acatech Studie: So kann die öffentliche Verwaltung innovationsfreundlicher werden
Ein zentrales Hemmnis bei der Verwirklichung von Innovationen liegt in der wachsenden Anzahl von Auflagen und Berichtspflichten sowie deren Umsetzung durch ineffiziente Verwaltungsabläufe. Dabei gäbe es durchaus gute Möglichkeiten für mehr Effizienz und Agilität in der öffentlichen Verwaltung, legt die zweite Studie von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften zum Innovationssystem Deutschland nahe. Die Qualifizierung der Beschäftigten, innovationsfördernde Strukturen und eine technologische Modernisierung müssten aber dafür ineinandergreifen.
Nur 27 Prozent der Bürgerinnen und Bürger nehmen die öffentliche Verwaltung als leistungsfähig wahr, lediglich 23 Prozent der 11.000 Kommunen bewerten ihren Digitalisierungsstand als gut – und innerhalb der nächsten zehn Jahre gehen 28 Prozent der Verwaltungskräfte in Rente. Diese Zahlen finden sich in der Studie „Innovationssystem Deutschland: Effizienz und Agilität der öffentlichen Verwaltung erhöhen“, die ein Projektteam um acatech Vizepräsident Christoph M. Schmidt heute in Berlin vorstellt. Neben einer Zustandsbeschreibung enthält die Publikation Empfehlungen in den Handlungsfeldern Strukturen, Technologien und Beschäftigte.
Allein in den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl der Einzelnormen in Gesetzen und Verordnungen des Bundes um 17 Prozent gewachsen. „Diese Regulierungsdichte kann die Verwaltung nur erfolgreich bewältigen, indem sie entsprechende Barrieren abbaut und übergreifende Gremien stärkt. Voraussetzungen dafür sind reibungslose Informationswege, eine harmonisierte IT-Struktur und Datengrundlage sowie ganzheitlich digitalisierte Verwaltungsabläufe“, fasst Projektleiter Christoph M. Schmidt die Aufgaben zusammen.
acatech Präsident Jan Wörner ergänzt: „Ein Minimum an Regeln ist notwendig, auch um dem Neuen eine gemeinsame Richtung zu geben. Die stetig wachsende Regelungsdichte in Deutschland jedoch bremst unser Innovationssystem. Unübersichtlich und zeitaufwendig wird es nicht nur für diejenigen, die Regeln erfüllen müssen, sondern auch für diejenigen, die ihre Einhaltung überwachen: Jede zweite Behördenleitung sieht den Staat in der Bewältigung seiner Aufgaben und Probleme überfordert. Unsere Studie legt nahe, durch technische Modernisierung, agilere Strukturen und kluge Personalentwicklung die Effizienz der Verwaltung zu steigern. Unabhängig davon wünsche ich mir, dass Regelwerke auf Diät gesetzt, also vereinfacht und reduziert werden.“
Länderübergreifende Strukturen schaffen
Um Verwaltungsverfahren zu verkürzen und damit Innovationen zu beschleunigen, müssen laut Studie föderale Hemmnisse weiter abgebaut werden. Um als Grundlage dafür eine länderübergreifende Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen und -prozesse zu etablieren, gilt es, bestehende Gremien zu stärken, insbesondere die Entscheidungskompetenzen und politische Durchgriffsmacht des IT-Planungsrats. Damit ließen sich Beschlüsse auf den föderalen Ebenen schneller umsetzen und so gemeinsame Standards und Komponenten durchsetzen. Ein weiterer Schritt: Der Ausbau der Föderalen IT-Kooperation (FITKO) und der für den Datenaustausch in der öffentlichen Verwaltung zuständigen Koordinierungsstelle KoSIT zu einer Digitalisierungsagentur nach dem Vorbild der dänischen Agency for Digital Government.
Digitalisierung der Kommunen vorantreiben
Kommunale Spitzenverbände müssen die Digitalisierung ebenfalls verstärkt priorisieren: Dazu sollten Kommunen auf eine Digitalisierungsstrategie setzen und entsprechend Verantwortliche bestimmen. Einer 2022 veröffentlichten Befragungsstudie zufolge verfügten jedoch lediglich 35 Prozent der Kommunen in Deutschland über eine CDO-Stelle (Chief Digital Officer). In Hamburg wurde eine solche Stelle bereits 2018 geschaffen – mit 259 digitalisierten Verwaltungsleistungen liegt die Hansestadt heute weit über dem Bundesdurchschnitt und definiert die Bestmarke. Auch die gezielte interkommunale Zusammenarbeit kann dazu beitragen, den Ausbau der digitalisierten Verwaltungsdienstleistungen zu beschleunigen.
Auf Lösungen statt auf Fehlervermeidung abzielen, Fachkräftemangel strategisch angehen
Mit rund 44 Prozent stellen Juristinnen und Juristen die größte Gruppe der Führungskräfte in der Verwaltung. Was einerseits die Rechtssicherheit gewährleistet, kann andererseits der Entwicklung von Innovationsgeist und agilen Lösungsansätzen entgegenstehen. „Innovationen entstehen aus Ideen und Veränderungsbereitschaft. Das gilt auch für die Transformation der staatlichen Verwaltung. Ihre Modernisierung wird nur gelingen, wenn sie sich agilen und effizienten Lösungswegen und hierarchie- und ressortübergreifenden Arbeitsweisen öffnet und statt auf das Vermeiden von Fehlern auf die aktive Suche nach Lösungen abzielt“, so Projektleiter Christoph M. Schmidt.
Die Verwaltung registrierte 2022 rund 39.000 unbesetzte Vollzeitstellen mit informations- und kommunikationstechnischem Profil. Um diesen Mangel zu kompensieren, muss sie vorhandenes Wissen binden, künftige Kompetenzbedarfe antizipieren und gezielt akquirieren. Dies erfordert eine strategische Personalplanung und eine modernisierte Besetzungspraxis: Anreize für Fachkräfte mit privatwirtschaftlichem Hintergrund könnten das benötigte Fachwissen in die Verwaltung einbringen und für neue Impulse sorgen. Voraussetzung dafür: Verwaltungskarrieren für potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten attraktiver zu machen, indem die Eingruppierung ins tarifvertragliche System der Quereinsteigenden flexibler gestaltet wird und die Durchlässigkeit steigt. Zudem gilt es, die bestehenden Fachkräfte kontinuierlich fortzubilden, um mit den Aktivitäten der Privatwirtschaft im Bereich „Lebensbegleitendes Lernen“ gleichzuziehen. Dazu kann ein internes Wissensmanagement beitragen und der Wissensaustausch durch Maßnahmen wie Jobrotation oder Hospitation von Führungskräften unterstützen.
„Wenn wir am Innovationsstandort Deutschland international nicht nur Schritt halten, sondern auch neue Meilensteine setzen wollen, dann müssen wir unter anderem auch eine effiziente und leistungsfähige Verwaltung sicherstellen. Dies ist Voraussetzung, dass Innovationen durch die Wirtschaft schnell aufgegriffen und umgesetzt werden können. Die in der Studie erarbeiteten Optionen bieten hierfür gute strategische Ansätze und konkrete Hinweise. Dafür danke ich allen Beteiligten im Namen von acatech“, fasst acatech Präsident Thomas Weber zusammen.
Weitere Informationen:
https://www.acatech.de/publikation/innovationssystem-deutschland/