Intelligente Technologien zur Analyse der Sprache sollen Auffälligkeiten bereits im Kita-Alter erkennen
Ich hör mal, wie du sprichst.
Kinder lernen das Sprechen unterschiedlich schnell. Daher ist es nicht einfach, Auffälligkeiten im Spracherwerb in den ersten Lebensjahren sofort zu erkennen. Eine frühe Förderung ist jedoch sehr wichtig, um betroffenen Kindern einen guten Start in die Schulzeit zu ermöglichen. Das Fraunhofer IDMT in Oldenburg und die Klett Gruppe untersuchen gemeinsam, inwieweit technologische Lösungen Erzieherinnen und Erzieher in der Kita beim Erkennen von Förderbedarfen unterstützen können.
Oldenburg, 11. Juni 2024. Kinder eignen sich bereits in den ersten Lebensjahren die wichtigsten sprachlichen Grundlagen an. Einige von ihnen brauchen jedoch gezielte Unterstützung. So haben etwa 7,5 Prozent aller Kinder im Kindergartenalter Sprachentwicklungsstörungen.1 Solche und weitere Auffälligkeiten gilt es möglichst frühzeitig zu erkennen, um negativen Folgen in der Schulzeit und für die gesellschaftliche Teilhabe insgesamt vorzubeugen.1 Eine effektive Analyse und Förderung der Sprach- und Sprechfähigkeiten beginnt also idealerweise deutlich vor der Einschulung. Die Herausforderung: Manche Probleme im Spracherwerb sind im frühen Kindesalter nur durch Expertinnen und Experten erkennbar. Aber nicht alle Erzieherinnen und Erzieher haben eine spezielle Qualifizierung für sprachliche Entwicklung.2 Hier sollen neue Technologien ansetzen.
Kindersprache erkennen und bewerten
Wie können intelligente Technologien bei der Sprachstandserhebung helfen? Dieser Frage widmen sich derzeit das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT und die Klett Lernen und Information GmbH (KLI). Im Rahmen des KLI-Projekts »Sprechen für die Zukunft« wurde das Fraunhofer IDMT als Forschungspartner beauftragt. »Wir überprüfen, inwieweit technologische Lösungen in Verbindung mit linguistischen Ansätzen bei der Sprachstandserhebung von Kindern unterstützen können. Sie sollen Erzieherinnen und Erziehern wichtige Impulse bei der Sprachbewertung eines Kindes geben und eine Entscheidungshilfe bei einem Förderbedarf sein«, erklärt Laura Tuschen, Gruppenleiterin Assistive Sprech- und Sprachanalyse am Fraunhofer IDMT.
Eine große Herausforderung im Projekt stellt die automatische Erkennung und Bewertung von Kindersprache dar. Im Kindesalter verändert sich das Sprachbild über wenige Monate hinweg teils gravierend. Die Sprachentwicklung eines Kindes ist darüber hinaus sehr individuell und wird durch vielfältige Aspekte beeinflusst, wie etwa durch Mehrsprachigkeit. Im Projekt arbeitet das Fraunhofer IDMT als Technologie- und Forschungspartner an der Überprüfung der Machbarkeit von automatischer Spracherkennung und -analyse bei Kindern. Auch wird am Transfer von Konzepten in technologische Anwendungen gearbeitet. »Mit Referenz auf bestehende wissenschaftliche Erkenntnisse zu typischen sprachlichen Entwicklungsstufen im Kita-Alter von ca. 3 Jahren, untersuchen wir, ob bestimmte Merkmale der Grammatik oder des Wortschatzes zuverlässig in technologische Algorithmen übersetzt werden können. Dadurch ließe sich später eine Aussage über den Sprachentwicklungsstand des Kindes treffen«, erklärt Tuschen.
Zu Besuch in der Kita
Für die Forschungs- und Entwicklungsarbeit werden Sprachdaten von Kindern aus möglichst alltäglichen Szenarien benötigt. Daher hat KLI gemeinsam mit den Projektpartnern wissenschaftliche Studien in Fröbel-Kitas durchgeführt. Mithilfe mobiler Technologien wurde die Spontansprache der Kinder in spielerischen Szenarien, stets unter Begleitung des pädagogischen Kita-Personals und Einhaltung strengster Datenschutzrichtlinien, erfasst. Anhand der Aufnahmen können die technologischen Lösungsansätze entwickelt und erprobt werden. Darüber hinaus evaluiert KLI in den Kitas die Einsatzmöglichkeiten und -anforderungen eines digitalen Sprachscreening-Verfahrens. »Um ein zuverlässiges und praktisch anwendbares Tool für die Sprachstandserhebung entwickeln zu können, ist es wichtig, dass Wissenschaft und Praxis Hand in Hand arbeiten. Deshalb freuen wir uns sehr, dass Fröbel den Zugang zu den Einrichtungen und damit relevante Sprachdaten sowie wertvollen Austausch mit den Fachkräften ermöglicht hat«, berichtet Jana Aguilar Marquez, EdTech Advisor and Researcher bei KLI.
Wissenschaftlicher Beirat und pädagogische Unterstützung
Bei den Entwicklungen steht Prof. Dr. Julia Siegmüller, Professorin für Therapieforschung und Therapiemethodik an der EUFH Europäischen Fachhochschule, beratend zur Seite. Sie ist Sprachwissenschaftlerin und Patholinguistin mit langjähriger Erfahrung im Bereich des kindlichen Spracherwerbs. »Dieses Projekt hat das Potenzial, die Früherkennung zu verbessern. Gerade der Versuch, sehr niedrigschwellig in der Kita Verdachtskinder zu finden, ist hervorzuheben. So vermeidet man langwierige Wartezeiten, die nur Zeit verstreichen lassen, in der das Kind schon gefördert werden könnte«, macht Siegmüller deutlich.
Der Projektpartner Fröbel unterstützt das Vorhaben durch eine praxisnahe Zusammenarbeit mit Erzieherinnen und Erziehern an seinen Kita-Standorten. »Wir freuen uns sehr, Teil dieses spannenden Projekts zu sein. Die Sprachkompetenzen von Kindern müssen so früh wie möglich in den Blick genommen werden. Denn erfolgreiche Sprachfördermaßnahmen setzen voraus, dass diese an den individuellen Fähigkeiten des Kindes anknüpfen. Hier brauchen pädagogische Fachkräfte Unterstützung, um diese alltagsintegriert dokumentieren zu können.«, berichtet Georg Alt, Fachbereichsleiter Innovation & Internationales der Fröbel Gruppe.
Weitere Informationen zur Gruppe Assistive Sprech- und Sprachanalyse des Fraunhofer IDMT in Oldenburg finden Sie hier: https://www.idmt.fraunhofer.de/de/hsa/research_fields/assistive_sprech_und_sprachanalyse.html. Einen Überblick über das Sprachprojekt »Sprechen für die Zukunft« erhalten Sie auf der zugehörigen Website der Klett Lernen und Information GmbH: https://klett-sprachprojekt.de/
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1 Therapie von Sprachentwicklungsstörungen Interdisziplinäre S3-Leitlinie, Stand: 21.12.2022, AWMF-Registernr.: 049-015 / Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V. (DGPP) / https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/049-015 (Letzter Zugriff: 26.04.2024)
2 DKLK Studie 2024: Key Facts Bundesweit / https://deutscher-kitaleitungskongress.de/digitale-pressemappe-2024/ (Letzter Zugriff: 26.04.2024)
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Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA am Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT in Oldenburg
Der im Jahre 2008 unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Birger Kollmeier und Dr. Jens-E. Appell gegründete Institutsteil Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT steht für marktnahe Forschung und Entwicklung mit Schwerpunkten auf
- Sprach- und Ereigniserkennung
- Klangqualität und Sprachverständlichkeit sowie
- Mobile Neurotechnologie und Systeme für eine vernetzte Gesundheitsversorgung.
Mit eigener Kompetenz in der Entwicklung von Hard- und Softwaresystemen für Audiosystemtechnologie und Signalverbesserung setzen die Mitarbeitenden am Standort Oldenburg wissenschaftliche Erkenntnisse in kundengerechte, praxisnahe Lösungen um.
Über wissenschaftliche Kooperationen ist der Institutsteil eng mit der Carl von Ossietzky Universität, der Jade Hochschule, der Hochschule Emden/Leer verbunden. Das Fraunhofer IDMT ist Partner im Exzellenzcluster »Hearing4all« und im Sonderforschungsbereich »Hörakustik«.
Weitere Informationen auf www.idmt.fraunhofer.de/hsa
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Christian Colmer
Leiter Marketing und Kommunikation
Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT
Institutsteil Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA
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Telefon +49 441 2172-436
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