Bremerhavener Studentin Linda Meißner lässt Fischzellen im Labor wachsen
In den letzten Jahren hat die Bedeutung der Zell- und Gewebeforschung nicht nur in der Medizin stark zugenommen. Auch die Nahrungsmittelindustrie forscht in diesem Bereich, um zukünftig mithilfe von „Laborfleisch“ den steigenden Bedarf an Lebensmitteln decken zu können. Angeregt durch das Forschungsprojekt „SerAZel“ wagt sich die Bremerhavener Studentin Linda Meißner in ihrem Projekt im Studiengang Biotechnologie der Marinen Ressourcen an ein besonders schwieriges Feld. Im Labor für tierische Zellen arbeitet sie daran, unsterbliche Muskelzellen von Fischen zu kultivieren. Wenn sie Erfolg hat, könnten ihre Ergebnisse die Grundlage für ein neues Forschungsprojekt bilden.
Unterstützt wird sie bei ihrer Arbeit nicht nur durch ihre Professorin Dr. Felicitas Berger, sondern auch vom Alfred- Wegener-Institut.
Seit mehr als zwei Jahren arbeitet Linda Meißner neben ihrem Studium als studentische Hilfskraft im Labor für tierische Zellen und unterstützt dort Laborleiterin Prof. Dr. Felicitas Berger bei Versuchen mit Zellkulturen. Dies sind in der Regel Säugetierzellen, die als Zelllinien – also immortale oder unsterbliche Zellen - bestellt werden können. Für ihr Projektstudium wollte die Studentin allerdings etwas Neues ausprobieren: „Auslöser für meine Projektierung war das Forschungsprojekt ‚SerAZel‘, das algenbasierte Seren für die Zellforschung entwickeln möchte, um künftig auf das ethisch bedenkliche Fetale Kälberserum verzichten zu können. Die Möglichkeit, diese Seren auch an Fischmuskelzellen zu testen, schien mir eine perfekte Verbindung meiner Interessen zu sein. Besonders spannend fand ich die Aussicht, Zellkultur in Kombination mit marinen Ressourcen anzuwenden, was ja auch die Richtung meines Studiengangs ist.“ Hier gab es jedoch ein Problem. Anders als Zelllinien von Säugetieren sind Fischzelllinien aus Muskel nicht so einfach zu beschaffen. „In anderen Ländern werden sie zwar in Unternehmen bereits hergestellt, aber nur für eigene Zwecke und nicht für die Forschung. Derzeit gibt es nur ein Unternehmen in den USA, bei dem Fischmuskelzellen bestellt werden können. Allerdings ist die Einfuhr sehr schwierig“, sagt Prof. Dr. Felicitas Berger.
Weil sie mit den gekauften Fischzelllinien keinen Erfolg hatten, möchte Linda Meißner eine eigene etablieren. Das ist jedoch nicht einfach. „Das größte Problem sind Kontaminationen, die bei der Isolierung der Zellen entstehen und mit in die Kultur genommen werden“, erklärt Linda Meißner. „Ich arbeite unter sehr sterilen Bedingungen und die Nährlösung enthält auch immer ein Antibiotikum. Trotzdem haben meine ersten drei Versuche nicht funktioniert und die isolierten Zellen sind der Kontamination zum Opfer gefallen. Die Kontaminationen kamen wohl von der Fischhaut.“ Erst beim vierten Mal enthielt die Kultur auch unkontaminierte Zellen. Diese dürfen sich nun weiter vermehren und werden dann charakterisiert. „Wir müssen herausfinden, ob es sich dabei wirklich um Muskelzellen handelt. Mit anderen Zellen, zum Beispiel Bindegewebszellen, können wir leider nicht weiterarbeiten, da aus ihnen kein Fleisch hergestellt werden kann“, erklärt Prof. Berger. Das Material für die Versuche erhält Linda Meißner vom Alfred-Wegener-Institut.
Zwei Meilensteine gebe es bei der Arbeit mit primärer Zellkultur, sagt die Studentin. Der erste sei die Isolation von Stammzellen. „Ausdifferenzierte Muskelzellen selbst sind nicht teilungsfähig. Deshalb müssen wir Stammzellen gewinnen. Diese teilen sich, sodass daraus Material für die typische Fleischstruktur entsteht“, sagt Prof. Berger. Zunächst muss ihre Studentin daher herausfinden, welche Umgebung diese Stammzellen brauchen. „Die Zusammensetzung des Nährmediums unterscheidet sich von Organismus zu Organismus. Ich teste verschiedene und überprüfe, ob und welchen CO2- Gehalt und welche Temperatur die Zellen benötigen.“ Wissenschaftliche Veröffentlichungen geben hier eine Orientierung, welche Zusammensetzung in der Vergangenheit gut funktioniert hat.
Der zweite Meilenstein, den die Studentin erreichen möchte, ist, die Zellen immortal zu machen. Während sich normale Zellen vor ihrem Tod maximal fünfzig Mal teilen, gibt es bei immortalen Zellen keine Höchstgrenze. Dadurch würde sie eine Zelllinie gewinnen, mit der auch in zukünftigen Forschungsprojekten weitergearbeitet werden kann. Wirklich beeinflussen kann sie diesen Schritt jedoch nicht. „Das erfolgt rein zufällig durch Mutation und lässt sich nicht lenken. Es gibt fast immer Zellen, die sich schneller teilen als andere. Die werden selektiert und weiter kultiviert. Irgendwann entwickeln sich im besten Fall Zellen, die gar nicht mehr sterben“, sagt die Studentin.
Bis sich sagen lässt, ob ihre Kulturen unsterbliche Zellen enthalten, wird es noch einige Monate dauern. Voraussichtlich den ganzen Sommer lang wird sich Linda Meißner um ihre Zellkulturen kümmern. Über die Chance, sich während ihres Projektstudiums mit diesem innovativen Thema beschäftigen zu dürfen, freut sich die Studentin: „Ich habe als studentische Hilfskraft von Frau Berger so viel gelernt und wollte mit meiner Projektierung mein erlerntes Wissen vertiefen und erweitern, anstatt irgendwo wieder von Null anzufangen. Und mir gefällt der Gedanke, dass eine Fischzelllinie, die mit algenbasierten Seren funktioniert, möglicherweise FKS-freies kultiviertes Fischfleisch hervorbringen könnte. Das würde den Druck auf Ozeane und Aquakultur verringern.“
Der siebensemestrige Bachelorstudiengang Biotechnologie der Marinen Ressourcen erkennt das im Meer enthaltene Potenzial für die Entdeckung neuer Wirkstoffe, die Entwicklung nachhaltiger Lösungen für die Ernährung der Menschheit und vieles mehr. Dabei werden auf Basis erlernter meeresbiologischer Grundkenntnisse Bereiche der Bioanalytik mit der Bioverfahrenstechnik kombiniert, um neue innovative Ideen zu schaffen. „Das Meer dient dabei als Vorbild, um diese Ziele zu erreichen, ohne ihm zu schaden und dessen Ressourcen zu berauben,“ etwas, was der Studentin im 6. Semester sehr am Herzen liegt.
Der dreisemestrige Masterstudiengang Biotechnologie bereitet auf die Tätigkeiten in biotechnologischen Berufen in der Forschung und Industrie vor. Die zu Beginn des Bachelorstudiums erworbenen Grundkenntnisse in der Meeres- und Zellbiologie, Ozeanographie und marinen Ökologie, Chemie und Bioanalytik werden durch Vertiefungen in Bereichen wie der Zell- und Algenkulturtechnik, der Massenspektrometrie, Umweltbioanalytik, marinen Mikrobiologie, nachhaltigen Fischerei sowie Ecosystem Services erweitert.
Derzeit läuft die Bewerbungsphase für das Wintersemester 2024/25 an der Hochschule Bremerhaven. Studieninteressierte können sich bis zum 15. August für die zulassungsfreien Studiengänge – darunter Biotechnologie der Marinen Ressourcen und Biotechnologie – über das hochschuleigene Bewerbungsportal ecampus.hs-bremerhaven.de bewerben. Für die zulassungsbeschränkten Bachelorstudiengänge Digitale Medienproduktion, Physician Assistant und Soziale Arbeit sind Bewerbungen ausschließlich über das Portal www.hochschulstart.de bis zum 15. Juli möglich.