der drei Länder konkret bedroht. „Dies ist in der Republik Moldau anders, wo die Angst vor einem möglichen russischen Angriff, einer der Hauptgründe für den Wunsch zum EU-Beitritt ist“, sagt Ertel. Der sicherheitspolitischen Integration eines neutralen Staates in die EU seien jedoch enge Grenzen gesetzt. Damit steht die EU-Annäherung der Republik Moldau vor einem Dilemma. Denn eine politische Diskussion über den Status Quo von Transnistrien und die Neutralität des Landes birgt das Risiko, die Unterstützung für den EU-Beitritt in der Bevölkerung zu schwächen.
Forschende machten sich Bild vor Ort
Mit dem Policy Paper haben es die Forschenden der Universität Passau Ende April in die „Think Tank Review“ der Bibliothek des Rates der Europäischen Union (EU) geschafft. Diese kuratiert jeden Monat eine Sammlung aktueller Analysen zur europäischen Integration und unterschiedlichen Politikbereichen der EU, die von Denkfabriken weltweit veröffentlich wurden.
Die Analyse der Passauer Forschenden war im Nachgang zu einer vom IEP organisierten Delegationsreise in die Republik Moldau entstanden. Plottka und Ertel hatten das Land besucht, bevor der Europäische Rat im Dezember 2023 beschloss, die Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Gefördert vom Auswärtigen Amt nahmen sie an vielen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern von Regierung, Opposition und aus der Kommunalpolitik sowie der Konferenz „Next4EU-Lab“ teil, um sich ein direktes Bild von der Vorbereitung des Landes auf den EU-Beitritt zu machen. Das „Next4EU-Lab“ und die Delegationsreise sind Teil eines Projekts des IEP, das sich zum Ziel gesetzt hat, den demokratischen Transformationsprozess in der Republik Moldau zu unterstützen.
Die Forschung zum europäischen Integrationsprozess sowie der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehört zu den Schwerpunkten des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Europäische Politik an der Universität Passau. „Dass die Bibliothek des Rats der EU das Policy Paper aufgegriffen hat, zeigt, dass unsere Forschung praxisbezogen und somit von hoher Relevanz für Entscheidungspersonen auf EU-Ebene ist“, erklärt Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Daniel Göler, bei dem Plottka und Ertel promovieren. Die Politikanalyse fügt sich ein in den Forschungsschwerpunkt „Europa“ an der Universität Passau. Bei dem Science Hub for Europe (SHE) handelt es sich um eine zentrale Einrichtung, die die Vernetzung der Universität Passau auf europäischer Ebene vorantreibt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Julian Plottka
Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik
Dr.-Hans-Kapfinger-Str. 14
94032 Passau
E-Mail: julian.plottka@uni-passau.de
Florence Ertel
Science Hub for Europe
Dr.-Hans-Kapfinger-Str. 14
94032 Passau
E-Mail: florence.ertel@uni-passau.de
Originalpublikation:
https://iep-berlin.de/site/assets/files/3637/next4eu_publication_transnistrien_plottka_ertel.pdf
Weitere Informationen:
https://www.consilium.europa.eu/de/documents-publications/library/library-blog/posts/think-tank-review-april-2024/ April-Ausgabe des Think-Tank-Review
https://iep-berlin.de/de/projekte/erweiterung-nachbarschaft-und-zentralasien/next4eu/moldau-perspektiven/ Weitere Policy Paper auf der Website des Projekts „Next4EU“