Aktuelles vom DEGRO-Kongress – Thema der Präsidentensitzung ist die personalisierte Radioonkologie
Gestern wurde der 30. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie im Kongress Palais Kassel eröffnet, der in diesem Jahr unter dem Motto „Der Mensch im Mittelpunkt. Evidenzbasiert. Interdisziplinär.“ steht. Den Schwerpunkt, den die Kongresspräsidenten Prof. Dr. med. Simone Marnitz, Berlin, und PD Dr. med. habil. Gunther Klautke, Chemnitz, für die heutige Präsidentensitzung wählten, ist die Personalisierte Radioonkologie. Hier gibt es neue wegweisende Erkenntnisse. So können molekular basierten Marker bereits bei einigen Indikationen zeigen, ob z. B. auf eine begleitende Chemotherapie verzichtet werden kann.
Personalisierte Therapiekonzepte sind aus der medikamentösen Krebstherapie gut bekannt, moderne Medikamente werden seit geraumer Zeit danach ausgewählt, ob z. B. bestimmte Mutationen oder Tumorsignaturen vorliegen. Denn auch bei ein- und derselben Tumorart können solche molekular basierten Marker vorhersagen, ob eine Therapie anschlägt oder nicht. Nun erhalten sie auch zunehmend Eingang in die Radioonkologie. Die molekulare Klassifizierung anhand von Biomarkern wird bereits in naher Zukunft bei vielen Tumoren eine Schlüsselrolle für die Therapiestratifizierung spielen.
Beispiel Endometriumkarzinom: Hier wurden bereits molekulargenetische Subtypen etabliert (z. B. ultramutiert, hypermutiert, niedrige oder hohe Kopienzahl) [1]. „Die molekulare Klassifikation des Endometriumkarzinoms ist der Schlüssel zum Verständnis heterogener Ergebnisse ganzer Studiengenerationen“, betont Prof. Simone Marnitz. So wurde in der PORTEC-3-Studie [2], die verschiedene Regime von Radio- und Chemotherapie bei Patientinnen mit Hochrisiko-Endometriumkarzinomen verglich, eine Stratifizierung nach bisherigen klinischen Prognosefaktoren (wie Alter, FIGO-Stadium etc.) durchgeführt. Später erfolgte eine Reklassifizierung mittels genomischer Untergruppen: p53-Mutationen in 22,7 % der Fälle, POLE-Mutationen in 12,4 % und Mikrosatelliteninstabilität (DNA-Mismatch-Reparatur) in 33,4 % der Fälle. Nur 31,5 % der Patientinnen wiesen kein spezielles molekulares Profil auf. Insgesamt zeigte sich ein hoher Vorhersagewert der Molekulargenetik auf die Prognose und den Nutzen der adjuvanten Therapie. Z. B. profitierten besonders Frauen mit p53-Mutation, und zwar histologieunabhängig, von der adjuvanten Radiochemotherapie gefolgt von einer Chemotherapie (RCTX-CTX) mit einer signifikanten Verbesserung des rezidivfreien Überlebens. Patientinnen mit POLE-Mutation erreichten in beiden Studiengruppen, also auch unter alleiniger Chemotherapie, ein sehr gutes RFS. „Die molekulare Risikostratifizierung kann künftig Unter- und Übertherapien verhindern und stellt eine entscheidende Verbesserung der Stratifizierung für künftige Therapiestudien dar“, so Prof. Marnitz.
Personalisierte Behandlungen mit modernen strahlentherapeutischen Verfahren ermöglichen heute sogar kurative Therapieansätze bei fortgeschrittenen, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC).
Die leitlinienkonforme Therapie von Patientinnen und Patienten mit NSCLC im Stadium III B und C ist die simultane Radiochemotherapie. Dank moderner Zielvolumendefinitionen mit Hilfe des PET-CTs und der IMRT-Technik können hier sicher Strahlendosen von 66 Gy und mehr appliziert werden. In Kombination mit einer simultanen (Cis)platinbasierten Chemotherapie-Doublette werden hier 5-Jahresüberlebensraten von 30 – 40% erreicht [3]. Liegt bei den Patientinnen und Patienten eine PD-L1-Expression bzw. ein TPS („PD-L1 tumor proportion score“) ≥ 1 % vor, erfolgt quasi als Personalisierung die Gabe von Durvalumab über ein Jahr. Dadurch können die 5-Jahresüberlebensraten auf 50 % gesteigert werden. Da PD-L1-Inhibitoren und Strahlentherapie viele positive Wechselwirkungen aufweisen, liegt der Schluss nahe, Strahlentherapie und CPI ohne begleitende Chemotherapie einzusetzen. Erste positive Ergebnisse zeigt hier die SPRINT-Studie [4] zur personalisierten Radioimmuntherapie bei lokal fortgeschrittenem (LA) NSCLC, bei Patientinnen und Patienten mit einem TPS von ≥50 %. Nach drei Kursen Pembrolizumab wurden hypofraktioniert 20 x 2,75 Gy bzw. 20 x 2,4 Gy appliziert, gefolgt von einer Konsolidierung mit Pembrolizumab für ein weiteres Jahr. Das mPFS betrug 26 Monate, das 2-Jahres-Gesamtüberleben lag bei 78 % und damit nicht schlechter als im PACIFIC-Trial. Unterstützt wird diese Beobachtung durch eine japanische Studie [5], in der die Betroffenen eine Strahlentherapie (60 Gy) mit simultan und konsolidierend Durvalumab erhielten und ein mPFS von 25,6 Monaten verzeichnen konnten.
Bei Patientinnen und Patienten mit einer EGFR-Treibermutation, die im Rahmen der LAURA-Studie nach einer Radiochemotherpie in einer randomisierten Doppelblindstudie Osimertinib, einen Tyrosinkinasehemmer der dritten Generation (versus Placebo) erhielten, konnte das mittlere progressionsfreie Überleben (mPFS) von 5,6 Monate auf 39,1 Monate signifikant verbessert werden [6]. Ansätze mit Tyrosinkinasehemmer (TKIs) der älteren Generation, die auch in Zellkulturen eine strahlensensibilisierende Wirkung zeigen, führten in Kombination mit einer Strahlentherapie beim Vorliegen einer EGFR-Mutation auch hier, bei deutlich geringeren Patientenzahlen, zu einem mPFS zwischen 18,6 und 24,5 Monaten [7], was wiederum dafür spricht, diese zielgerichtete Therapie mit einer Strahlentherapie ohne simultane Chemotherapie weiter zu untersuchen.
Unabhängig davon gibt es viele weitere Faktoren, die das Therapieergebnis beeinflussen können und möglicherweise auch die Therapiestrategie bzgl. Operation oder Strahlentherapie steuern könnten. So könnte eine geringe Expression von LKB1-Expression (ein Tumorsuppressorgen) eher für ein operatives Vorgehen sprechen, während eine hohe Expression von LKB1 mit geringen Lokalrezidiven und Fernmetastasen nach RCT vergesellschaftet ist [8]. Ähnlich könnte man nach neoadjuvanter RCT anhand der Blutplättchenzahl [9] eine Weiche bzgl. OP oder definitiver RCT sehen.
„Es muss auch im Zusammenhang mit der Strahlentherapie das Ziel sein, die Systemtherapie nach molekularpathologischen Markern im Sinne einer personalisierten Therapie, ähnlich wie im metastasierten Stadium, einzusetzen. Dazu wird eine ganze Reihe von Studien notwendig sein, und hier an unserem Jubiläumskongress sollte der Anstoß dafür gegeben werden“, wünscht sich Kongresspräsident PD Dr. Gunther Klautke. Auch DEGRO-Pressesprecherin Prof. Dr. Stephanie E. Combs, München, sieht in der Personalisierung die Zukunft der Radioonkologie: „Mit Hilfe molekular basierter Marker werden wir zukünftig bei allen Betroffenen den erfolgversprechendsten Therapieweg wählen und in der Strahlentherapie sogar die individuell ideale Dosis vorab bestimmen können.“
[1] Marnitz S, Walter T, Schömig-Markiefka B et al. A Modern Approach to Endome-trial Carcinoma: Will Molecular Classification Improve Precision Medicine in the Future? Cancers (Basel). 2020 Sep 10;12(9):2577. doi: 10.3390/cancers12092577
[2] Marnitz S, Schömig-Markiefka B. PORTEC-3-Studie für Endometriumkarzinome mit hohem Risiko: Auswir-kungen der molekularen Klassifizierung auf die Prognose und den Nutzen einer adjuvanten Therapie [The POR-TEC-3 trial for high-risk endometrial cancer: impact of molecular classification on prognosis and benefit from adjuvant therapy]. Strahlenther Onkol. 2021 Mar; 197 (3): 266-268. German. doi: 10.1007/s00066-020-01735-4
[3] Faivre-Finn C, Vicente D, Kurata T et al.. Four-Year Survival With Durvalumab After Chemoradiotherapy in Stage III NSCLC-an Update From the PACIFIC Trial. J Thorac Oncol. 2021 May;16(5):860-867. doi: 10.1016/j.jtho.2020.12.015
[4] Ohri N, Jolly S, Cooper BT, Kabarriti R, Bodner WR, Klein J, Guha C, Viswanathan S, Shum E, Sabari JK, Cheng H, Gucalp RA, Castellucci E, Qin A, Gadgeel SM, Halmos B. Selective Personalized RadioImmunotherapy for Locally Advanced Non-Small-Cell Lung Cancer Trial (SPRINT). J Clin Oncol. 2024 Feb 10;42(5):562-570. doi: 10.1200/JCO.23.00627
[5] Tachihara M, Tsujino K, Ishihara T et al.; West Japan Oncology Group (WJOG). Durvalumab Plus Concurrent Radiotherapy for Treatment of Locally Advanced Non-Small Cell Lung Cancer: The DOLPHIN Phase 2 Nonrandomized Controlled Trial. JAMA Oncol2023; 9 (11): 1505-1513. doi:10.1001/jamaoncol.2023.3309
[6] Lu S, Kato T, Dong X et al.; LAURA Trial Investigators. Osimertinib after Chemoradiotherapy in Stage III EGFR-Mutated NSCLC. N Engl J Med. 2024 Jun 2. doi: 10.1056/NEJMoa2402614
[7] Akamatsu H, Toi Y, Hayashi H et al. Efficacy of Osimertinib Plus Bevacizumab vs Osimertinib in Patients With EGFR T790M-Mutated Non-Small Cell Lung Cancer Previously Treated With Epidermal Growth Factor Receptor-Tyrosine Kinase Inhibitor: West Japan Oncology Group 8715L Phase 2 Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. 2021 Mar 1; 7 (3): 386-394. doi: 10.1001/jamaoncol.2020.6758
[8] Sitthideatphaiboon P, Nantavithya C, Chantranuwat P, Vinayanuwattikun C, Sriuranpong V. Impact of LKB1 status on radiation outcome in patients with stage III non-small-cell lung cancer. Sci Rep. 2024 Mar 14; 14 (1): 6146. doi: 10.1038/s41598-024-55476-w
[9] Park CK, Lee SW, Cho HJ et al. Blood-Based Biomarker Analysis for Predicting Efficacy of Chemoradiotherapy and Durvalumab in Patients with Unresectable Stage III Non-Small Cell Lung Cancer. Cancers (Basel). 2023 Feb 10;15(4):1151. doi: 10.3390/cancers15041151
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