DEGRO-Wissenschaftspreise 2024 auf dem Kongress für Radioonkologie vergeben
Jährlich verleiht die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie drei hochrangige Wissenschaftspreise, den Günther-von-Pannewitz-Preis, den Hermann-Holthusen-Preis und den Preis für Klinische Radioonkologie. Dieses Jahr gingen die Ehrungen an Prof. Dr. Udo Gaipl, Erlangen, PD Dr. Oliver Blanck, Kiel, und Prof. Dr. Emmanouil Fokas, Köln. Die ausgesprochen alltagsrelevante Forschung der Preisträger beschäftigt sich mit der Niedrigdosis-Einmal-Strahlentherapie von benignen immunologischen Erkrankungen (z. B. bei Rheuma), innovativen Entwicklungen der stereotaktischen Strahlentherapie (z. B. bei Herzrhythmusstörungen) und verbesserten Behandlungsmöglichkeiten bei Rektum- und Analkarzinom.
Der Günther-von-Pannewitz-Preis prämiert eine hervorragende wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Strahlentherapie nicht maligner Erkrankungen und ihren biologischen und physikalischen Grundlagen.
Dieses Jahr ging der Preis an Prof. Dr. Udo Gaipl, Erlangen, der 2007 die „Arbeitsgruppe Strahlenimmunbiologie“ gründete und sich intensiv mit den immunmodulatorischen Effekten von Niedrigdosis-Strahlentherapie auf das angeborene und adaptive Immunsystem beschäftigt. In zahlreichen präklinischen und translationalen Arbeiten konnte sein Team zeigen, dass insbesondere Einzeldosen von 0,5 Gy nicht nur zentrale Immunzellen und die Entzündungsentstehung (z. B. bei rheumatischer Arthritis) effektiv unterdrücken – sondern außerdem auch Makrophagen und somit die Aufrechterhaltung des Inflammationsprozesses supprimieren. Exemplarisch steht seine wegweisende Kernarbeit, wie sich verschiedene Makrophagenfunktionen bei Bestrahlung ändern [1].
Eine Hauptwirkung der Niedrigdosisbestrahlung ist die reduzierte Sekretion von IL-1β durch Makrophagen, wobei die Strahlenwirkung auf Makrophagen und andere Zellen nicht-linear ist (z. B. wirkte 1,0 Gy nicht stärker als 0,5 Gy). Zusätzlich zu lokalen Bestrahlungseffekten wurden in extra entwickelten Immunphänotypisierungs-Assays systemische Immunveränderungen nachgewiesen. Neben der Modulation des entzündlichen Makrophagen-Phänotyps zeigten präklinische Daten, dass die Niedrigdosis-Bestrahlung gesunde Zellen im Gelenk nicht schädigt und dass zudem der Knochenstoffwechsel günstig beeinflusst wird. In klinischen Studien konnten eine langanhaltende Schmerzreduktion und spezifische Immunmodulationen im peripheren Blut erreicht werden [2]. Gaipl machte sich nicht nur verdient um das Verständnis neuer immunologischer Mechanismen der Niedrigdosis-Strahlentherapie und die klinische Umsetzung von 0,5 Gy als optimale Einzeldosis, sondern auch um die Initiierung entsprechender Placebo-kontrollierer Studien und um das detaillierte immunologische Patientenmonitoring (durch Entwicklung des Assays). Darüber hinaus flossen die neuen Erkenntnisse auch in die evidenzbasierte S2e-Leitlinie der DEGRO zur Strahlentherapie gutartiger Erkrankungen (Version 3.0 vom 19.11.2022) ein.
Den Hermann-Holthusen-Preis verlieh die DEGRO für eine wissenschaftlich herausragende Habilitationsschrift mit einem Thema aus dem Bereich der Strahlentherapie, Strahlenbiologie oder medizinischen Strahlenphysik und -technik. Ausgezeichnet wurde PD Dr. Oliver Blanck, Kiel, mit seinem sehr umfänglichen Forschungsprogramm „Neue Entwicklungen in der stereotaktischen Strahlentherapie: Medizinphysikalische und klinische Aspekte“. Die Stereotaxie wird heute zur Therapie benigner und maligner Tumoren, neurologischen Funktionsstörungen und Gefäßfehlbildungen eingesetzt.
Das von Blanck erarbeitete fünfteilige Arbeitsprogramm umfasst Weiterentwicklungen in allen Teilbereichen der Methode. Als erstes wurden in multizentrischen Technik-Vergleichsstudien neue Benchmarks bei der Bestrahlungsplanung etabliert [3], d. h. neue Bewertungsleitfäden entwickelt, um z. B. die Vergleichbarkeit komplexer Bestrahlungspläne zwischen Kliniken sowie zwischen verschiedenen Geräten zu ermöglichen. Die Benchmarks wurden bereits fester Bestandteil nationaler und internationaler Arbeitsgruppen für die Harmonisierung der klinischen Routine und für den Einsatz in klinischen Studien. Im zweiten Teil wurde ein neues, hochauflösendes Detektor-Array für die patientenspezifische Qualitätssicherung (Applikationsgenauigkeit der Strahlung) mit der bisherigen Standard-Messmethode verglichen [4]. Die konsistente Vergleich- und Reproduzierbarkeit der Messungen bildete die Grundlage dafür, dass die neue Messmethode in verschiedenen nationalen und internationalen Zentren bereits erfolgreich in die klinische Routine eingeführt wurde. Im dritten Teil [5, 6] erfolgten klinische Genauigkeitsanalysen bei der Bestrahlung bewegter Tumoren (z. B. tatsächliche individuelle Dosisverteilung nach Atemphasen) und es wurden Maßnahmen bestätigt, mit denen Fehlerquellen weiter zu minimieren sind. Der vierte Teil des Arbeitsprogramms umfasst die Ergebnisauswertung neuer Behandlungstechniken [7]: Bei der extrakraniellen Stereotaxie ging es um die Optimierung der zentralen Tumordosis bei gleichzeitig reduzierter Randdosis. Die klinischen Ergebnisse bestätigten die physikalischen Grundüberlegungen – für eine bessere Tumorkontrolle bei gleichzeitig geringen Nebenwirkungen. Bei der intrakraniellen Stereotaxie von Hirnmetastasen (d. h. fokale statt Ganzhirn-Bestrahlung) konnte gezeigt werden, dass niedrigere Dosen nicht zur schlechteren lokalen Kontrolle führen müssen, vielmehr waren Begleittherapien (z. B. Immuntherapien) und die Tumorhistologie entscheidend beim Therapieansprechen. Der fünfte Teil umfasste klinische Studien zu neuen Indikationen; wie die multizentrische HYPOSTAT-Studie zur primären stereotaktischen Strahlentherapie von Prostatatumoren [8], deren Ergebnisse vermutlich in der nächsten S3-Leitlinie aufgegriffen werden – sowie die Einführung einer ganz neuen funktionellen Indikation im Bereich der Kardiologie [9]. So konnten erfolgreich erste Patientenbehandlungen bei einer therapierefraktären Herzrhythmusstörung durchgeführt werden.
Den Preis für klinische Radioonkologie verleiht die DEGRO gemeinsam mit der Cabillic-Engenhart Stiftung den Preis für klinische Radioonkologie erst seit 2023. Er soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit eigenem Forschungsgebiet und Studiengruppen bei innovativer Forschung unterstützen und motivieren, auf höchstem Niveau translationale strahlenbiologische, -physikalische oder klinische Projekte durchzuführen, um radioonkologische Therapien zu verbessern.
Den mit 25.000 € dotierten Preis erhielt Prof. Dr. Emmanouil Fokas, Köln, langjähriges Mitglied der German Rectal Cancer Study Group (GRCSG) und Sprecher der German Anal Cancer Study Group
(GACSG), für seine Arbeiten im Rahmen der der Durchführung klinischer Studien zu multimodalen Therapiekonzepten bei Rektum- und Analkarzinom. So konnte z. B. die sogenannte totale neoadjuvante Therapie (TNT) mit dem vielversprechenden innovativen Konzept des selektiven Organerhalts („Watch&Wait-Strategie“) für Patientinnen und Patienten mit klinischer Komplettremission etabliert werden (CAO/ARO/AIO-12-Studie [10, 11]). 2023 wurde eine (gemeinsam mit Prof. Dr. Claus Rödel geleitete) randomisierte Phase III-GRCSG-Studie erfolgreich abgeschlossen (ACO/ARO/AIO-18.1 [12]), die 702 rekrutierte Teilnehmende mit Rektumkarzinom umfasst. Verglichen wurden die Kurzzeit-Radiotherapie versus Radiochemotherapie, gefolgt von einer konsolidierenden Chemotherapie bei selektivem Organerhalt.
In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Florian Greten beschrieb Fokas darüber hinaus einen neuartigen Strahlenresistenzmechanismus beim Rektumkarzinom, der auf einer IL-1-abhängigen Aktivierung inflammatorischer Fibroblasten beruht [13]. Daraufhin wurde in einer translationalen „bench-back-to-bed“-Studie (ACO/ARO/AIO-21-Phase-I Studie [14]) geprüft, ob die Hemmung von IL-1 mittels Anakinra zu einer Strahlensensibilisierung führt. Eine weitere multizentrische, randomisierte Phase-II-Studie (RADIANCE), deren Rekrutierung ebenfalls 2023 erfolgreich abgeschlossen wurde, untersucht die additive Gabe des Immuncheckpoint-Inhibitors Durvalumab zur Standard-Radiochemotherapie für das lokal fortgeschrittene Analkarzinom [15]. Auch mit der Etablierung und Einordung onkologischer (Surrogat-)Endpunkte für klinische Studien nach neoadjuvanten Therapien zeigt Fokas seit Jahren besondere akademischen Leistungen, zuletzt 2023 mit einer Publikation in Lancet Gastroenterol Hepatol [16]; intensiv engagiert er sich in einem internationalen Konsensusverfahren zur Endpunkte-Definition im Rahmen organerhaltender Therapiestudien beim Rektumkarzinom [17].
[1] Deloch L, Rückert M, Weissmann T, Lettmaier S, Titova E, Wolff T, Weinrich F, Fietkau R, and Gaipl US. The various functions and phenotypes of macrophages are also reflected in their responses to irradiation: A current overview. Int Rev Cell Mol Biol. 2023; 376:99-120
[2] Donaubauer AJ, Becker I, Weissmann T, Fröhlich BM, Muñoz LE, Gryc T, Denzler M, Ott OJ, Fietkau R, Gaipl US, Frey B. Low Dose Radiation Therapy Induces Long-Lasting Reduction of Pain and Immune Modulations in the Peripheral Blood - Interim Analysis of the IMMO-LDRT01 Trial. Front Immunol. 2021 Oct 12;12:740742
[3] Moustakis C, Chan MK, Kim J, Nilsson J, Bergman A, Bichay TJ, Palazon Cano I, Cilla S, Deodato F, Doro R, Dunst J, Fau P, Fong M, Heinze S, Hildebrandt G, Imhoff D, de Klerck EC, Köhn J, Lambrecht U, Loutfi-Krauss B, Masi L, Mayville AH, Mestrovic A, Milder M, Morganti AG, Rades D, Ramm U, Rödel C, Siebert FA, den Toom W, Wang L, Wurster S, Schweikard A, Soltys SG, Ryu S, Blanck O. Treatment Planning for Spinal Radiosurgery: A Competitive Multi-Platform Bench Mark Challenge. Strahlenther Onkol. 2018;194(9):843-854.
[4] Blanck O, Masi L, Chan M, Adamczyk S, Albrecht C, Damme MC, Loutfi-Krauss B, Alraun M, Fehr R, Ramm U, Siebert FA, Stelljes TS, Poppinga D, Poppe B. High Resolution Ion Chamber Array Delivery Quality Assurance for Robotic Radiosurgery: Commissioning and Validation. Phys Med. 2016;32(6):838-46.
[5] Chan MK, Grehn M, Cremers F, Siebert FA, Dunst J, Hildebrandt G, Schweikard A, Rades D, Ernst F, Blanck O. Dosimetric Implications of Residual Tracking Errors during Robotic SBRT of Liver Metastases. Int J Radiat Oncol Biol Phys. 2017; 97(4):839-848.
[6] Boda-Heggemann J, Jahnke A, Chan M, Ernst F, Ghaderi AL, Attenberger U, Hunold P, Schäfer JP, Wurster S, Rades D, Hildenbrandt G, Lohr F, Dunst J, Wenz F, Blanck O. In-vivo treatment accuracy analysis of active motion-compensated liver SBRT through registration of plan dose to post-therapeutic MRI-morphologic alterations. Radiother Oncol. 2019;134:158-165.
[7] Baumann R, Chan MKH, Pyschny F, Stera S, Malzkuhn B, Wurster S, Huttenlocher S, Szücs M, Imhoff D, Keller C, Balermpas P, Rades D, Rödel C, Dunst J, Hildebrandt G, Blanck O. Clinical Results of Mean GTV Dose Optimized Robotic-Guided Stereotactic Body Radiation Therapy for Lung Tumors. Front Oncol. 2018;8:171
[8] Jiang P, Krockenberger K, Vonthein R, Tereszczuk J, Schreiber A, Liebau S, Huttenlocher S, Imhoff D, Balermpas P, Keller C, Dellas K, Baumann R, Roedel C, Hildebrandt G, Juenemann KP, Merseburger AS, Katz A, Ziegler A, Blanck O, Dunst J. Hypo-fractionated SBRT for localized prostate cancer: a German bi-center single treatment group feasibility trial. Radiat Oncol. 2017;12(1):138.
[9] Blanck O, Buergy D, Vens M, Eidinger L, Zaman A, Krug D, Rudic B, Boda-Heggemann J, Giordano FA, Boldt LH, Mehrhof F, Budach V, Schweikard A, Olbrich D, König IR, Siebert FA, Vonthein R, Dunst J, Bonnemeier H. Radiosurgery for ventricular tachycardia: preclinical and clinical evidence and study design for a German multi-center multi-platform feasibility trial (RAVENTA). Clin Res Cardiol. 2020;109(11):1319-1332
[10] Fokas E, Allgauer M, Polat B, et al. Randomized Phase II Trial of Chemoradiotherapy Plus Induction or Consolidation Chemotherapy as Total Neoadjuvant Therapy for Locally Advanced Rectal Cancer: CAO/ARO/AIO-12. J Clin Oncol 2019; 37:3212- 3222
[11] Fokas E, Schlenska-Lange A, Polat B, Klautke G, Grabenbauer GG, Fietkau R, Kuhnt T, Staib L, Brunner T, Grosu AL, Kirste S, Jacobasch L, Allgäuer M, Flentje M, Germer CT, Grützmann R, Hildebrandt G, Schwarzbach M, Bechstein WO, Sülberg H, Friede T, Gaedcke J, Ghadimi M, Hofheinz RD, Rödel C; German Rectal Cancer Study Group. Chemoradiotherapy Plus Induction or Consolidation Chemotherapy as Total Neoadjuvant Therapy for Patients With Locally Advanced Rectal Cancer: Long-term Results of the CAO/ARO/AIO-12 Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. 2022 Jan 1;8(1):e215445.
[12] TNT and the ACO/ARO/AIO-18.1 phase III trial. LUCARRE International Congress in rectal cancer. Nov 2023.
[13] Nicolas AM, Pesic M, Engel E, Ziegler PK, Diefenhardt M, Kennel KB, Buettner F, Conche C, Petrocelli V, Elwakeel E, Weigert A, Zinoveva A, Fleischmann M, Häupl B, Karakütük C, Bohnenberger H, Mosa MH, Kaderali L, Gaedcke J, Ghadimi M, Rödel F, Arkan MC, Oellerich T, Rödel C, Fokas E, Greten FR. Inflammatory fibroblasts mediate resistance to neoadjuvant therapy in rectal cancer. Cancer Cell. 2022;40(2):168-184.e13.
[14] IAG-VO Treffen. ACO/ARO/AIO-23 Phase-II-Studie zum Rektumkarzinom. März 2024.
[15] Martin D, Balermpas P, Gollrad J, Weiß C, Valentini C, Stuschke M, Schäfer H, Henckenberens C, Debus J, Krug D, Kuhnt T, Brunner T, Bostel T, Engenhart-Cabillic R, Nestle U, Combs S, Belka C, Hautmann M, Hildebrandt G, Gani C, Polat B, Rödel C, Fokas E. RADIANCE - Radiochemotherapy with or without Durvalumab in the treatment of anal squamous cell carcinoma: A randomized multicenter phase II trial. Clin Transl Radiat Oncol. 2020;23:43-49
[16] Fokas E, Rödel C, Smith JJ, Garcia-Aguilar J, Buyse M, Glynne-Jones R. Disease-free survival as the endpoint in multimodal rectal cancer trials: have we got this right? Lancet Gastroenterol Hepatol. 2023 Nov;8(11):962-964.
[17] Fokas E, Appelt A, Glynne-Jones R et al. International consensus recommendations on key outcome measures for organ preservation after (chemo)radiotherapy in patients with rectal cancer. Nature Rev Clin Oncol 2021;12:805-816
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