Perspektiven schaffen für verborgene Talente
Von der Klaus Tschira Stiftung ermöglichtes Projekt soll junge Menschen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik begeistern.
Heidelberg. 3. Juli 2024. Fachkräfte fehlen überall – ob in den Naturwissenschaften, im Ingenieurwesen, in Technik, Technologie oder im Handwerk. Was viel in Politik und Gesellschaft beklagt wird, soll ein von der Klaus Tschira Stiftung ermöglichtes Pilotprojekt angehen. Nicole Marmé, Professorin für Didaktik der Physik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, und Jens-Peter Knemeyer vom Verein „didaktik-aktuell“ wollen ein Konzept entwickeln, um verborgene Talente im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) zu entdecken und zur Entfaltung zu bringen.
Worum geht es? Talentscouts sollen im Rahmen von so genannten MINT-Zukunftstagen in allen fünften und sechsten Klassen Heidelbergs versteckte Talente erkennen und sie für Mathematik, Naturwissenschaften, Informatik und Technik begeistern. So werden am Ende echte Lebensperspektiven geschaffen – vom volkswirtschaftlichen Nutzen ganz zu schweigen.
Ungewöhnlich ist die Herangehensweise. Über künstlerisch-kreative Zugänge, Bewegung wie Yoga oder Tanz und mit Hilfe von Smartphone und Co. soll ermöglicht werden, dass die Teilnehmenden für sich eine Brücke bauen können zwischen bislang noch unentdeckten MINT-Fähigkeiten und ihren Zukunftschancen. Die neueste PISA-Studie zeigt genau diesen Zusammenhang zwischen Kreativität und MINT-Kompetenzen auf.
Bei den MINT-Zukunftstagen steht denn auch nicht das bereits vorhandene Fachwissen im Vordergrund, sondern das Entdecken und die kreative Herangehensweise sowie logisches und problemlösendes Denken. Eine große Rolle spielen Smartphones und Tablets. Zum einen, weil sie in der Zielgruppe ohnehin beliebt sind, zum anderen aber auch, weil Studien zeigen, dass gerade Jugendliche damit am schnellsten zu erreichen sind.
Themen der MINT-Zukunftstage in den fünften und sechsten Klassen werden Künstliche Intelligenz, Robotik oder Smart City sein - also Herausforderungen, denen sich Jugendliche ohnehin stellen müssen und die sie selbst auch spannend finden. Auf diese Weise, so die Erfahrung aus Vorläuferprojekten, kann das Interesse an Naturwissenschaft, Mathematik und Technik effektiv geweckt werden. Um nachhaltig zu sein, braucht es allerdings einen praktischen Ansatz, der den Jungen und Mädchen erlaubt, sich als selbstwirksam zu erleben.
„Um das Potential dieser Zielgruppe nachhaltig zu heben“, so Marmé, „muss der oft ablehnenden Haltung gegenüber MINT möglichst früh in der Schullaufbahn entgegengewirkt werden“. Manchmal, weiß sie aus Erfahrung, seien es aber besondere Lebensumstände oder Sprachdefizite, die trotz Begabung auch in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern viel verbauen.
Begleitend wird mit einer auf zwei Jahre angelegten sozioökonomischen Befragung erfasst, wessen Lebensverhältnisse die Entfaltung von Talenten erschweren. So soll es gelingen, diese bislang wenig in den Fokus genommene Zielgruppe zu erreichen. Darüber hinaus wird im Projekt ein MINT-Kompetenztest entwickelt, bei dem Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen MINT-Aufgaben lösen.
Methodisch ist das durchaus anspruchsvoll. Vorbilder gibt es bislang wenige. Doch davon will sich das ambitionierte Team um Knemeyer und Marmé nicht abhalten lassen. Sie denken ohnehin in großem Maßstab und könnten sich gut vorstellen, dass das Projekt von Heidelberg ausgehend im ganzen deutschsprachigen Raum angewendet werden könnte. Viele dieser „verborgenen Talente“, so Marmé, wüssten gar nicht, wie viel Freude ein Beruf in diesem Feld bedeuten könne. Erst recht nicht von den Karrierechancen und den Möglichkeiten der Vereinbarkeit mit Familie.
Nicole Marmé, selbst Mutter einer Tochter, hat in physikalischer Chemie promoviert und habilitiert. Anschließend absolvierte sie ein Referendariat, bevor sie an der Pädagogischen Hochschule den Weg in die naturwissenschaftliche Didaktik einschlug. Bildungschancen zu schaffen über Naturwissenschaft, Informatik, Mathematik und Technik für Kinder und Jugendliche, die es bislang in ihrem Leben nicht besonders leicht hatten, ist ein Herzenswunsch der Hochschullehrerin. Froh ist das Initiatorenduo, dass aus den bisherigen Projekten schon ein Reservoir an pädagogischen Talentscouts zur Verfügung steht, die auf Lehramt studieren und so die Idee auch selbst in die Schulen tragen können.
Dass Nicole Marmé und Jens-Peter Knemeyer, ebenfalls promovierter Naturwissenschaftler, Forscher und Lehrer mit viel Schulerfahrung, bei der Klaus Tschira Stiftung auf offene Ohren stießen, freut die beiden. „Genau dahin soll unsere Projektförderung in Zukunft gehen“, unterstreicht auch die Förderreferentin für Bildung der Klaus Tschira Stiftung, Alev Dreger: „Es gibt so viele unentdeckte Talente mit bislang schlechten Chancen. Dieses Potenzial wollen wir entfalten helfen“.
Kontakt
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Prof. Dr. Nicole Marmé
E-mail: marme@ph-heidelberg.de
didaktik-aktuell e.V.
Dr. Jens-Peter Knemeyer
E-Mail: knemeyer@didaktik-aktuell.de
Klaus Tschira Stiftung
Alev Dreger
Förderreferentin für Bildung
E-Mail: alev.dreger@klaus-tschira-stiftung.de
Autorin: Kirsten Baumbusch, kirsten.baumbusch@klaus-tschira-stiftung.de
Über die Klaus Tschira Stiftung:
Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de