Warum wird unser Gehirn im Alter anfälliger für neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer?
Wissenschaftler*innen der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des „Scripps Research Institute“ in Kalifornien, USA, erforschen in einem gemeinsamen Projekt die Rolle winziger Moleküle, sogenannter microRNAs, die bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer eine entscheidende Funktion übernehmen. Ziel ist es, neue Ansätze zur Früherkennung und Behandlung dieser Erkrankungen zu finden. Das Forschungsvorhaben wird von der US-amerikanischen Chan Zuckerberg Initiative gefördert.
Je älter die Menschen werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Hirnerkrankungen wie zum Beispiel Parkinson oder Alzheimer entwickeln. Diese Erkrankungen sind durch den Untergang von Nervenzellen gekennzeichnet und werden somit auch als neurodegenerative Erkrankung bezeichnet. Bisher ist jedoch unklar, welche Faktoren für das Absterben der Nervenzellen verantwortlich sind.
Eiweiße, auch Proteine genannt, sorgen dafür, dass die menschlichen Zellen funktionieren und lebensfähig sind. Hierzu müssen die Proteine zum richtigen Zeitpunkt in entsprechender Menge gebildet und korrekt gefaltet werden, um ihre Funktion ausüben zu können. Nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt haben, werden sie abgebaut und bei Bedarf neue Proteine gebildet. Dieser Prozess von der Bildung bis zum Abbau sowie das Zusammenspiel der einzelnen Proteine untereinander ist ein dynamischer Prozess, der mit zunehmendem Alter fehleranfälliger wird.
Ein Team von Forschenden um Dr. Eugenio F. Fornasiero, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Neuro- und Sinnesphysiologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), konnte in Kooperation mit Ass. Prof. Dr. Giordano Lippi, Assoziierter Professor in der Abteilung Neurowissenschaften am „Scripps Research Institute“, USA, bereits in vorangegangenen Studien im Tiermodell zeigen, dass einige Proteine, die mit neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung stehen, im gealterten Gehirn nicht mehr so effizient ausgetauscht werden. Dieser mangelnde Austausch erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Anreicherung der Proteine in den Nervenzellen des Gehirns und mögliche Schäden auf molekularer Ebene. Dies passiert bereits, bevor die Krankheit in Erscheinung tritt. Da die Proteinmengen im Gehirn aber unverändert bleiben, müssen Mechanismen eine Rolle spielen, die mit einer gestörten Bildung, Faltung oder einem unzureichenden Abbau der Proteine in Zusammenhang stehen. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass winzige Moleküle, sogenannte microRNAs (miRNAs), die Herstellung und den Abbau bestimmter Proteine steuern. Die miRNAs sind wahrscheinlich entscheidend am Erhalt des Proteingleichgewichts in den Nervenzellen beteiligt. In älteren Gehirnen scheinen insbesondere die durch miRNAs regulierten Proteinen unzureichend erneuert zu werden, welches an einer Fehlsteuerung der miRNAs liegen könnte. Wenn die miRNAs nicht richtig funktionieren, kann das Gehirn anfälliger für Krankheiten werden.
Die Wissenschaftler*innen wollen nun auf diesen Erkenntnissen aufbauen und in dem gemeinsamen Forschungsprojekt „A neurodegenerative duet: protein turnover and miRNAs“ (deutscher Titel: Ein neurodegeneratives Duett: Proteinumsatz und miRNAs) herausfinden, welche der miRNAs hauptsächlich an der Entstehung der Gehirnerkrankungen beteiligt sind. Die Labore von Dr. Fornasiero und Ass. Prof. Dr. Lippi haben hierzu eigens Instrumente entwickelt, um die miRNAs im Detail zu untersuchen und zu verstehen, wie sie den korrekten Austausch von Proteinen im Gehirn steuern. „Wir möchten mit diesen Untersuchungen mögliche Therapieansätze finden, um neurodegenerative Hirnerkrankungen frühzeitig zu erkennen und diese schneller behandeln oder vielleicht sogar verhindern zu können“, sagt Dr. Fornasiero. Das Projekt wird von der US-amerikanischen Chan Zuckerberg Initiative gefördert.
Der Forschungsschwerpunkt an der UMG liegt auf der Untersuchung der Proteinstabilität im lebenden Organismus. Hierzu werden aktuell Proben gesammelt, in denen die miRNA-Funktion sowohl in jungen als auch in alten Gehirnen gestört ist. Ziel ist es, die grundlegende Rolle von miRNAs bei der Regulierung des Gleichgewichts zwischen Proteinproduktion und -abbau im Gehirn zu verstehen. Zudem sollen die Untersuchungen Erkenntnisse liefern, wie eine miRNA-Fehlsteuerung die Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen begünstigt.
Chan Zuckerberg Initiative
Die Chan Zuckerberg Initiative (CZI) wurde 2015 von Mark Zuckerberg, ebenfalls Gründer, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer von Meta, und seiner Frau Priscilla Chan gegründet, um bei der Lösung einiger der größten gesellschaftlichen Herausforderungen zu helfen - von der Ausrottung von Krankheiten über die Verbesserung der Bildung bis hin zu den Bedürfnissen unserer lokalen Gemeinschaften. Ziel ist es, eine integrativere, gerechtere und gesündere Zukunft für alle zu schaffen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Institut für Neuro- und Sinnesphysiologie
Dr. Eugenio F. Fornasiero
Humboldtallee 23, 37073 Göttingen
Telefon 0551 / 39-67930
eugenio.fornasiero@med.uni-goettingen.de
Weitere Informationen:
http://fornasierolab.uni-goettingen.de - Fornasiero Lab