Tarifvertragliche Ausbildungsvergütungen: Zwischen 710 und 1.650 Euro im Monat
Aktuelle Untersuchung des WSI-Tarifarchivs:
Tarifvertragliche Ausbildungsvergütungen: Zwischen 710 und 1.650 Euro im Monat – Aufgrund des Fachkräftemangels kommt es in vielen Tarifbranchen zu überdurchschnittlichen Erhöhungen
Bei den durch Tarifvertrag festgelegten Ausbildungsvergütungen bestehen je nach Branche, Region und Ausbildungsjahr sehr große Unterschiede.
Die Spannbreite reicht von 710 Euro pro Monat im Friseurhandwerk von Nordrhein-Westfalen im ersten Ausbildungsjahr bis zu 1.650 Euro im westdeutschen Bauhauptgewerbe, mit denen Auszubildende im vierten Ausbildungsjahr vergütet werden (siehe auch Abbildung 1 sowie Tabelle 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Dies zeigt eine aktuelle Studie über 20 ausgewählte Tarifbranchen, die das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zum Beginn des neuen Ausbildungsjahres 2024 vorlegt.*
- Ausbildungsvergütungen steigen in vielen Tarifbranchen überdurchschnittlich -
„Dass in vielen Tarifbranchen die tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen deutlich stärker als die Löhne ansteigen, lässt sich bereits seit einigen Jahren beobachten“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. „Auch im Ausbildungsjahr 2023/2024 hat sich dieser Trend weiter fortgesetzt. Tarifbranchen, in denen weniger als 1.000 Euro im Monat gezahlt wird, werden angesichts des bestehenden Fachkräftemangels immer weniger.“
„Eine angemessene Ausbildungsvergütung ist wichtig, damit die berufliche Ausbildung attraktiv wird. Es ist kein Zufall, dass vor allem in Berufen mit einer sehr geringen Vergütung Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Die Klagen der Arbeitgeber*innen über mangelndes Interesse der Jugendlichen an einer Ausbildung sind nicht glaubwürdig, wenn gleichzeitig nur eine geringe Ausbildungsvergütung bezahlt wird, wie es zum Beispiel häufig im Handwerk der Fall ist. Insbesondere im Hinblick auf den Fachkräftemangel ist eine deutliche Erhöhung von Ausbildungsvergütungen somit die richtige Strategie.“
Die größten Zuwächse konnten mit jeweils 22,7 Prozent die tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen im ersten Ausbildungsjahr 2023/24 im ostdeutschen Bauhauptgewerbe sowie die baden-württembergische Textilindustrie erzielen (siehe auch Abbildung 2 in der pdf-Version). Ebenfalls um mehr als 20 Prozent angehoben wurden die Ausbildungsvergütungen in der ostdeutschen Süßwarenindustrie, dem brandenburgischen Einzelhandel und bei der Deutschen Bahn AG. In zehn Tarifbereichen stiegen die Ausbildungsvergütungen zwischen zehn und 20 Prozent und in weiteren neun Tarifbereichen zwischen fünf und zehn Prozent.
In einigen wenigen Tarifbereichen stiegen die Ausbildungsvergütungen weniger als die gesetzliche Mindestausbildungsvergütung, die um 4,7 Prozent angehoben wurde. Hierzu gehören das Private Transport und Verkehrsgewerbe (NRW) mit einer Erhöhung von 4,5 Prozent, die Landwirtschaft (Mecklenburg-Vorpommern) mit 3,9 Prozent, die Metall- und Elektroindustrie (Baden-Württemberg und Sachsen) mit 3,3 Prozent und das Gebäudereinigungshandwerk mit 2,9 Prozent.
Darüber hinaus gab es in vier Tarifbranchen seit Beginn des Ausbildungsjahres 2023 noch keine Erhöhung. Dazu zählen z.B. die Süßwarenindustrie von Nordrhein-Westfalen und die westdeutsche Floristik, die sich in laufenden oder bald beginnenden Tarifverhandlungen befinden. Im Öffentlichen Dienst der Länder ist hingegen bereits eine weitere Anhebung der Ausbildungsvergütungen für November 2024 vereinbart. Im Backhandwerk wie auch im bayerischen Gastgewerbe wurden zudem die Ausbildungsvergütungen vor Beginn des Ausbildungsjahres 2023 um mehr als 25 Prozent erhöht.
- Hohe Zuwächse bei den Ausbildungsvergütungen im Trend -
Die mittelfristige Dynamik der tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen zeigt sich in der Entwicklung der letzten fünf Jahre seit Beginn des Ausbildungsjahres 2019 (siehe auch Abbildung 3 in der pdf-Version). Während die Tarifentgelte für die Beschäftigten in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt um etwa 15 Prozent anstiegen sind, lag der Zuwachs der Ausbildungsvergütungen in den meisten der hier betrachteten Tarifbranchen deutlich darüber. Die höchsten Steigerungsraten gab es dabei im Backhandwerk, wo die Ausbildungsvergütungen im ersten Ausbildungsjahr seit 2019 um 52,2 Prozent zunahmen. In weiteren sieben Tarifbereichen stiegen die Ausbildungsvergütungen zwischen 40 und 50 Prozent. Mit Ausnahme der Süßwarenindustrie in Nordrhein-Westfalen handelt es sich hierbei ausschließlich um ostdeutsche Tarifbereiche, in denen teilweise nach wie vor überdurchschnittliche Erhöhungen notwendig waren, um die Ausbildungsvergütungen an das Westniveau anzupassen.
In zwölf Tarifbereichen stiegen die Ausbildungsvergütungen zwischen 30 und 40 und in weiteren sechs Tarifbereichen zwischen 20 und 30 Prozent. Lediglich in acht der hier untersuchten Tarifbereiche lag der Zuwachs bei den Ausbildungsvergütungen bei weniger als 15 Prozent und damit unterhalb der Entwicklung der Tarifentgelte. Das Schlusslicht bildet die Metall- und Elektroindustrie mit einer Erhöhung der Ausbildungsvergütungen von lediglich 8,6 Prozent (Sachsen) bzw. 8,7 Prozent (Baden-Württemberg). Vor diesem Hintergrund fordert die IG Metall für die im Herbst 2024 startenden Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie eine überdurchschnittlich hohe Anhebung der Ausbildungsvergütungen von 170 Euro pro Monat.
- Große Niveauunterschiede bei den Ausbildungsvergütungen nach Branche und Region -
Die Ausbildungsvergütungen werden normalerweise im Rahmen der regulären Tarifverhandlungen zusammen mit den Löhnen der Beschäftigten verhandelt. Neben den ökonomischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Branche werden sie auch durch die Verhandlungsposition der jeweiligen Gewerkschaft beeinflusst, die von Branche zu Branche und von Region zu Region sehr unterschiedlich sein kann.
Die Unterschiede bei den tarifvertraglichen Ausbildungsvergütungen zeigen sich bereits im ersten Ausbildungsjahr. In zwölf der 20 untersuchten Tarifbranchen liegen die Vergütungen mittlerweile oberhalb von 1.000 Euro pro Monat. Hinzu kommen zwei weitere Branchen, in denen zumindest die westdeutschen Ausbildungsvergütungen die 1.000-Euro-Marke überschritten haben. In sechs Tarifbranchen liegen die Vergütungen hingegen nach wir vor unterhalb von 1.000 Euro.
Die höchsten monatlichen Ausbildungsvergütungen mit Beträgen oberhalb von 1.200 Euro werden im ersten Ausbildungsjahr in folgenden Branchen gezahlt:
• Pflegeberufe im Tarifbereich des Öffentlichen Dienstes (Bund und Kommunen) mit 1.341 Euro
• Privates Bankgewerbe mit bundeseinheitlich 1.300 Euro
• Textilindustrie in Baden-Württemberg mit 1.245 Euro
• Pflegeberufe im Tarifbereich des Öffentlichen Dienstes (Länder) bundeseinheitlich mit 1.231 Euro (ab 01.11.2024 1.331 Euro)
• Deutsche Bahn AG mit bundeseinheitlich 1.225 Euro
• Öffentlicher Dienst (Bund und Kommunen) mit bundeseinheitlich 1.218 Euro
• Versicherungsgewerbe mit bundeseinheitlich 1.205 Euro.
Zu den Tarifbranchen mit niedrigen Ausbildungsvergütungen von unter 900 Euro gehören die Landwirtschaft (Mecklenburg-Vorpommern: 873 Euro, Nordrhein: 830 Euro), das Backhandwerk (860 Euro) und die westdeutsche Floristik (800 Euro). Das Schlusslicht bei den hier untersuchten Tarifbranchen bildet mit einer Ausbildungsvergütung von 710 Euro das Friseurhandwerk von Nordrhein-Westfalen. Letztere liegt dabei jedoch noch deutlich oberhalb der Mindestausbildungsvergütung, die lediglich 649 Euro beträgt.
In lediglich sieben der vom WSI untersuchten Tarifbranchen existieren bundesweit einheitliche Ausbildungsvergütungen, darunter das Backhandwerk, das Private Bankgewerbe, die Druckindustrie, die Deutsche Bahn AG, das Gebäudereinigungshandwerk, der Öffentliche Dienst und das Versicherungsgewerbe.
In elf Tarifbranchen bestehen hingegen teilweise nach wie vor Unterschiede im Niveau der Ausbildungsvergütungen zwischen den west- und ostdeutschen Tarifgebieten. In der chemischen Industrie und der Metall- und Elektroindustrie liegen die ostdeutschen Ausbildungsvergütungen mit Beträgen von elf bzw. 33 Euro pro Monat dabei nur relativ geringfügig unterhalb des hier berücksichtigten westdeutschen Tarifbezirks, wobei auch innerhalb Westdeutschlands regionale Unterschiede bestehen. Die größten Ost-West-Unterschiede existieren mit 245 Euro in der Textilindustrie, 100 Euro im Gastgewerbe und 89 Euro im Kfz-Handwerk. In der ostdeutschen Süßwarenindustrie werden im September 2024 76 Euro pro Monat mehr an Ausbildungsvergütung als in der Süßwarenindustrie Nordrhein-Westfalens gezahlt. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass die laufenden Tarifverhandlungen im Herbst 2024 diesen Abstand wieder ausgleichen werden.
Die erheblichen Unterschiede zwischen den Branchen setzen sich auch im zweiten und dritten Ausbildungsjahr fort (siehe Tabelle 1). So variieren die Ausbildungsvergütungen im zweiten Ausbildungsjahr zwischen 830 Euro, die im Friseurhandwerk in Nordrhein-Westfalen gezahlt werden, und 1.402 Euro für die Auszubildenden in der Pflege bei Bund und Kommunen.
Im dritten Ausbildungsjahr liegen die Unterschiede zwischen 955 Euro im Friseurhandwerk von Nordrhein-Westfalen und 1.550 Euro für die Auszubildenden im westdeutschen Bauhauptgewerbe (Abbildung 3). Jenseits des Friseurhandwerks und der Landwirtschaft (Nordrhein) liegen im dritten Ausbildungsjahr mittlerweile alle Ausbildungsvergütungen oberhalb von 1.000 Euro.
In elf der hier ausgewerteten Branchen existiert darüber hinaus auch noch ein viertes Ausbildungsjahr. Die höchste Ausbildungsvergütung wird dann mit 1.650 Euro im Monat im westdeutschen Bauhauptgewerbe gezahlt.
- Reichweite der Tarifverträge für die Ausbildungsvergütungen -
Trotz einer rückläufigen Tarifbindung werden die Ausbildungsvergütungen in Deutschland nach wie vor in erster Linie durch Tarifverträge festgelegt. Zum einen liegt der Anteil der Auszubildenden in tarifgebunden Unternehmen mit 55 Prozent immer noch etwas höher als bei den Beschäftigten insgesamt, was auch damit zusammenhängt, dass tarifgebundene Unternehmen eine höhere Ausbildungsbereitschaft haben. Nach dem Berufsbildungsgesetz müssen jedoch auch nicht-tarifgebundene Unternehmen existierende Tarifverträge als Orientierung berücksichtigen und dürfen nicht mehr als 20 Prozent von diesen nach unten abweichen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Thorsten Schulten
Leiter WSI-Tarifarchiv
Tel.: 0211-7778-239
E-Mail: Thorsten-Schulten@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
Originalpublikation:
* Thorsten Schulten, Serife Erol und das WSI-Tarifarchiv, Tarifvertragliche Ausbildungsvergütungen 2024, Eine Auswertung von 20 ausgewählten Tarifbranchen, WSI-Tarifarchiv, Analysen zur Tarifpolitik Nr. 104, Düsseldorf. Download: https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008919
Die PM mit Abbildungen und Tabelle (pdf): https://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2024_07_31.pdf