Nähe zu Gleichgesinnten, Distanz zu Andersdenkenden – Forschungsteam untersucht Phänomen der affektiven Polarisierung
Neue Einstein Research Unit „Coping with Affective Polarization“ der Berlin University Alliance erforscht Zusammenhänge zwischen Polarisierung, sozialem Zusammenhalt und Demokratie
Mit rund vier Millionen Euro fördern die Berlin University Alliance (BUA) und die Einstein Stiftung Berlin ein neues wissenschaftliches Verbundprojekt als Einstein Research Unit. Forscher*innen der Humboldt-Universität zu Berlin werden darin gemeinsam mit Forschenden der Freien Universität Berlin (FU), der Charité-Universitätsmedizin und weiteren beteiligten Partner*innen aus Deutschland, den USA, Großbritannien, Italien und den Niederlanden das Phänomen der affektiven Polarisierung untersuchen. Dabei geht es auch um die Frage, wie sozialer Zusammenhalt die schwerwiegenden Folgen der Polarisierung auffangen kann und wie sich das auf die Demokratie auswirkt.
Negative Folgen von gesellschaftlicher Polarisierung bewältigen
Gleichgesinnten fühlen wir uns nah, zu Andersdenkenden gehen wir auf Distanz. Dieses Phänomen wird als „affektive“ oder „gruppenbezogene“ Polarisierung“ bezeichnet. Für Gruppen und Parteien, die die eigenen Überzeugungen und Werte verkörpern, hegen Menschen große Sympathien, während sie gegenüber Gruppen mit anderen Überzeugungen starke Antipathien entwickeln. Dieser Mechanismus kann Kooperationen und Kompromisse verhindern, Intoleranz fördern und sogar Hassrede und Gewalt befeuern. Wie gehen wir als Gesellschaft mit dieser Form der Polarisierung um und wie können wir die negativen Folgen begrenzen? Diesen Fragen wird das Forschungsteam der Einstein Research Unit „Coping with Affective Polarization“ auf den Grund gehen.
„Der soziale Zusammenhalt ist eine wichtige Ressource von Gesellschaften, um mit affektiver Polarisierung konstruktiv umzugehen und ihre negativen Folgen zu bewältigen“, erklärt Jule Specht, Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Sprecherin des Forschungsverbunds. „Wie diese Mechanismen im Detail funktionieren und welche Bewältigungsstrategien wir daraus ableiten können, werden wir umfassend empirisch untersuchen und dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden kombinieren.“
Der Berliner Polarisierungsmonitor – Seismograf für gesellschaftliche Konflikte
Zu diesen Untersuchungsmethoden zählt etwa der „Berliner Polarisierungsmonitor“, den die Forschenden im Projekt entwickeln und etablieren möchten. Dafür werden 1000 Berliner*innen und 4000 weitere Bewohner*innen aus anderen Teilen Deutschlands in regelmäßigen Abständen befragt. Ziel ist es, Themen zu identifizieren, die bereits heute polarisieren oder möglicherweise in Zukunft zu gesellschaftlichen Konflikten führen. Mit dem Instrument können die Forschenden außerdem beobachten, wie sich die Polarisierung im Zeitverlauf entwickelt und verändert.
Der Berliner Polarisierungsmonitor soll den Grad der Polarisierung sowie die damit verbundenen Emotionen für eine Vielzahl von Themen messen und damit eine Art gesellschaftlicher Seismograf sein. Das gilt für lange bestehende Streitfragen wie auch für neuere Themen wie etwa den Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Immobilienkrise oder die Verkehrswende. Aus dem Polarisierungsmonitor und weiteren Untersuchungen sollen im Projekt individuelle, soziale und zivilgesellschaftliche Bewältigungsstrategien abgeleitet und verschiedene psychologische Interventionen entwickelt und getestet werden. Die Forschenden arbeiten dafür eng mit zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen zusammen, um die entwickelten Strategien in die praktische alltägliche Arbeit aufnehmen und so Brücken innerhalb der Zivilgesellschaft schlagen zu können.
Neuer Forschungsverbund baut auf früheren Kooperationen auf
Insgesamt sind 24 Forschende aus den Fächern Psychologie, Politikwissenschaft, Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Psychiatrie und Philosophie an dem Verbund beteiligt. Hinzu kommen Partner*innen aus zahlreichen gesellschaftlichen Initiativen und Vereinen wie dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, dem Aktionsbündnis Brandenburg gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus oder der Klima-Allianz Deutschland.
Der Forschungsverbund profitiert von bereits bestehenden Forschungskooperationen aus einer vorangegangenen Förderlinie der Grand-Challenge-Initiative „Social Cohesion“ der BUA. Seit 2020 haben viele der nun beteiligten Forschenden und Partnerorganisationen bereits wichtige Grundsteine für das neue Forschungsvorhaben gelegt, Netzwerke geknüpft und Forschungsergebnisse darüber gesammelt, wie sozialer Zusammenhalt funktioniert und weiterentwickelt wird.
Förderlinie Einstein Research Unit
Einstein Research Units sind mit Exzellenzmitteln geförderte interdisziplinäre Forschungsverbünde in strategisch wichtigen Forschungsfeldern. Forschende der vier BUA-Verbundpartnerinnen Freie Universität zu Berlin, Humboldt Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin und Charité-Universitätsmedizin können sich um eine Förderung bewerben. Die Einstein Stiftung Berlin begutachtet im Auftrag der BUA die eingereichten Anträge und gibt Förderempfehlungen. „Coping with Affective Polarization“ ist bereits die vierte Einstein Research Unit, die aus Mitteln der BUA gefördert wird. Die Förderdauer umfasst drei Jahre und kann um zwei Jahre verlängert werden.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jule Specht
Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Tel.: 030 2093 12710
jule.specht@hu-berlin.de