Fachkräfteengpässe, soziale Ungleichheiten und fehlendes Lehrpersonal. SOFI-Ergebnisse des Bildungsberichts 2024
Aktuelle SOFI-Ergebnisse aus dem heute erschienenen Nationalen Bildungsbericht zeigen Trends und bleibende Herausforderungen in der beruflichen Ausbildung:
Zahl der Anfänger:innen im dualen System erholt sich nur langsam vom pandemiebedingten Rückgang und bleibt weiter hinter dem Niveau von 2019 zurück +++ Verbesserte Angebots-Nachfrage-Relation bei gleichzeitig hoher Zahl unbesetzter Stellen und unversorgter Bewerber:innen +++ Sinkende Anfänger:innenzahlen gefährden Fachkräftesicherung in Gesundheits- und Erziehungsberufen +++ Soziale Ungleichheiten beim Ausbildungszugang und Prüfungserfolg bestehen fort +++ Hoher Bedarf an Lehrkräften für berufsbildende Schulen +++
„Nach dem starken Einbruch im Zuge der Corona-Pandemie hat sich die Situation auf dem dualen Ausbildungsmarkt etwas entspannt“, konstatiert Prof. Dr. Susan Seeber (Universität Göttingen/SOFI), die als Mitglied einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftler:innen den Bildungsbericht 2024 erstellt hat. Erstmals seit 1995 übersteigt bundesweit die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze die Nachfrage an Ausbildungsstellen; eine deutliche Unterdeckung besteht jedoch weiterhin in Berlin, Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Zudem bleibt trotz der verbesserten Ausgangslage die Zahl der Neuzugänge zum dualen System mit 456.000 deutlich hinter dem Niveau von 484.000 des Jahres 2019 zurück. Nicht zuletzt führen anhaltend hohe Passungsprobleme, also das gleichzeitige Auftreten unvermittelter Bewerber:innen und unbesetzter Stellen, dazu, dass weniger Ausbildungsverträge zustande kommen, als möglich wären (knapp 64.000). „Inwieweit die im Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung verabschiedeten Reformvorhaben, wie das Berufsorientierungspraktikum, der Mobilitätszuschuss oder die Ausbildungsgarantie bei regionaler Unterversorgung diesen Problemen entgegentreten können, bleibt zu beobachten. Denn eine fehlende Passung deutet auch auf Probleme in der Attraktivität von Berufen und deren gesellschaftlicher Wertschätzung hin, die allein über das Berufsbildungssystem nicht gelöst werden können“, betont die Göttinger Professorin für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung.
Herausforderungen der Fachkräftesicherung betreffen zudem Berufe des Schulberufssystems. So hat sich der in den vergangenen Jahren beobachtbare leichte Wachstum nicht fortgesetzt. „Die in den letzten Jahren eingeleiteten Reformmaßnahmen im Bereich der Frühen Bildung und des Gesundheitswesens wie die Einführung der generalistischen Pflegeausbildung oder die Pluralisierung von Ausbildungsformaten in der Erzieher:innenausbildung scheinen daher erst einmal nicht zur erhofften langfristigen Attraktivitätssteigerung dieser Ausbildungen geführt zu haben“, resümiert Dr. Maria Richter vom SOFI, Co-Autorin des Bildungsberichts. „Aufgrund fehlender systematischer Evaluationen wissen wir allerdings kaum etwas darüber, warum die gewünschten Effekte nicht oder nicht sofort eintreten.“
Weitreichende Probleme der Ausbildungsintegration werden ebenso an der hohen Anzahl an Neuzugängen zum Übergangssektor deutlich (250.000), der anteilsmäßig überdurchschnittlich hoch u.a. in Niedersachsen und Bremen ist. Zwar ist dieser Anstieg auch kriegs- und fluchtbedingt und verweist auf die wichtige Integrationsarbeit, die vor allem Berufsschulen für diese spezifische Zielgruppe leisten. Zugleich bleiben die ungleichen Chancen der Einmündung in eine vollqualifizierende Ausbildung nach Schulabschluss und Staatsangehörigkeit bestehen. Zudem erlebt fast die Hälfte der jungen Menschen, die in den Übergangssektor eingemündet sind, danach instabile Ausbildungsverläufe mit dem Risiko von Ausbildungslosigkeit. Ungleichheiten setzen sich aber auch am Ende der Ausbildung fort: „So können wir bei den dualen Abschlussprüfungen, insbesondere in den letzten 3 Jahren, einen starken Rückgang der bestandenen Prüfungen feststellen, der besonders hoch unter Personen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit ausfällt“, erklärt Richter. „Diese Entwicklungen verweisen auf die Notwendigkeit individualisierter Stütz- und Förderangebote vor und während der Ausbildung sowie in Vorbereitung auf die Prüfungen, da wir sonst Gefahr laufen, wichtige Potenziale für den Arbeitsmarkt unausgeschöpft zu lassen mit weitreichenden Folgen für die soziale Integration dieser Personen.“
Nicht zuletzt stellt hierfür die Sicherung des pädagogischen Personals in der beruflichen Ausbildung eine wichtige Voraussetzung dar. Derzeitige Prognosen weisen allerdings auf eine weiter fortschreitende Unterdeckung von Lehrkräften für berufsbildende Schulen hin. Gut ein Fünftel der beruflichen Lehrkräfte verfügt über keine Lehramtsausbildung, sondern ist über Quer- und Seiteneinstiege als Lehrkraft tätig. „Herausforderungen für das Berufsbildungssystem bestehen daher zum einen darin, zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen für diese Gruppe zu ermöglichen, aber auch passgenaue Fortbildungen für alle beruflichen Lehrkräfte bereitzustellen. Zum anderen muss viel deutlicher gemacht werden, wieviel Vielfalt und Abwechslung mit dem beruflichen Lehramt einhergehen, welche persönlichen Entfaltungschancen dieser Beruf bietet. Der Ausbau der Studienformate, um mehr Personen zu gewinnen, hat jedenfalls bisher nur zu leichten Anstiegen bei der Zahl der Studienanfänger:innen geführt“, resümiert Seeber.
Den aktuellen Bildungsbericht mit weiteren Informationen finden Sie unter: www.bildungsbericht.de
Über den nationalen Bildungsbericht:
Der Bildungsbericht „Bildung in Deutschland“ wird von einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftler:innen erstellt, die folgende Einrichtungen vertreten: Das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (Federführung), das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e. V. (DIE), das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) an der Georg-August-Universität sowie die Statistischen Ämter des Bundes (Destatis) und der Länder. Die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördern die Erarbeitung des Berichts.
Weitere Informationen und Kontakt:
Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V.
an der Georg-August-Universität
Friedländer Weg 31
37085 Göttingen
Wissenschaftliche Ansprechpartnerin:
Dr. Maria Richter
Tel. +49 551-52205-0
E-Mail: maria.richter@sofi.uni-goettingen.de
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Jennifer Villarama
Tel. +49 551-52205-19
E-Mail: jennifer.villarama@sofi.uni-goettingen.de
Georg-August-Universität Göttingen
Professur für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung
Platz der Göttinger Sieben 5
37073 Göttingen
Wissenschaftliche Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Susan Seeber
Tel. +49 551 39-244 21
E-Mail: susan.seeber@uni-goettingen.de
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V.
an der Georg-August-Universität
Friedländer Weg 31
37085 Göttingen
Dr. Maria Richter
Tel. +49 551-52205-0
E-Mail: maria.richter@sofi.uni-goettingen.de
Georg-August-Universität Göttingen
Professur für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung
Platz der Göttinger Sieben 5
37073 Göttingen
Prof. Dr. Susan Seeber
Tel. +49 551 39-244 21
E-Mail: susan.seeber@uni-goettingen.de
Weitere Informationen:
https://www.bildungsbericht.de/de
http://www.sofi.uni-goettingen.de