Lebensrettender Stern
Niedrigvolumige Wiederbelebungsmittel für die Prähospitalversorgung schwerer hämorrhagischer Schocks
Hoher Blutverlust nach Verletzungen ist lebensgefährlich und muss möglichst rasch ausgeglichen werden. Lösungen eines neuartigen sternförmigen Polymers könnten bereits bei Injektion relativ geringer Mengen den Flüssigkeitsverlust kompensieren, ohne die Blutgerinnung zu stören, wie ein Forschungsteam in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichtet. Daher ist es besonders für die präklinische Behandlung hämorrhagischer Schocks interessant.
Traumatische Verletzungen sorgen weltweit für einen hohen Anteil an Erkrankungen und Todesfällen, in den USA sind sie die Haupttodesursache bei Menschen unter 46 Jahren. Bei hohem Blutverlust ist Zeit ein kritischer Faktor, da es bereits innerhalb von Minuten bis Stunden nach der Verletzung zum Schock kommt – oft bevor ein Krankenhaus erreicht werden kann. Der Kreislauf kollabiert, das Gewebe wird nicht mehr durchblutet. Der Sauerstoffmangel zwingt es in die anaerobe Atmung, das Blut übersäuert durch Laktat-Anreicherung. Die zellulären Natriumpumpen stellen ihre Funktion ein, Wasser wird aus den Blutgefäßen in das umgebende Gewebe gezogen, das Volumen nimmt weiter ab und der Schockzustand wird verschlimmert. Zudem werden Entzündungsreaktionen ausgelöst, die später bei Wiedereintritt der Durchblutung das Gewebe mit toxischen Metaboliten fluten und zu einem Multiorganversagen führen können.
Primäre Maßnahme ist der Ersatz des verlorenen Flüssigkeitsvolumens, z.B. mit Kochsalzlösung. Mehrere Liter der Flüssigkeit müssen vorher auf physiologische Temperatur erwärmt werden – außerhalb der Klinik nicht praktikabel. Die großen verabreichten Mengen verdünnen zudem die Gerinnungsfaktoren und erhöhen den Blutdruck, was zu erneuten Blutungen führen kann. Moderne Wiederbelebungsstrategien (Damage Control Resuscitation, DCR) begrenzen daher bewusst die Flüssigkeitszufuhr und ziehen Vollbluttransfusionen vor, die Gerinnungsstörungen, Entzündungen und die Sterblichkeitsrate verringern: vor Ort, im Krankenwagen oder Rettungshubschrauber und angesichts begrenzter Vorräte oft ebenso wenig praktikabel.
Zu den in Entwicklung befindlichen Alternativen gehören synthetische Low-Volume Resuscitants (LVR): Lösungen, die bereits in geringen Mengen hochwirksam sind, z.B. das Polyethylenglykol PEG20K. Diese Mittel erzeugen einen osmotischen Gradienten, der körpereigene Flüssigkeit aus Gewebe wieder zurück in die Blutgefäße zieht. Das benötigte Therapievolumen sinkt, der Blutdruck kann niedrig gehalten werden. PEG20K stört jedoch die Blutgerinnung und kann allergische Reaktionen auslösen.
Das Team um Nathan J. White und Suzie H. Pun von der University of Washington (USA) hat jetzt ein neuartiges LVR entwickelt. Mit einer speziellen kontrollierten Polymerisationstechnik (RAFT) synthetisierte es viele Variationen Methacrylat-basierter Polymere mit unterschiedlichen Zusammensetzungen, Molekulargewichten und Eigenschaften. Darunter erwies sich ein wie ein Stern mit Strahlen aufgebautes Polymer als effektives LVR ohne negative Wirkungen auf die Blutgerinnung.
Im Tiermodell (Ratte) konnte nach ca. 60% Blutverlust ein 10% entsprechendes Volumen der neuartigen Polymerlösung die Blutgefäße soweit wieder auffüllen, dass der Blutdruck im gewünschten Fenster lag und der Schock überwunden wurde. Selbst bei hohen Polymerdosen wurden keine nachteiligen Auswirkungen auf die Gerinnung oder Organe beobachtet. Das zeigt, dass das neue Stern-Polymer eine Verbesserung gegenüber den derzeit in der Entwicklung befindlichen kolloidalen Wiederbelebungsmitteln darstellt.
Angewandte Chemie: Presseinfo 09/2024
Autor/-in: Suzie Pun, University of Washington, Seattle (USA), http://faculty.washington.edu/spun/
Angewandte Chemie, Postfach 101161, 69451 Weinheim, Germany.
Die "Angewandte Chemie" ist eine Publikation der GDCh.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1002/ange.202402078
Weitere Informationen:
http://presse.angewandte.de