Apotheken-Reformgesetz: Präsident der DGKL warnt vor nutzlosen Fake-Tests und bietet Apotheken die Zusammenarbeit an
Anlässlich des von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigten Apotheken-Reformgesetzes (ApoRG) bietet der Präsident der Deutschen Gesellschaft für klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin e.V. (DGKL), Harald Renz, Deutschlands Apotheken und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zusammenarbeit an. Gleichzeitig fordert er genauere Regularien im Bereich der sogenannten Lifestyle-Testungen - und warnt vor "Fake-News" beim Marketing auf Kosten der Patientinnen und Patienten. Der Mediziner Renz ist Direktor sowie Professor am Institut für Labormedizin und Pathobiochemie, Molekulare Diagnostik der Philipps Universität Marburg.
DGKL News: Herr Prof. Renz, ein Interessenverband, der nach eigenen Angaben 200 Medizinlabore vertritt, hat am vergangenen Freitag Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach scharf angegriffen. Im Wesentlichen kritisieren Ihre Kollegen die Tatsache, dass POC-Tests demnächst von Apothekerinnen und Apothekern durchgeführt werden könnten, sofern das Apothekenreformgesetz Realität wird. Die DGKL hat schon lange zuvor auf Risiken hingewiesen, die aus einer flächendeckenden Einführung von POCT resultieren. Können Sie die Kernpunkte der DGKL-Kritik an dieser Stelle für den Gesundheitsminister noch einmal kurz zusammenfassen?
Renz: Das Thema Labor und Apotheke muss sehr differenziert betrachtet werden. Zunächst: Worum geht es eigentlich? Bei einem Mangel an Hausärzten und Basisärzten braucht es eine niederschwellige Eintrittspforte in das medizinische System. Hier können die Apotheken helfen. Dabei geht um ein sinnvolles Risikoscreening. Beispielsweise bei Verdacht auf Herz-Kreislauferkrankungen, zur Überprüfung der Nierenfunktion, bei einigen ausgewiesenen, dezidierten Infektionserkrankungen.
DGKL News: Haben Sie ein konkretes Beispiel für uns?
Renz: Schauen wir in die Schweiz. Dort gibt es gegenwärtig eine Liste mit circa 33 Analysen, die von der Apotheke initiiert werden können. Jetzt gilt es zu unterscheiden: Wer macht denn das Labor? Wenn es die Apotheke selber macht, muss – und da sind wir völlig auf der Linie der ALM – hier dieselbe Qualitätsmesslatte angelegt werden, wie bei allen anderen medizinischen Laboren auch.
Alternativ sollte natürlich auch die Möglichkeit bestehen, dass die Apotheke mit professionellen medizinischen Laboren kooperiert. Dies wäre eine neue Partnerschaft und Allianz, der wir sehr offen gegenüberstehen. Sie sehen also, das Thema muss äußerst differenziert betrachtet werden.
DGKL News: Ein Grund für die mediale Aufmerksamkeit des Deutschen Ärzteblattes und der Ärztezeitung für die Kritik des Interessenverbandes war sicherlich auch die recht plakativ-bunte Sprache. Der Vorstandsvorsitzende der ALM argumentierte mit dem Satz: „Nach Vorstellung des Ministers sollen kranke Menschen mit Stuhlproben in die Apotheke gehen, die dort aus dem flüssigen Stuhl die Schnelltests und später dann auch noch die PCR durchführen?". Inwieweit man die Gedankengänge und Vorstellungen des Gesundheitsministers als Tatsachenbehauptung verbreiten sollte, oder medienrechtlich darf, wollen wir nicht thematisieren. Aber bei der Stuhlprobe erscheinen uns solche Aussagen doch eher falsch. Geht es denn da nicht eher um immunologische Tests, die okkultes Blut nachweisen - und auf diese Weise Darmkrebs rechtzeitig erkennen können?
Renz: In der Tat. Es ist klar belegt, dass die immunologischen Stuhltests auf okkultes Blut besonders geeignet sind für die Darmkrebsvorsorge. Aber hier könnte man sich natürlich auch über die oben genannten Kautelen vorstellen, dass den Apotheken dort, wo ein Grundversorgermangel besteht, eine gewisse Rolle zukommt.
DGKL News: Man muss demnach differenzieren. In Australien sind POCT eine sinnvolle Ergänzung der Labormedizin, vor allem in entlegenen Gebieten. (Wir berichteten). Nun hat aber gerade die Covid-19 Pandemie gezeigt, dass POCT ohne eine nachfolgende, fundierte PCR-Analyse bei Verdacht auf eine Infektion nicht ausreichen. Könnten Apotheken im Verdachtsfall nicht mit Labormedizinern zusammenarbeiten?
Renz: Ganz genau! Wir sollten und wollen uns gar nicht einer solchen Partnerschaft verschließen. Die DGKL steht als Partner für die Apotheken zur Verfügung.
Aber eben auch als Partner für das Bundesgesundheitsministerium, um hier gemeinschaftlich mit allen Stakeholdern eine optimale Lösung für die anstehenden Probleme zu erarbeiten.
DGKL News: Und wenn man ehrlich ist, wäre der Support als Kombination Apotheke-Labormedizin doch sinnvoller, als die vielen privaten Teststationen, die es während der Pandemie gab. Zumindest hier bei uns im Ort wurden einige dieser Teststationen von Personen betrieben, die zuvor in Schnellimbissen gearbeitet hatten. Viele dieser privaten Teststationen wurden danach wegen Betrugs in Millionenhöhe geschlossen. Hand auf's Herz: Wären da Apotheken im Falle einer kommenden Pandemie nicht die besseren Partner für die Labormedizin?
Renz: "Die Apotheken" ist zu allgemein gegriffen. Auch Apotheken müssen bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllen, um Laboruntersuchungen in ihren Räumlichkeiten anzubieten. Da braucht es beispielsweise einen Extraraum für die Blutabnahme und für die Beratung. Es braucht eine entsprechende Logistik für die Weiterleitung der Proben an ein Partnerlabor. Hier spielen präanalytische Aspekte eine ganz entscheidende Rolle. Des Weiteren braucht es eine Kompetenzschulung des Apothekenpersonals für die Blutabnahme (kapilläre oder sogar venöse Blutabnahmen). Und schließlich, was die ganze Analytik anbelangt, müssen die Qualitätsmaßnahmen innerhalb der Apotheke aufgebaut werden. Sie sehen also: Ein vielfältiges Tun und Handeln ist in der Apotheke erst einmal Voraussetzung, bevor man überhaupt daran denken kann, das Labor dort zu integrieren. Diese Voraussetzungen werden bei Weitem nicht alle Apotheken erfüllen. Ich sehe da eher einen kleineren Teil der Apotheken in der Praxis dann am Zuge.
DGKL News: Allerdings sehen wir Probleme bei der technischen Umsetzung. Wie soll das Ergebnis des POCT zum Labormediziner gelangen, und wie erfährt der behandelnde Hausarzt dann davon?
Renz: Hier sind wir jetzt auf der Ebene des Befundreportings. Dass wir erheblichen Nachholbedarf mit der elektronischen Patientenakte haben, wissen wir, aber da wäre genau auch ein Ansatzpunkt für eine solche elektronische Patientenakte.
DGKL News: Zum Schluss noch eine Frage, die viele verunsicherte Leserinnen und Leser interessieren dürfte: Ist es überhaupt sinnvoll, einen POCT ohne ärztliche Begleitung durchführen zu lassen?
Renz: Leider gibt es am Markt – im Internet – ein breites Angebot von Lifestyle-Testungen. Beispielsweise aus Haaren und anderem Biomaterial, was bei weitem nicht die wissenschaftlichen Standards erfüllt. Und da müssen wir ansetzen.
Wir reden ja auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens über „Fake News“. Auch hier müssen wir bei den Angeboten die Spreu vom Weizen trennen. Es bedarf doch erheblicher Anstrengung, auch auf regulatorischer Seite: Wer darf was anbieten, und wer darf was durchführen? Auch hier stehen wir als DGKL den entsprechenden Stakeholdern als Partner jederzeit zur Verfügung.
DGKL News: Vielen Dank für Ihre Zeit.
Abdruck bei Nennung der Quelle (www.dgkl.de) honorarfrei.
Das Interview führten DGKL-Redakteure Marita Vollborn und Vlad Georgescu.
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