Leibniz-IZW obduziert 1000. Wolf seit Beginn des Totfund-Monitorings im Jahr 2006
Um die Jahrtausendwende kehrten Wölfe nach 150 Jahren zurück nach Deutschland und etablierten in der Folge Territorien in vielen Teilen des Landes. Doch das Zusammenleben birgt Herausforderungen – für Menschen und Tiere. Seit 2006 werden nahezu alle in Deutschland tot aufgefundenen Wölfe im Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) untersucht, um den Gesundheitszustand und die Todesursachen der Tiere zu analysieren. Kürzlich lag der 1000. Wolf auf dem Seziertisch im Leibniz-IZW. Das weibliche Tier starb aufgrund eines Verkehrsunfalls – die mit Abstand häufigste unnatürliche Todesursache für Wölfe in Deutschland.
Der Fall erzählt viel über die erfolgreiche, jedoch herausfordernde Rückkehr der Wölfe. Nachdem kurz nach der Jahrtausendwende erstmalig Wölfe in Deutschland wieder heimisch wurden, begann das Leibniz-IZW den Gesundheitszustand und die Todesursachen der Wölfe zu untersuchen. Fast 20 Jahre lang durchlief jeder in Deutschland tot aufgefundene Wolf dieses „Totfundmonitoring“, um den Gesundheitszustand der sich etablierenden Population und die Todesursachen analysieren zu können. Waren es anfangs nur wenige Tiere, landet mittlerweile eine dreistellige Zahl an Wölfen pro Jahr auf dem Seziertisch der Wildtierpathologie im Leibniz-IZW. Mittlerweile sind es so viele, dass nur noch jeder zweite Wolf, der im Straßenverkehr zu Tode kam, untersucht werden kann. Mit dem neuesten Fall, einer aufgrund eines Verkehrsunfalls verstorbenen trächtigen Wölfin, sind es 1.000 seit Beginn des Programms.
„Diese Zahlen allein zeigen, dass die Rückkehr der Wölfe aus ökologischer Perspektive eine Erfolgsgeschichte ist“, sagt Prof. Dr. Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-IZW. „Die vielen Totfunde aus den verschiedensten Teilen Deutschlands zeugen davon, dass vielerorts Wolfsterritorien bestehen.“ Zudem zeigen die Untersuchungen, dass die Population im Wesentlichen gesund ist. Die Wölfin, die als 1000. Fall im Leibniz-IZW ankam, war trächtig mit sechs Welpen, das stehe sinnbildlich für die erfolgreiche Reproduktion der Karnivoren, so Hofer.
Die Wölfin starb aufgrund eines Verkehrsunfalls. „Dies ist mit Abstand die häufigste Todesursache. Unsere Daten zeigen, dass rund drei Viertel der toten Wölfe an einer Kollision im Verkehr sterben – zumeist mit Autos auf Landstraßen oder Autobahnen“, sagt Dr. Claudia Szentiks, verantwortliche Pathologin im Wolfsprojekt am Leibniz-IZW. Wölfe leben in großen Territorien, die in unserer Kulturlandschaft von zahlreichen Straßen und Bahntrassen durchzogen sind, welche die Tiere quasi täglich queren müssen. Besonders häufig sterben junge Wölfe im Straßenverkehr, die auf der Suche nach einem eigenen Territorium aus ihrem Elternrudel abwandern und durch für sie unbekannte Gebiete ziehen. „Zusätzlich zu den Verkehrstoten diagnostizieren wir auch immer wieder andere anthropogene Todesursachen“, so Szentiks. Etwa jeder zehnte eingelieferte Totfund sei illegal geschossen worden, so die Veterinärpathologin. „Tatsächlich finden wir sogar in 13,5 Prozent aller untersuchten Wölfe Hinweise auf eine Straftat wie zum Beispiel den illegalen Beschuss, wobei die Tiere nicht immer daran sterben.“
Die Zahlen zu den erfassten illegalen Tötungen von Wölfen zeigen, dass eine Bejagung des Wolfes seit dessen Rückkehr vor 25 Jahren schon immer, und zwar im Verborgenen, stattgefunden habe, so Hofer. Wie ein Zusammenleben gestaltet werden und gelingen kann, zeige der Blick in die Vergangenheit vor dem Verschwinden der Wölfe hingegen nicht. „Diesen Umgang müssen wir lernen, auch früher gab es dafür kein funktionierendes Rezept, wie das Ausmerzen der Wolfsbestände in der Mitte des 19. Jahrhunderts belegt. Nun brauchen wir einen Ansatz, der die Interessen aller Beteiligten ernst nimmt und berücksichtigt, um eine langfristig für alle Seiten tragfähige Lösung zu ermöglichen.“
Weitaus seltener als direkt auf Menschen zurückzuführende Todesursachen sind natürliche Ursachen für den Tod der Wölfe, die im Leibniz-IZW untersucht werden. Unter den natürlichen Todesursachen finden sich in einem guten Drittel der Fälle Kämpfe mit anderen Wölfen, Magen-Darm-Rupturen (durch spitze Knochenfragmente aus der Nahrung), körperliche Auszehrungen oft in Verbindung mit Räudemilben-Infektionen, aber auch Infektionen mit Staupeviren, Parvoviren oder Adenoviren sowie Einzelfälle von Yersinien-, Listerien- und Rotlaufinfektionen. Oftmals werden auch Co-Infektionen verschiedener Erreger festgestellt. Erreger wie die Aujeszkysche Krankheit und Tollwut wurden hingegen bisher nicht nachgewiesen. Deutschland gilt zudem seit 2008 als frei von Tollwut. In Einzelfällen starben Wölfe auch an Verletzungen, die ihnen von ihren potenziellen Beutetieren, etwa von Wildschweinen, zugefügt wurden.
Die tote, trächtige Wölfin aus dem Leibniz-IZW gewährte noch einen weiteren Einblick: In ihrem Magen fand das Team eine trächtige Nutria (Myocastor coypus), eine ursprünglich aus Südamerika stammende, invasive Nagetierart. Dies zeige, dass die Wölfe hinsichtlich ihrer Nahrung eine gewisse Flexibilität aufweisen und zum Teil auch dazu beitragen, in die Bestände invasiver Arten einzugreifen. Die mit Abstand häufigste Nahrung sind jedoch heimische Rehe, Wildschweine, Rothirsche und Damhirsche, die über 90 Prozent ihrer Beute ausmachen, wie Nahrungsanalysen am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (SMNG) ergeben haben. Am SMNG werden die Ernährungsgewohnheiten der Wölfe anhand von Kotanalysen und der Untersuchung von Beutetierresten erforscht und das Alter von Wölfen anhand von Schädelmerkmalen bestimmt.
„Unter der Nahrung der Wölfe befinden sich jedoch auch Nutztiere, in erster Linie Schafe oder Ziegen“, so Hofer. „Auch wenn dies mit 1,6 Prozent der Nahrung Ausnahmefälle sind, lässt sich ein Konflikt mit der Weidetierhaltung nicht wegdiskutieren und es müssen echte Lösungen gefunden werden. Im Leibniz-IZW haben wir in anderen Kontexten, beispielsweise im Konflikt zwischen Geparden und Rinderfarmern in Namibia, gelernt, wie wichtig dabei ein integrativer, kollaborativer Ansatz in der Lösungsfindung ist. Auf Basis wissenschaftlicher Daten und Erkenntnisse ist es dort gelungen, eine gemeinsame Perspektive mit den Beteiligten auf den Raubtier-Weidetierhalter-Konflikt zu entwickeln und alle Interessen zu berücksichtigen. Das muss auch hier in Deutschland mit dem Wolf gelingen.“
Das Leibniz-IZW ist mit der Erfassung des Gesundheitsstatus und der Analyse der Todesursachen der tot aufgefundenen Wölfe beauftragt und liefert Informationen zum eventuellen Auftreten relevanter Krankheiten wie Tollwut, Räude oder Staupe. Liegt eine illegale Tötung von Wölfen vor, übermittelt das Leibniz-IZW forensische Daten an Polizei und Staatsanwaltschaften, die Auskünfte zu den Todesursachen obliegt dabei stets den zuständigen Stellen in den Bundesländern. „Idealerweise werden die Tiere frisch und nicht gefroren an das Leibniz-IZW geliefert. Als erstes wird jeder Wolf mit unserem Forschungs-Computertomographen untersucht, um berührungsfrei erste genaue Aufschlüsse zu möglichen Verletzungen oder Fremdkörpern zu erhalten. Danach erfolgt eine Sicherung forensischer Spuren inklusive der Fotodokumentation und Vermessung des Tierkörpers“, erklärt Szentiks. Bei der anschließenden Sektion werden Proben für weiterführende Untersuchungen in der Histologie und Mikrobiologie entnommen. Nach Abschluss der Sektion erfolgt eine erste Befundübermittlung an den Einsender und die zuständige Behörde. Die Tierkörper der Wölfe werden nach der Sektion zur weiteren Forschung und Lehre an die zuständigen Bundesländer zurückgeführt.
Seit 2016 erfolgt das Totfundmonitoring des Leibniz-IZW im Rahmen des Projektes „Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW)“. Zum eng zusammenarbeitenden wissenschaftlichen Konsortium der DBBW gehören neben dem Leibniz-IZW das Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (SMNG), das LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung sowie das Zentrum für Wildtiergenetik am Senckenberg Forschungsinstitut, Standort Gelnhausen, welches als Referenzzentrum für Wolfsgenetik fungiert. Von jedem toten Wolf wird eine Genetikprobe im Zentrum für Wildtiergenetik untersucht, um die Identität und Herkunft des Tieres abzuklären. Das LUPUS Institut berät die Naturschutzbehörden von Bund und Ländern zu allen wolfsrelevanten Themen und stellt die Monitoringdaten der Bundesländer auf nationaler Ebene zusammen. Das SMNG koordiniert die Zusammenarbeit der DBBW und führt Kot- und Mageninhaltsuntersuchungen zur Nahrungsanalyse sowie kraniologische Untersuchungen (Schädelanalysen) toter Wölfe durch. Die Ergebnisse der Totfund- und der genetischen Analysen werden auf der DBBW-Webseite (https://www.dbb-wolf.de/Totfunde) und in den jährlichen Statusberichten zum Wolf in Deutschland veröffentlicht (https://www.dbb-wolf.de/mehr/literatur-download/statusberichte).
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Alfred-Kowalke-Str. 17, 10315 Berlin, Deutschland
_ Prof. Dr. Heribert Hofer
Direktor des Leibniz-IZW
Telefon: +49 (0)30 5168100
E-Mail: direktor@izw-berlin.de
_ Dr. Claudia Szentiks
Pathologin in der Abteilung für Wildtierkrankheiten
Telefon: +49(0)30 5168213
E-Mail: szentiks@izw-berlin.de