Retrofit – damit eine Großpresse auch nach 20 Jahren nicht zum alten Eisen gehört
Sie bringen mit tonnenschweren Werkzeugen Blechteile präzise in Form: Großpressen werden beispielsweise bei Automobilherstellern zur Herstellung von Karosseriekomponenten eingesetzt, oft über Jahrzehnte hinweg. Auch wenn ein Modell abgelöst wird, die Presse bleibt. Sie fertigt nach dem Modellwechsel mit neuen Werkzeugen Bauteile für das Nachfolgemodell. Doch auch die beste Presse kommt einmal in die Jahre. Dann sollte sie, wie nun am Fraunhofer IWU geschehen, mit hochmoderner Steuerungstechnik, einem neuen Ziehkissen und Technologien des intelligenten Datenmanagements für die nächsten Jahrzehnte fit gemacht werden.
(Retro-)Fit für neue Forschungsprojekte und regionale Partner
Dank umfangreicher Nachrüstung (engl. Retrofitting) steht die von der damaligen Umformtechnik ERFURT GmbH gemeinsam mit dem Fraunhofer IWU entwickelte hydraulische Großpresse EHP 1600 mit einer Nennpresskraft von 1600 Tonnen nun wieder für Forschungsprojekte zur Verfügung. Die Presse wird jedoch auch von regionalen Partnern des Chemnitzer Forschungsinstituts in enger Zusammenarbeit mit den IWU-Forschern für komplexe Aufgabenstellungen an Umformwerkzeugen genutzt. Mit der Chemnitzer Try-out-Presse können unterschiedliche Pressencharakteristika und damit auch die Performance der Serienpresse flexibel abgebildet werden, was den Aufwand zum Beispiel beim Einarbeitungsprozess von Umformwerkzeugen erheblich reduziert. Dafür erforderliche manuelle Arbeitsschritte wie Tuschieren, Polieren oder Schleifen können nach neuestem Stand der Technik jetzt auch mit Unterstützung von Robotik direkt in der Presse im aufgespannten Zustand erfolgen.
Industrie-4.0-Algorithmen für intelligentes Datenmanagement
Für die Gewinnung von Prozessdaten aus dem Umformprozess direkt an der Wirkstelle und ihre intelligente Nutzung hat das Fraunhofer IWU viel Kompetenz aufgebaut und die eigene Presse nun entsprechend nachgerüstet. Diese Daten sind einerseits für die Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) der Presse selbst von großem Interesse: Über die Zustandsdaten der Maschine lässt sich frühzeitig Wartungsbedarf am Werkzeug erkennen. Wartungsarbeiten können vorausschauend geplant und Ersatzteile rechtzeitig beschafft werden.
Andererseits sind die Daten besonders für die Prozesssteuerung wertvoll. Mit ihrer Hilfe lassen sich beispielsweise qualitätsrelevante, technologische Prozess-Parameter überwachen und aktiv beeinflussen. Zeichnen sich etwa Veränderungen im Werkstoffverhalten oder in der Beölung ab, kann unmittelbar gegengesteuert werden, um dennoch gleichbleibende Qualität zu gewährleisten.
Durch dezentrale Sensoren wie dem smartNOTCH werden Prozessgrößen ebenfalls erfasst und mittels intelligenten Auswertungsalgorithmen für die Prozess- und Qualitätsüberwachung während des Umformvorganges verwendet – ohne den Umformprozess oder Maschineneigenschaften zu beeinträchtigen. Die kleinen Sensoren können mit einem Handgriff direkt in die T-Nuten von Pressentisch und Pressenstößel installiert werden und sind in unterschiedlichen Baugrößen verfügbar. Somit wird es möglich, an mehreren Stellen direkt an der Schnittstelle zwischen Presse und Werkzeug Informationen inline und robust zu sammeln. Die Sensoren helfen, auch Werkzeugverschleiß wie Anhaftungen oder Abrieb über die vom Soll-Wert abweichenden Belastungszustände festzustellen. In Verbindung mit einer intelligenten Prozessführung wird es möglich, jedes Bauteil mit einem individuell angepassten Satz von Prozessparametern zu fertigen; kleine Abweichungen »lernt« die Presse eigenständig auszugleichen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Frank Schieck
Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU
Reichenhainer Straße 88, 09126 Chemnitz
Telefon +49 371 5397-1202
Originalpublikation:
https://www.iwu.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2024-Retrofit-Damit-eine-Grosspresse-auch-nach-20-Jahren-nicht-zum-alten-Eisen-gehoert.html