Netzwerke zur Lehrentwicklung an Hochschulen: Erfolgsfaktoren und kritische Punkte
Lehrbezogene Qualitätsentwicklungsaktivitäten finden zunehmend in Hochschulverbünden statt. Die überwiegenden Motive dafür sind entsprechende Förderprogramme, die auf der Annahme aufbauen, dass Qualitätsentwicklung von Zusammenarbeit und Austausch profitiert. Diese Annahme kann teilweise bestätigt werden. Zugleich zeigen sich auch Probleme, die z.B. aus einer rein instrumentellen Motivation für die Kooperation resultieren. Das zeigt eine BMBF-geförderte Untersuchung, deren Ergebnisse soeben publiziert wurden.
Untersucht wurden die Verbünde im Verbund: Die Professur für Hochschulforschung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, das Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen der Universität Hamburg und HoF Halle-Wittenberg realisierten über drei Jahre hin miteinander verschränkte Untersuchungsteile. Dabei wurden verschiedene Ebenen lehrbezogener Verbünde in den Blick genommen: ihr Vorkommen im Zeitverlauf, ihre Außendarstellungen, die Perspektiven auf deren Tätigkeit seitens ihrer Arbeitsebene, der Verbundverantwortlichen und von Hochschulakteuren, die mit den Verbünden Erwartungen verbinden.
Die Verbreitung von Verbünden zur Lehr-Lern-Entwicklung hat im Zeitverlauf zugenommen. Insgesamt konnten für die Jahre seit 1990 165 Verbünde identifiziert werden, die sich (unter anderem) mit Lehr-Lern-Entwicklungen befass(t)en. Mehr als zwei Drittel davon wurden zwischen 2011 und 2021 gegründet. Das ist vor allem auf BMBF- bzw. Bund-Länder-Programme zurückzuführen, die in ihren Ausschreibungsbedingungen entsprechende Anreize setzten. Zu den Charakteristika der Verbünde konnte u.a. ermittelt werden:
• Der Größe nach sind die Verbünde stärker durch kleine (zwei bis drei Partnerhochschulen) und große Konstellationen (sieben bis 15 Hochschulen) gekennzeichnet (jeweils gut 30 Prozent). Etwas weniger stark vertreten sind mittelgroße (vier bis sechs Partnerhochschulen) und sehr große Verbünde (mehr als 15 Partnerhochschulen) mit einem jeweiligen Anteil von annährend 20 Prozent.
• In der Außenpräsentation der Verbünde werden überwiegend Kooperationsaktivitäten im Kernbereich von Studium und Lehre benannt: die Entwicklung von Lehr-Lern-Konzepten (79 %), die Verbesserung der Studieninfrastruktur (72 %), Aktivitäten im Bereich der Digitalisierung (68,5 %) sowie die Entwicklung innovativer Studienmodelle (66 %). Das entspricht auch den Antragskriterien der Förderprogramme.
• Begleitende Aktivitäten zum Kerngeschäft sind zu je circa 50 Prozent die Qualifizierung des Personals, also Fort- und Weiterbildung, sowie die Beratung zur Qualitätssicherung und -entwicklung.
• Als Aktivitätsfelder mit konkretem Themenbezug werden zu 40 Prozent die Förderung von Employability und Praxisbezug in der Lehre, zu jeweils gut einem Drittel Heterogenität, Diversität und Gleichstellung sowie Durchlässigkeit und zu 14 Prozent Aktivitäten zur Studieneingangsphase genannt. Hier lässt sich annehmen: Damit sind auch Themen benannt, von denen an den Hochschulen die Wahrnehmung besteht, dass sie im Normalbetrieb der Lehre ungenügende Aufmerksamkeit erfahren.
Mehrheitlich gelingt es den Hochschulen, das verbundimmanente Spannungsverhältnis von Konkurrenz und Kooperation auszutarieren. Zugleich gibt es diesbezüglich Differenzierungen. So werden die interorganisationalen Beziehungen im Verbund, also auf der Meso-Ebene, stärker von Konkurrenz geprägt wahrgenommen als die interpersonalen der Mikro-Ebene. Als Probleme der Verbundarbeit konnten darüber hinaus die folgenden identifiziert werden:
• Die Kommunikation in den Verbünden betrifft Austausch-, Abstimmungs- und Legitimierungsprozesse, die oft auch konfliktreich verlaufen oder misslingen. Der Austausch von Expertise wird vor allem dann als misslungen empfunden, wenn der Input nur von einer beteiligten Hochschule geleistet wird. Dies kann dann der Fall sein, wenn einzelne Beteiligte sich aus rein instrumentellen Gründen an einem Verbund beteiligen, d.h. im Rahmen einer sog. Beutegemeinschaft, um Fördermittel zu erlangen, die nur im Verbundkontext einzuwerben waren.
• Für die jeweils hochschulinterne Kommunikation beschreiben Verbundbeteiligte, dass sie das Anliegen der Lehrentwicklung in ihren Hochschulen rechtfertigen müssen. Sie berichten von Schwierigkeiten in der Abstimmung von Lehrentwicklungsprojekten, die in der grundständigen Lehre durchgeführt werden. Ebenso sind Abstimmungen mit hochschulinternen Projekten vonnöten, um Doppelstrukturen zu vermeiden. Hinzu treten Zeitkonflikte infolge zu lang empfundener Abstimmungsprozesse innerhalb der akademischen Selbstverwaltung.
• Problematisch sind ungleiche Ressourcen von großen und kleineren Hochschulen in einem Verbund bei gleicher Belastung, das Verfolgen von Partikularinteressen, aber auch unterschiedliche Standortkulturen, die z.B. Widerstand gegenüber Neuerungen erzeugen.
• Da die meisten Verbünde drittmittelfinanziert sind, müssen die beteiligten Hochschulen in den Berichterstattungen ihre Leistungen jeweils separat ausweisen. Diese Logik kollidiert mit einer kooperativ arbeitsteiligen Struktur in Verbünden. Denn der Vorzug von Expertise-Netzwerken besteht gerade darin, dass ein gemeinsames Anliegen durch geteilte Expertise und gemeinsames Weiterentwickeln vorangebracht wird. Die Anforderung, die-se Gemeinschaftsleistung im Nachhinein auf die Teilprojekte aufzuschlüsseln, ist potenziell konfliktträchtig und erfordert erneute Aushandlungsprozesse innerhalb des Verbundes.
Zentral ist bei all dem die Kommunikation innerhalb der Verbünde. Hier wird die hohe Relevanz des persönlichen Kontakts und des informellen Austauschs hervorgehoben. Bedeutsam seien regelmäßige Präsenztreffen an allen beteiligten Standorten, vor allem in der Anfangsphase des Verbundes. So lasse sich ein Abgleich von Erwartungen und Befürchtungen herstellen, ein gemeinsames Leitbild entwickeln und die Identifikation mit dem Verbund fördern. Dadurch entwickle sich ein Gefühl der Gemeinsamkeit und im Ergebnis eine Verbundidentität. Wo diese zustande kommt, münde das in eine etablierte Selbstverständlichkeit, durch die man Kontakte in einer größeren Gruppe hat, ohne sich darum gesondert bemühen zu müssen.
Originalpublikation:
Marianne Merkt / Peer Pasternack / Philipp Pohlenz (Hg.): Verbünde deutscher Hochschulen zur Lehrentwicklung. Analyse der Rahmenbedingungen und Gelingensfaktoren, Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2024, 183 + XXXVIII S.
Inhaltsverzeichnis: https://www.hof.uni-halle.de/web/dateien/pdf/NetKoop_InhVerz.pdf