Mentales Lexikon: Wie sind Wörter im Gedächtnis gespeichert?
Denken Sie an das Wort „Eis“ – vielleicht kommt Ihnen die nächste Eisdiele, heiße Sommertage oder zugefrorene Straßen in den Sinn? Diese verschiedenen Assoziationen zeigen, wie unterschiedlich Wörter in unserem Gedächtnis verankert sein können. Ein Projektteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung möchte mit einem Assoziationsspiel herausfinden, wie Wörter bei Menschen unterschiedlichen Alters im Gedächtnis angeordnet sind.
Ein durchschnittlicher Erwachsener kennt rund 40.000 Wörter, die in einem mentalen Lexikon gespeichert sind. Dieses Lexikon ermöglicht es uns, schnell und effektiv zu kommunizieren, da wir alle eine ähnliche Vorstellung von den Bedeutungen und Verwendungen dieser Wörter haben. Aber wie sind diese Wörter organisiert und miteinander verknüpft?
Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung möchten mithilfe eines onlinebasierten Wortassoziationsspiels mehr darüber erfahren und das mentale Lexikon von Menschen jeden Alters im deutschsprachigen Raum erfassen. In dem Spiel geht es darum, die ersten drei Assoziationen anzugeben, die einem zu insgesamt 18 Begriffen einfallen, wie beispielsweise „Eis“, „flink“ oder „Freiheit“. Durch die Analyse dieser Assoziationen wollen die Forschenden herausfinden, wie nah oder fern diese Wörter in unserem Gedächtnis abgespeichert sind und wie unser mentales Lexikon strukturiert ist.
"Freie Assoziationen werden in der Psychologie und in der Sprachforschung eingesetzt, um zu verstehen, wie Gedanken und Sprache organisiert sind. Ihre Nutzung basiert auf der Vorstellung, dass Wörter im Gedächtnis nicht isoliert, sondern in einem Netzwerk – unserem mentalen Lexikon – abgelegt sind. Wenn eine Person ein Wort hört oder liest, werden damit verbundene Wörter oder Konzepte im Gedächtnis leicht verfügbar", sagt Samuel Aeschbach. Der Kognitionswissenschaftler und Doktorand am Forschungsbereich Adaptive Rationalität des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung beschäftigt sich mit semantischen Netzwerken und Sprachmodellen und ist Teil des Projektteams.
Seit dem Start des Projekts vor mehr als zehn Jahren ist die Datenbank dank der Teilnahme von über 24.000 Menschen enorm gewachsen. Neue Features sind eingerichtet worden: Beispielsweise ist es möglich, die eigenen Assoziationen mit denen anderer zu vergleichen oder entstandene Netzwerke zu visualisieren. Dies ermöglicht tiefere Einblicke in die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Wortassoziationen und deren Struktur im Gehirn. "Wir möchten Daten von möglichst vielen verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Regionen sammeln, um auch die Vielfalt der Wortbedeutungen abzubilden", so Samuel Aeschbach weiter.
Das Assoziationsspiel ist Teil des internationalen Projektes „Small World of Words“, das von der Katholischen Universität Leuven geleitet wird. Das Projekt läuft mittlerweile in 19 verschiedenen Sprachen, darunter Niederländisch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Kantonesisch, Vietnamesisch, Japanisch und Türkisch. Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, der Universität Basel, der Universität Tartu sowie der Universität Tübingen und der Universität Melbourne setzen das Projekt im deutschsprachigen Raum um.
Mithilfe der Daten können Forschende der Psychologie, Linguistik und Neurowissenschaften neue Theorien darüber überprüfen, wie Sprache gespeichert und verarbeitet wird. Die Ergebnisse dieser Studie bieten vielseitige Anwendungsmöglichkeiten – von der Erforschung regionaler Unterschiede im Sprachgebrauch, der Verbesserung von künstlicher Intelligenz bis hin zu individualisierten Lernhilfen für das Erlernen einer neuen Sprache.
Weitere Informationen:
https://smallworldofwords.org/de Assoziationsspiel