Alte Genome enthüllen Verbreitungsgeschichte der Malaria
In einer neuen Studie in der Fachzeitschrift Nature rekonstruierte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig die Evolutionsgeschichte und die globale Ausbreitung der Malaria in den letzten 5.500 Jahren und identifizierte Handel und Kolonialismus als wichtige Katalysatoren für ihre Verbreitung.
Malaria, eine der tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt, wird durch verschiedene Arten von einzelligen Parasiten verursacht, die durch den Stich infizierter Anopheles-Mücken übertragen werden. Trotz umfangreicher Kontroll- und Ausrottungsmaßnahmen lebt noch immer fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Regionen mit Malariarisiko. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass Malaria jedes Jahr fast 250 Millionen Infektionen und mehr als 600.000 Todesfälle verursacht.
Abgesehen von diesen massiven Auswirkungen in der Gegenwart hat Malaria auch die menschliche Evolutionsgeschichte stark geprägt. "Obwohl Malaria heute weitgehend eine Tropenkrankheit ist, erstreckte sich das Verbreitungsgebiet des Erregers noch vor einem Jahrhundert über die Hälfte der Landfläche der Erde, einschließlich Teilen der nördlichen USA, Südkanadas, Skandinaviens und Sibiriens", sagt Erstautorin Megan Michel, Doktorandin am Max-Planck-Harvard-Forschungszentrum Archaeoscience of the Ancient Mediterranean (MHAAM), einer Forschungskooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) und der Initiative for the Science of the Human Past der Harvard University. "Das Erbe der Malaria ist in unseren Genomen verankert: Man vermutet, dass Genvarianten, die für verheerende Blutkrankheiten wie die Sichelzellanämie verantwortlich sind, in menschlichen Populationen überdauern, weil sie eine partielle Resistenz gegen Malaria-Infektionen verleihen."
Trotz dieser evolutionären Auswirkungen blieben Ursprünge und Verbreitung der beiden tödlichsten Malariaparasitenarten, Plasmodium falciparum und Plasmodium vivax, bisher rätselhaft. Malariainfektionen hinterlassen keine sichtbaren Spuren in menschlichen Skelettresten, und die wenigen Hinweise in historischen Texten sind schwer zu entziffern. Jüngste Fortschritte im Forschungsfeld Alte DNA haben jedoch gezeigt, dass menschliche Zähne Spuren von Krankheitserregern enthalten können, die zum Zeitpunkt des Todes im Blut einer Person vorhanden waren. Das macht es möglich, nach Krankheiten zu suchen, die normalerweise in archäologischen Aufzeichnungen nicht sichtbar werden.
Um die rätselhafte Geschichte der Malaria zu erforschen, hat ein internationales Forschungsteam von 80 Institutionen und aus 21 Ländern Plasmodium-Genomdaten von 36 Malaria-Infizierten aus 5.500 Jahren Menschheitsgeschichte und von fünf Kontinenten rekonstruiert. Diese alten Malariafälle bieten eine beispiellose Möglichkeit, die globale Ausbreitung der Malaria und ihre historischen Auswirkungen auf globaler, regionaler und sogar individueller Ebene zu rekonstruieren.
Biomolekularen Brotkrumen auf der Spur
Malaria ist heute in den tropischen Regionen Amerikas endemisch, und Forschende diskutieren seit langem, ob P. vivax, eine Malariaart, die an gemäßigte Klimazonen angepasst ist, mit der Besiedlung des Kontinents über die Beringstraße oder im Zuge der europäischen Kolonisation nach Amerika gelangt sein könnte. Um die Reise des Parasiten nach Amerika zu rekonstruieren, analysierte das Team alte DNA eines mit Malaria infizierten Individuums aus Laguna de los Cóndores, einem hoch gelegenen Ort in den abgelegenen Nebelwäldern der östlichen peruanischen Anden. Die Genomanalyse ergab eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen dem P. vivax-Stamm aus Laguna de los Cóndores und alten europäischen P. vivax-Stämmen, was stark darauf hindeutet, dass europäische Siedler diese Form der Malaria zu Beginn der Kolonialzeit nach Amerika brachten. "Verstärkt durch die Auswirkungen von Kriegen, Versklavung und Vertreibung haben Infektionskrankheiten wie Malaria die indigenen Völker Amerikas während der Kolonialzeit schwer getroffen, in einigen Gebieten mit Sterblichkeitsraten von bis zu 90 Prozent", sagt Koautorin Evelyn Guevara, Postdoc an der Universität Helsinki und am MPI-EVA.
Außerdem entdeckte das Team genetische Verbindungen zwischen dem Stamm von Laguna de los Cóndores und modernen peruanischen P. vivax-Populationen 400 bis 500 Jahre später. "Die Daten zeigen nicht nur, dass sich die Malaria schnell in einer heute relativ abgelegenen Region ausbreitete, sondern legen auch nahe, dass der Erreger dort gedieh, ein endemisches Zentrum bildete und Parasiten hervorbrachte, die noch heute Menschen in Peru infizieren", sagt Eirini Skourtanioti, Koautorin der Studie und Postdoc am MPI-EVA und MHAAM.
Malaria auf dem Vormarsch in Europa
Während auf dem amerikanischen Kontinent die Rolle des Kolonialismus bei der Ausbreitung der Malaria offensichtlich ist, haben auf der anderen Seite des Atlantiks militärische Aktivitäten die regionale Ausbreitung der Malaria beeinflusst. Der Friedhof der gotischen St.-Rombout-Kathedrale im belgischen Mechelen befand sich in unmittelbarer Nähe eines der ersten Militärhospitals (1567-1715) im Europa der frühen Neuzeit. Mithilfe der Analyse von alter menschlicher DNA und Erreger-DNA ist es den Forschenden gelungen, Fälle von P. vivax bei der lokalen Bevölkerung nachzuweisen, die vor dem Bau des Hospitals auf dem Friedhof begraben wurden. Unter den Personen, die nach dessen Bau dort bestattet wurden, fand das Team hingegen Fälle der virulenteren P. falciparum Malaria. "Interessanterweise fanden wir aus der Zeit nach Errichtung des Militärhospitals mehr Malariafälle bei Männern, die nicht aus der Region stammten", erklärt Koautorin Federica Pierini, Postdoc am MPI-EVA. "Wir haben auch mehrere Personen identifiziert, die mit P. falciparum infiziert waren, einer Plasmodium-Art, die vor ihrer Ausrottung im mediterranen Klima gedieh, von der man aber nicht annahm, dass sie damals nördlich der Alpen endemisch war.”
Bei den Männern handelte es sich vermutlich um Soldaten, die während des Achtzigjährigen Krieges aus Norditalien, Spanien und anderen Mittelmeerregionen rekrutiert wurden, um in der habsburgischen Armee in Flandern zu kämpfen. "Wir stellen fest, dass große Truppenbewegungen damals eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Malaria spielten, ähnlich wie heute bei der so genannten Flughafen-Malaria im gemäßigten Europa", erklärt Alexander Herbig, Leiter der Forschungsgruppe Computational Pathogenomics am MPI-EVA. "In unserer globalisierten Welt bringen infizierte Reisende Plasmodium-Parasiten in Regionen zurück, in denen die Malaria bereits ausgerottet ist. Mücken, die in der Lage sind, diese Parasiten zu übertragen, können dann sogar eine anhaltende lokale Übertragung verursachen. Obwohl sich die Malaria-Infektionslandschaft in Europa heute radikal von der vor 500 Jahren unterscheidet, sehen wir Parallelen in der Art und Weise, wie menschliche Mobilität das Malariarisiko beeinflusst.”
Handel im Himalaya und eine überraschende Infektion in großer Höhe
Auf der anderen Seite der Welt entdeckte das Team überraschend den ältesten bekannten Fall von P. falciparum-Malaria in der Hochgebirgsstätte Chokhopani (ca. 800 v.u.Z.) im Tal des Flusses Kali Gandaki im Distrikt Mustang in Nepal. Mit einer Höhe von 2.800 Metern über dem Meeresspiegel liegt die Stätte weit außerhalb des Lebensraums des Malariaerregers und der Anopheles-Mücke. "Die Region um Chokhopani ist kalt und ziemlich trocken", sagt Koautorin Christina Warinner, Professorin für Anthropologie an der Harvard University und Gruppenleiterin am MPI-EVA. "Weder der Parasit noch die Mücken, die Malaria übertragen, können in dieser Höhe überleben. Das warf für uns eine wichtige Frage auf: Wie hat sich das Individuum aus Chokhopani die Malaria-Infektion zugezogen, die letztlich zu seinem Tod geführt haben könnte?"
Humangenetische Analysen ergaben, dass es sich bei dem Infizierten um einen Einheimischen handelte, dessen Erbgut an das Leben in großer Höhe angepasst war. Archäologische Funde in Chokhopani und anderen nahe gelegenen Fundorten deuten jedoch darauf hin, dass diese Himalaya-Population aktiv am Fernhandel beteiligt war. "Wir stellen uns diese Regionen heute als abgelegen und unzugänglich vor, aber tatsächlich diente das Kali-Gandaki-Tal als eine Art Trans-Himalaya-Autobahn, die die Menschen auf dem tibetischen Plateau mit dem indischen Subkontinent verband", sagt Koautor Mark Aldenderfer, emeritierter Professor an der University of California, Merced, dessen Ausgrabungen in der Region die Fernhandelsverbindungen aufgedeckt haben. "Kupferartefakte, die in den Grabkammern von Chokhopani gefunden wurden, zeigen, dass die damaligen Bewohner von Mustang Teil eines größeren Handelsnetzwerkes waren, das auch Nordindien einschloss. Man musste nicht weit reisen, um in die tiefer gelegenen, schlecht entwässerten Regionen des nepalesischen und indischen Terai zu gelangen, in denen Malaria heute endemisch ist.” Das Team geht davon aus, dass der Mann wahrscheinlich in ein tiefer gelegenes Malariagebiet gereist ist, vielleicht zu Handels- oder anderen Zwecken, bevor er nach Chokhopani zurückkehrte oder dahin zurückgebracht wurde, wo er später begraben wurde. Die intimen Details, die die alte DNA enthüllt, geben Aufschluss über die unzähligen Wege, auf denen sich Infektionskrankheiten wie Malaria in der Vergangenheit ausgebreitet und zu unserer heutigen Krankheitslandschaft geführt haben.
Vergangenheit und Zukunft einer dynamischen Krankheit
Heute steht die Erfahrung der Menschen mit Malaria an einem Wendepunkt. Dank Fortschritten bei der Mückenbekämpfung und konzertierten Gesundheitskampagnen ist die Zahl der Todesfälle durch Malaria in den 2010er Jahren auf einen historischen Tiefstand gesunken. Doch das Auftauchen von Parasiten, die gegen Malariamedikamente resistent sind, und von Vektoren, die gegen Insektizide resistent sind, drohen die jahrzehntelangen Fortschritte zunichte zu machen. Das Forschungsteam hofft, dass alte DNA und die Erkenntnisse, die daraus gewonnen werden, ein zusätzliches Werkzeug zum Verständnis und sogar zur Bekämpfung dieser Bedrohung für die öffentliche Gesundheit sein können.
"Zum ersten Mal können wir die frühere Vielfalt von Parasiten in Regionen wie Europa untersuchen, in denen die Malaria heute ausgerottet ist", sagt Johannes Krause, Studienleiter und Direktor der Abteilung für Archäogenetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. "Wir sehen, wie Mobilität und Bevölkerungsbewegungen in der Vergangenheit die Ausbreitung von Malaria begünstigt haben, genauso wie die moderne Globalisierung heute malariafreie Länder und Regionen anfällig für eine Wiedereinschleppung macht. Durch die Erforschung 'alter' Krankheiten wie Malaria, die die Menschheit schon seit langer Zeit begleiten, hoffen wir, mehr über diese Organismen zu erfahren, die uns auch in Zukunft begleiten werden.”
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Megan Michel
Abt. für Archäogenetik
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
+49 174 2585-405, megan_michel@eva.mpg.de
Dr. Alexander Herbig
Leiter der Forschungsgruppe "Pathogenom-Bioinformatik", Abt. für Archäogenetik
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
+49 341 3550-778, alexander_herbig@eva.mpg.de
Prof. Dr. Johannes Krause
Direktor, Abt. für Archäogenetik
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
+49 341 3550-501, krause@eva.mpg.de
Originalpublikation:
Megan Michel et al.
Ancient Plasmodium genomes shed light on the history of human malaria
Nature, 12 June 2024, https://doi.org/10.1038/s41586-024-07546-2