Nichtreziproke Wechselwirkungen werden nichtlinear
Raubtier-Beute-Analogie: Neue Wechselwirkung zwischen Teilchen ermöglicht
Mithilfe zweier optisch gefangener Nanokügelchen aus Glas beobachteten Forscher*innen eine neuartige, kollektive Nicht-Hermitesche und nichtlineare Dynamik, die durch nichtreziproke Wechselwirkungen getrieben wird. Dieser Beitrag erweitert die traditionelle optische Levitation mit Matrizen von optischen Pinzetten durch die Einbeziehung der sogenannten nicht-konservativen Wechselwirkungen. Ihre Ergebnisse, unterstützt durch ein analytisches Modell, das von Kolleg*innen der Universität Ulm und der Universität Duisburg-Essen entwickelt wurde, wurden kürzlich in Nature Physics veröffentlicht.
Fundamentale Kräfte wie Gravitation und Elektromagnetismus sind reziprok, was bedeutet, dass zwei Objekte sich entweder gegenseitig anziehen oder abstoßen. Bei einigen komplexeren Wechselwirkungen in der Natur ist diese Symmetrie jedoch gebrochen, und es existiert eine Art von Nichtreziprozität. Zum Beispiel ist die Interaktion zwischen einem Raubtier und seiner Beute von Natur aus nichtreziprok, da das Raubtier die Beute fangen will (von ihr angezogen wird), aber die Beute fliehen will (von ihm abgestoßen wird).
Nicht-Hermitesche Dynamiken beschreiben ähnliche, nichtreziproke Systeme in der Quantenmechanik, indem sie Dissipation, Verstärkung und nicht-konservative Wechselwirkungen miteinbeziehen. Diese Dynamiken werden in photonischen, atomaren, elektrischen und optomechanischen Plattformen beobachtet und bieten Potenzial für Sensorapplikationen, sowie die Erforschung offener Quantensysteme. Nun hat ein Team der Universität Wien erste konkrete Schritte in diese Richtung unternommen, indem sie nichtlineare und nicht-Hermitesche Dynamiken mit nichtreziprok gekoppelten Nanoteilchen beobachtet haben.
Tisch & Glas
Unter der Leitung von Uroš Delić des Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ) entwickelten die Forscher*innen ein Experiment auf einem optischen Tisch, bei dem zwei Nanokügelchen aus Glas in separaten optischen Fallen, auch optische Pinzetten genannt, schwingen und interagieren, als ob das eine ein Raubtier und das andere eine Beute wäre. Optische Pinzetten, eine Technik, die vom Nobelpreisträger 2018, Arthur Ashkin, entwickelt wurde, isolieren die Bewegung der Teilchen von der Umgebung und machen das System hochgradig regelbar. Frühere Experimente zeigten, dass nahe beieinander liegende Teilchen das Licht in ihren Fallen aufeinander streuen, was zu Interferenzen führt, die optische Kräfte erzeugen, welche nichtreziprok sein können.
In dieser Studie verändern die Forscher*innen die Phasen der Laserstrahlen sowie den Abstand zwischen den Teilchen, um die Wechselwirkungen zu kontrollieren. "Was mir daran am meisten gefällt, ist, dass wir das physikalische Modell mit einem Computer kontrollieren können, es ist so einfach wie ein Computerspiel zu programmieren", sagt Manuel Reisenbauer, ein Doktorand im Team. Dadurch erzeugten sie konstruktive Interferenz um ein Teilchen und destruktive Interferenz um das andere. Dies führte zu einer positiven Rückkopplungsschleife, die einer Verfolgungs-Flucht-Dynamik ähnelt. "Eine kleine Verschiebung eines Teilchens erzeugt eine Kraft, die das andere zur Bewegung zwingt, was wiederum eine noch stärkere Kraft ausübt", erklärt Uroš Delić, Hauptautor der Arbeit.
Das Team beschrieb die Bewegung der Teilchen in ihren jeweiligen Fallen ohne Wechselwirkung als analog zu einer Schaukel. Als nichtreziproke Wechselwirkungen angewendet wurden, begannen die "Schaukeln", einander zu folgen, wodurch die Paritäts-Zeit-Umkehrsymmetrie gebrochen wurde. Der einfachste Weg, dies zu erkennen, besteht darin, den "Film" rückwärts abzuspielen: Unter Verwendung der Raubtier-Beute-Analogie scheint es dann, als würden die Teilchen die Rollen tauschen.
Verstärkte Amplitude
Die positive Rückkopplungsschleife durch die nichtreziproke Wechselwirkung verstärkte auch die Schwingungsamplituden beider Teilchen. Als die Wechselwirkung stärker als die Reibung wurde, schwangen die Teilchen kontinuierlich und hielten eine konstante Schwingungsamplitude aufrecht, was die Anwesenheit nichtlinearer Dynamiken demonstriert. "Dieses System ist besonders, weil es nichtreziproke und nichtlineare Kräfte aufweist, ähnlich wie viele Beispiele in der Natur", sagt Benjamin Stickler von der Universität Ulm, der leitende Theoretiker der Arbeit. "Die Dynamik führte zu einer Grenzzyklus-Phase, in der die Teilchenbewegungen Schaukeln ähneln, die sich vollständig um die obere Stange drehen und dabei immer noch einander folgen." Die Grenzzykluslösung ist ein allgemeines Konzept, das in vielen Disziplinen zu finden ist, einschließlich der Laserphysik, somit werden Analogien zwischen nanomechanischer Bewegung und Laserdynamik gezogen.
"Wir waren beeindruckt von der guten Übereinstimmung zwischen dem theoretischen Modell und den experimentellen Daten", sagt Uroš Delić. "Dies deutet darauf hin, dass unser System ideal dafür ist, noch reichhaltigere, kollektive nichtreziproke Dynamiken zu beobachten, wenn größere Ensembles von Kügelchen gefangen werden." Die Autor*innen glauben, dass nichtreziproke Kräfte zahlreiche Anwendungen in der Kraft- und Drehmomentsensorik haben werden. Darüber hinaus könnte die Kombination dieser Ergebnisse mit Methoden, welche die Bewegung der gefangenen Kügelchen in das Quantenregime bringen, neue Forschungen zu nichtreziprok wechselwirkenden Quanten-Mehrkörpersystemen eröffnen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Uros Delic, BSc MSc
Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation, Universität Wien
1090 Wien, Währinger Straße 38-42
T +43-1-4277-72532
uros.delic@univie.ac.at
www.univie.ac.at
Originalpublikation:
Manuel Reisenbauer, Henning Rudolph, Livia Egyed, Klaus Hornberger, Murad Abuzarli, Benjamin A. Stickler, and Uroš Delić
"Non-Hermitian dynamics and non-reciprocity of optically coupled nanoparticles". Nature Physics.
DOI: 10.1038/s41567-024-02589-8
https://www.nature.com/articles/s41567-024-02589-8