Krankenhaus Rating Report 2024: Wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser hat sich 2022 erneut verschlechtert
Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser hat sich im Jahr 2022 leicht verschlechtert. Rund 10 Prozent lagen im „roten Bereich“ mit erhöhter Insolvenzgefahr, etwa 30 Prozent der Kliniken schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust. Maßgeblich für die schlechte wirtschaftliche Lage der Kliniken war wie im Vorjahr der Rückgang der Ausgleichszahlungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie bei einem nach wie vor geringen Leistungsniveau der Krankenhäuser. Das deutsche Gesundheitswesen steht immer noch vor großen Herausforderungen, für die es aktuell nicht gerüstet ist. ...
... Geplante Strukturoptimierungen im Rahmen des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) könnten die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser mittelfristig verbessern. Zu diesen und vielen weiteren Ergebnissen kommt die zwanzigste Ausgabe des „Krankenhaus Rating Report“, der im Rahmen des „Hauptstadtkongress 2024 – Medizin und Gesundheit“ der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Er wurde gemeinsam vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und der Institute for Healthcare Business GmbH (hcb) in Kooperation mit der Bank im Bistum Essen (BIB) erstellt.
Das Wichtigste in Kürze:
Status quo
- Nach einem guten Jahr 2020 hat sich die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser nach 2021 auch 2022 wieder verschlechtert. Im Jahr 2022 befanden sich 10 Prozent der Krankenhäuser im „roten Bereich“ mit erhöhter Insolvenzgefahr, fast 20 Prozent im „gelben“ und 70 Prozent im „grünen Bereich“.
- Die Ertragslage war 2022 ähnlich wie im Vorjahr: etwa 30 Prozent der Krankenhäuser schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust. Im Jahr 2022 betrug das durchschnittliche Jahresergebnis 0,6 Prozent der Erlöse, im Jahr zuvor waren es 0,8 Prozent, 2020 noch 1,6 Prozent. Die Ertragslage hat sich im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr bei allen Trägerformen verschlechtert. Besonders hoch fiel diese Verschlechterung bei freigemeinnützigen Häusern aus.
- Maßgeblich für die schlechtere wirtschaftliche Lage der Kliniken war der Rückgang der Ausgleichszahlungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie bei einem nach wie vor geringen Leistungsniveau der Krankenhäuser sowie inflationsbedingt steigende Kosten.
- Die stationäre Fallzahl legte im Jahr 2023 jedoch um etwa 2,3 Prozent zu. 2022 hatte sie bereits um etwa 0,8 Prozent zugenommen, nachdem sie im Jahr 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie außerordentlich stark um 13,5 Prozent gesunken und auch im zweiten Pandemiejahr 2021 leicht um 0,3 Prozent zurückgegangen war.
- Die Investitionsfördermittel der Länder beliefen sich im Jahr 2022 mit 3,55 Milliarden Euro auf rund 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Bezogen auf die gesamten Krankenhauserlöse entspricht dies einem Anteil von 3,4 Prozent. Um die Unternehmenssubstanz zu erhalten und weiterzuentwickeln, sollten jährlich mindestens 7 Prozent der Erlöse in Investitionen fließen. Der jährliche förderfähige Investitionsbedarf der Plankrankenhäuser zum Substanzerhalt dürfte sich auf mindestens 5,9 Milliarden Euro belaufen, zuzüglich Universitätskliniken insgesamt auf 6,8 Milliarden Euro.
- Kliniken schließen diese investive Lücke nur zum Teil aus eigener Kraft, sodass es zu einem Substanzverzehr kommt. Besonders stark war er erneut bei den ostdeutschen Krankenhäusern, die sich – von einer sehr guten Unternehmenssubstanz kommend – dem niedrigen Niveau der westdeutschen Krankenhäuser immer weiter annähern. Bezogen auf die Erlöse sank das Sachanlagevermögen in Westdeutschland zwischen 2007 und 2022 um fast 15 Prozent, in Ostdeutschland um hohe 42 Prozent.
- Eine Auswertung vorliegender Jahresabschlüsse aus den Jahren 2007 bis 2022 zeigt zeitstabile Muster: Signifikant besser fällt das Rating in Ost-Deutschland aus, am schlechtesten in Bayern und Baden-Württemberg. Kliniken in freigemeinnütziger und privater Trägerschaft schneiden beim Rating und der Ertragslage signifikant besser ab als öffentlich-rechtliche Kliniken. Eine Ausnahme sind öffentlich-rechtliche Kliniken in ärmeren Kreisen. Sie schneiden deutlich besser ab als solche in reichen Kreisen. Das könnte andeuten, dass die fehlende Aussicht auf die Subventionierung durch ärmere kommunale Träger ein effizienteres Vorgehen erzwingt. Ein deutlich besseres Rating und eine bessere Ertragslage hatten außerdem größere Kliniken, Häuser in Klinikketten, Krankenhäuser mit einem mittleren und hohen Spezialisierungsgrad sowie Einrichtungen mit einem hohen Casemixindex.
- Hinsichtlich der Digitalisierung ist allgemein erkennbar, dass Krankenhäuser, die zu einer großen Kette gehören, bezüglich ihrer Digitalisierung weiter fortgeschritten sind. Sie profitieren höchstwahrscheinlich von der Zentralisierung und Standardisierung ihrer IT-Strategie und -Infrastruktur auf Konzernebene.
- Die genauere Untersuchung von 47 Klinikinsolvenzen zwischen Juni 2022 und März 2024 zeigt, dass eher kleinere Häuser betroffen sind. Zwei Drittel dieser Insolvenzen entfielen auf Standorte in freigemeinnütziger Trägerschaft, etwa ein Viertel auf öffentlich-rechtliche Träger, nur wenige auf Private. Von den 47 Standorten wurden bislang sieben Standorte geschlossen.
- Die Anzahl der in Krankenhäusern beschäftigten Menschen ist umgerechnet in Vollkräfte zwischen 2015 und 2022 um 11 Prozent gestiegen. Dabei hat der Anteil der in Teilzeit beschäftigten Menschen leicht zugenommen. Im ärztlichen Dienst in Krankenhäusern hat er sich zwischen 2015 und 2022 von 22 Prozent auf 32 Prozent erhöht.
- Wie im Krankenhausbereich nahm auch im vertragsärztlichen Bereich die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte kontinuierlich zu, wobei ein immer größerer Teil davon in Teilzeit tätig ist. Im Jahr 2009 arbeiteten 8 Prozent in Teilzeit, mit inzwischen 46 Prozent hat sich der Anteil bis zum Jahr 2023 fast versechsfacht. Daher ist umgerechnet die Zahl der Vollkräfte im vertragsärztlichen Bereich zwischen 2009 und 2023 konstant geblieben. Überdies arbeiten immer mehr in einem Angestelltenverhältnis: Waren es im Jahr 2008 noch 6 Prozent, so stieg der Anteil auf 28 Prozent im Jahr 2023.
Projektion
- Annahmen sind, dass die Inflation der Sachkosten ab 2024 wieder sinkt, die Lohninflation aufgrund des Fachkräftemangels jedoch hoch bleibt. Zudem wird durch die zunehmende Ambulantisierung und trotz Alterung der Gesellschaft mittelfristig eine sinkende stationäre Fallzahl erwartet, auch wenn sie 2023 vergleichsweise stark gestiegen ist und 2024 vermutlich nochmals zunehmen wird.
- Ohne Berücksichtigung der im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) geplanten Maßnahmen dürfte der Anteil an Krankenhäusern im roten Rating-Bereich von 14 Prozent im Jahr 2023 auf 48 Prozent im Jahr 2030 steigen. Der Anteil mit Jahresverlust würde bereits 2024 den hohen Wert von rund 70 Prozent erreichen und bis zum Ende des Jahrzehnts bei etwa diesem Wert verharren.
- Berücksichtigt man die bis Ende April 2024 geplanten Maßnahmen des KHVVG, stellt sich mittelfristig die Lage besser dar. Es sind verschiedene Arten von Zuschlägen vorgesehen sowie umfangreiche Investitionsmittel aus dem geplanten Transformationsfonds. Werden damit Strukturoptimierungen angestoßen, würde sich die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser verbessern. Im Jahr 2030 könnten dann nur noch 24 Prozent der Krankenhäuser im roten Rating-Bereich liegen und 75 Prozent der Häuser wieder ein positives Jahresergebnis schreiben. Erreicht werden könnte dies im Rahmen von Zentralisierungen durch die Zusammenlegung von Standorten sowie von Schwerpunktbildungen durch die Bündelung von Leistungsgruppen.
- Da die Kosten zunächst noch stärker als die Erlöse steigen, könnten jährliche „Hilfszahlungen“ das kurzfristige Differenzwachstum von Kosten und Erlösen ausgleichen. Bis 2030 wären insgesamt 14 Milliarden Euro nötig, vor allem im Zeitraum 2024 bis 2026. Allerdings entfiele bei einer kompletten Schließung der Kosten-Erlös-Differenz der Anreiz zu notwendigen Strukturoptimierungen, sodass die daraus entstehenden positiven Mittelfristeffekte ausbleiben würden.
Ausblick
- Um die bestehenden ungünstigen Strukturen zu verändern, schlägt das Autorenteam des „Krankenhaus Rating Report“ ein zweistufiges Vorgehen vor. In Stufe 1 sollten gesetzliche Strukturvorgaben die Kommunalpolitik darin unterstützen, die mit den nötigen Strukturveränderungen einhergehenden Anpassungen vorzunehmen. Wenn sich allmählich nachhaltige Strukturen einstellen und sich gut mess- und steuerbare Gesundheitsziele herauskristallisieren, greift Stufe 2, in der über die Vorgabe von Zielen den lokalen Akteuren deutlich mehr Gestaltungsfreiheit gewährt wird, um ihre Ziele zu erreichen.
- In vielen Regionen besteht Potenzial, mehrere kleine Kliniken zu einem neuen größeren Klinikum zusammenzulegen und dabei einen Ort zu wählen, der für die Bevölkerung gut erreichbar ist. Der Transformationsfonds aus dem KHVVG soll besonders für den Bau solcher Zentralkliniken Investitionsmittel zur Verfügung stellen. Altstandorte können in vielen Fällen weiter für die Gesundheitsversorgung genutzt werden.
- Die Mittel aus dem Transformationsfonds sollten ausreichen, um ein Zielbild zu erreichen, in dem die Zahl der Level 3-Kliniken (umfassende Versorgung) leicht von 164 auf 187 (+14 Prozent) und die Zahl der Level 2-Kliniken (erweiterte Versorgung) stark von 261 auf 348 (+33 Prozent) zunimmt. Die Zahl der Level 1n-Kliniken (Basisversorgung) sinkt um erhebliche 46 Prozent von 648 auf 350. Stattdessen würden 348 Kliniken des Levels 1i (sektorenübergreifende Versorgung) durch Umwandlung neu errichtet. Level 0-Kliniken würden entweder geschlossen oder in Level 1i umgewandelt. Die meisten Fachkliniken blieben erhalten. In der Summe würde die Zahl der Standorte um 184 bzw. 11 Prozent abnehmen. Ohne Zählung der Level 1i-Kliniken würde sie um 532 bzw. 31 Prozent sinken. Die Bettenzahl würde um 25 Prozent zurückgehen. Das Zielbild dürfte im Laufe der 2030er-Jahre erreicht werden.
- Das Investitionsvolumen für alle Neubauten und Anbauten im Rahmen der Zentralisierung würde rund 40 Milliarden Euro erreichen. Dabei dominieren die Investitionskosten zur Errichtung von neuen Level 2-Kliniken. Die Kosten für die Umwandlung von alten Standorten zu Level 1i-Kliniken könnten sich auf 7 Milliarden Euro belaufen und für die Schließung von nicht mehr benötigten Standorten auf fast 2 Milliarden Euro. Der Transformationsfonds wäre damit fast vollständig ausgeschöpft.
- Da durch die Umstrukturierung größere Kliniken entstünden, könnte damit auch die Wirtschaftlichkeit verbessert werden. Entsprechend könnte das aggregierte Jahresergebnis aller Krankenhäuser im Zielbild um mehr als eine Milliarde Euro höher ausfallen als im Status quo. Mit neuen Strukturen und bei reduzierten Kapazitäten könnte zusätzlich auch der jährliche Investitionsbedarf zum Erhalt der Substanz kleiner ausfallen, je nach Annahmen um 355 bis 670 Millionen jährlich. Darüber hinaus könnte bei den Neubauten im Rahmen der Zentralisierung zunächst auf Bestandsinvestitionen verzichtet werden, was ebenfalls positiv zu Buche schlägt. Alles in allem könnte die Gesamtrendite aus dem Transformationsfonds auf mindestens 3 Prozent taxiert werden.
- Würden im Antragsverfahren Wettbewerbselemente eingesetzt, könnte man darüber hinaus möglichst effizient neu bauen und damit je Fördermaßnahme weniger Investitionskapital benötigen. Zentraler Gedanke ist hierbei, dass Krankenhausträger das aus ihrer Sicht nötige Investitionsvolumen für ihr Vorhaben bei der Vergabestelle zum Transformationsfonds beantragen. Diese setzt das beantragte Volumen in Relation zum erreichbaren Nutzen im Sinne der Zentralisierung, zum Beispiel die Veränderung der Betten- und Standortzahl. Anschließend kann sie die Anträge anhand ihrer Kosten-Nutzen-Relation sortieren und den günstigsten Anträgen den Zuschlag erteilen. So hätten die Krankenhausträger einen Anreiz, sparsam zu bauen, um im Wettbewerb aller Anträge möglichst weit vorne zu liegen.
- Wenn effizientere Strukturen geschaffen sind, muss in den neuen Strukturen auch effizient gearbeitet werden, das heißt, es muss mit weniger Arbeitskräften mehr Leistung erbracht werden können. In Stufe 2 sollte daher möglichst viel Gestaltungsfreiheit ermöglicht werden. Dafür ist ein entsprechendes neues Mindset auf allen politischen Ebenen nötig, nämlich die Bereitschaft, den Akteuren vor Ort Verantwortung zu übertragen, um definierte Gesundheitsziele eigenverantwortlich zu erreichen. Hierzu muss die Regulierungsdichte deutlich heruntergefahren werden und es müssen nachhaltbare Gesundheitsziele in den Fokus rücken. Wie diese Ziele konkret erreicht werden, sollte den Akteuren vor Ort überlassen bleiben. So könnte ein Wettbewerb der Regionen um die günstigsten Wege entstehen, die Gesundheitsziele zu erreichen. Das Konzept der Regionalbudgets könnte dafür ein Ansatz sein.
„Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser hat sich im Jahr 2022 erneut leicht verschlechtert“, sagt RWI-Gesundheitsexperte Boris Augurzky. „Aktuell steht die Gesundheitsszene zwischen Hoffen und Bangen über ihre weitere Zukunft. Aufgabe der laufenden großen Krankenhausreform ist es, nach vorne zu schauen und die Krankenhausversorgung fit für die Zukunft zu machen“, so Augurzky.
Datengrundlage des „Krankenhaus Rating Report 2024“ ist eine Stichprobe von 488 Jahresabschlüssen von Krankenhäusern aus dem Jahr 2021 und 489 aus dem Jahr 2022. Sie umfassen insgesamt 921 Krankenhäuser. Die Zahlen für das Jahr 2021 wurden im Vergleich zum „Krankenhaus Rating Report 2023“ aktualisiert. Sie basierten teils auf Hochrechnungen, diese konnten zwischenzeitlich durch weitere Bilanzen von Kliniken ersetzt werden. Waren laut dem „Krankenhaus Rating Report 2023“ noch bundesweit 11 Prozent der Kliniken im „roten Bereich“, sind es im „Krankenhaus Rating Report 2024“ für das Jahr 2021 nur noch 8 Prozent. Damit ist die Lage im Jahr 2022 mit 10 Prozent leicht schlechter geworden. Allerdings wird für das Jahr 2022 im „Krankenhaus Rating Report 2024“ ebenfalls teils mit Hochrechnungen gearbeitet, so dass auch diese Zahl bis zum nächsten Jahr voraussichtlich noch aktualisiert werden wird. Für das Jahr 2023 lagen noch keine Jahresabschlüsse in ausreichender Zahl vor. Der Report wird gemeinsam vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und der Institute for Healthcare Business GmbH (hcb) in Kooperation mit der Bank im Bistum Essen (BIB) erstellt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Boris Augurzky (RWI), Boris.Augurzky@rwi-essen.de, Tel.: +49 (0)201 81 49-203
Dr. Adam Pilny (hcb), Tel.: +49 (0)201 29 39 3000
Originalpublikation:
https://www.medhochzwei-verlag.de/Shop/ProduktDetail/krankenhaus-rating-report-2024-978-3-98800-074-3