Befragte gehen im Juli noch nicht von EZB-Zinssenkungen aus
ZEW policy brief zu EZB-Zinserwartungen von Finanzmarktexperten/-innen
Nach der Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Juni 2024 gehen vom ZEW Mannheim befragte Finanzmarktexpertinnen und -experten nicht davon aus, dass die EZB im Juli den Zinssatz weiter senken wird. Stattdessen erwarten die Befragten erst im September 2024 die nächste Zinssenkung; generell geht die Mehrheit von Zinssenkungen bei jeder zweiten EZB-Sitzung in den nächsten 12 Monaten aus. Allerdings schätzen die Expertinnen und Experten die zukünftige Entwicklung der konkreten Zinsraten sehr unterschiedlich ein – ein Zeichen von hoher Unsicherheit über die weitere geldpolitische Entwicklung.
Zu diesem Ergebnis kommen die Sonderfragen des ZEW-Finanzmarkttests vom Juni 2024 mit Antworten von 103 Expertinnen und Experten, die von Forschenden des ZEW Mannheim und der Universität Heidelberg in einem ZEW policy brief gesondert ausgewertet wurden.
„Die meisten Befragten gehen davon aus, dass die EZB im September und Dezember 2024 die Zinsen senken wird. Allerdings gehen sie nicht von einer linearen Abwärtsbewegung der Zinssätze aus, sondern erwarten vielmehr Phasen, in denen der EZB-Rat die Zinssätze auf dem Niveau der vorangegangenen Sitzungen belassen wird, passend zu den Erläuterungen von EZB-Chefin Christine Lagarde zur künftigen datenbasierten Vorgehensweise bei geldpolitischen Anpassungen“, erklärt Dr. Alexander Glas, Projektleiter für den ZEW-Finanzmarkttest im ZEW-Forschungsbereich „Altersvorsorge und nachhaltige Finanzmärkte“. „Gleichzeitig sehen wir, dass die Befragten die künftigen Zinspfade der EZB sehr unterschiedlich einschätzen – es gibt also keine eindeutige Mehrheitsmeinung, wie genau die EZB die Zinsen in den nächsten 12 Monaten anpassen wird. Allerdings sind die Expertinnen und Experten sich einig, dass sich der Leitzins in einem Jahr zwischen 3,0 und 3,75 Prozent einpendeln wird, höchstwahrscheinlich bei 3,25 Prozent.“
Zinssenkungen abhängig von makroökonomischen Daten
Fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Befragung rechnen mit keiner weiteren Zinssenkung im Juli 2024, da sie wohl davon ausgehen, dass die EZB im Sommer neue Daten und aktualisierte makroökonomische Prognosen abwarten wird. Nur drei Prozent der Befragten erwarten demnach eine Senkung der Zinssätze im Juli 2024, 68 Prozent im September, 24 Prozent im Oktober und 73 Prozent im Dezember. Viele Befragte rechnet mit einer Zinssenkung im Dezember 2024, da vor dieser Sitzung des EZB-Rats wichtige Daten beispielsweise zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Lohndaten für das dritte Quartal 2024 im Euroraum veröffentlicht werden. Der Trend zu Zinssenkungen für Sitzungen, bei denen neue makroökonomische Projektionen veröffentlicht werden, setzt sich für das Jahr 2025 fort. So erwarten im Januar 2025 nur 16 Prozent eine Zinssenkung, im März 69 Prozent, im April 21 Prozent, im Juni wieder 61 Prozent und im Juli ebenfalls nur 16 Prozent. Zugleich bestätigt die Analyse, dass die Befragten sich in ihrer Einschätzung der zukünftigen Zinsentwicklung auf die erwarteten Inflationsraten stützen – und nicht auf die Entwicklung des BIPs.
Starke Unterschiede bei der Einschätzung der Zinspfade
Die Zinserwartungen der Analystinnen und Analysten wurden in Form von Zinspfad-Entwicklungen ausgewertet. Hierbei zeigen sich starke Unterschiede: 51 von 103 Pfaden sind singulär, es gibt wenig Übereinstimmungen der Einschätzungen.
Dennoch wählten 23 Befragte einen Pfad, der Zinssenkungen von jeweils 25 Basispunkten im September und Dezember 2024 sowie März und Juni 2025 vorsieht. Dies würde zu einem Zinssatz von 3,25 Prozent im Juni 2025 führen. Am Ende des Prognosezeitraums erwarten 80 Prozent der Teilnehmenden einen Hauptrefinanzierungssatz zwischen 3,0 und 3,75 Prozent, wobei die häufigste Vorhersage bei 3,25 Prozent liegt. Nur zwei Befragte gehen davon aus, dass die Zinssätze bis Juni 2025 auf 2,25 Prozent sinken werden, während sieben Personen bis Juli 2024 einen Hauptrefinanzierungssatz von bis zu 4 Prozent erwarten.
Über die Befragung
Der ZEW-Finanzmarkttest ist eine seit Dezember 1991 durchgeführte Umfrage, in der monatlich die Erwartungen über die Entwicklung wichtiger internationaler Volkswirtschaften erhoben werden. Derzeit sind dies Deutschland, das Eurogebiet, die Vereinigten Staaten von Amerika sowie China. Insgesamt besteht das Panel aus etwa 350 Finanzanalysten aus Banken, Versicherungen und großen Industrieunternehmen. Angesprochen werden die Experten/-innen der Finanz-, Research- und volkswirtschaftlichen Abteilungen sowie der Anlage- und Wertpapierabteilungen dieser Unternehmen. Die meisten Teilnehmer/innen kommen aus Deutschland.
Die Finanzexpertinnen und -experten werden nach ihren Erwartungen gefragt, die sie auf einen Horizont von sechs Monaten hinsichtlich der Entwicklung der Konjunktur, der Inflationsrate, der kurz- und langfristigen Zinsen, der Aktienkurse und der Wechselkurse haben. Zusätzlich werden sie um eine Einschätzung der Ertragslage in 13 deutschen Branchen gebeten. Neben einem festen Umfrageteil werden laufend zu aktuellen Themen Sonderumfragen durchgeführt. Aus den Erwartungen der Finanzmarktexperten/-innen zur Entwicklung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland werden die ZEW-Konjunkturerwartungen berechnet, die sich als Frühindikator für die Konjunkturentwicklung („ZEW-Index“) etabliert haben.
In der Juni-Welle wurden die Befragten zudem gebeten, ihre Erwartungen in Bezug auf Zinsänderungen bei allen anstehenden EZB-Ratssitzungen zwischen dem 18. Juli 2024 und dem 24. Juli 2025 anzugeben. Ähnliche Prognosen wurden auch für die Sitzungen der US-amerikanischen Zentralbank erbeten. Da die erwarteten Zinspfade wahrscheinlich von den erwarteten makroökonomischen Bedingungen abhängen, insbesondere von der erwarteten Inflation aufgrund der EZB-Strategie, wurden die Befragten auch nach ihren kurz- und mittelfristigen Inflations- und BIP-Wachstumserwartungen für den Euroraum gefragt. Hierzu wurde ein ZEW policy brief erstellt. Das ZEW kommuniziert die Ergebnisse des Finanzmarkttests darüber hinaus ausführlich im monatlich erscheinenden ZEW-Finanzmarktreport.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Alexander Glas, Tel.: +49 (0)621 1235-149, E-Mail alexander.glas@zew.de
Originalpublikation:
https://ftp.zew.de/pub/zew-docs/policybrief/en/pb12-24.pdf