Neuer Röntgenweltrekord: Blick in einen Computerchip auf 4 Nanometer genau
In Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne EPFL, der ETH Zürich und der University of Southern California haben Forschende am Paul Scherrer Institut PSI mit Röntgenstrahlen so genau wie nie zuvor in einen Computerchip geschaut. Mit einer Auflösung von 4 Nanometern markieren die Aufnahmen einen neuen Weltrekord. Die hochauflösenden dreidimensionalen Bilder, die mit diesem Verfahren erzeugt werden können, ermöglichen Fortschritte sowohl in der Informationstechnologie als auch in den Biowissenschaften. Über ihre Ergebnisse berichten die Forschenden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature.
Seit 2010 entwickeln Forschende des Labors für Makromoleküle und Bioimaging am PSI Mikroskopie-Methoden, um dreidimensionale Abbildungen im Nanometerbereich zu erzeugen. In ihrer aktuellen Forschungsarbeit, einer Kollaboration mit der EPFL, der ETHZ und der University of Southern California, sind ihnen dabei erstmals Aufnahmen hochmoderner Computerchips mit einer Auflösung von 4 Nanometern gelungen, also 4 millionstel Millimeter – das ist Weltrekord. Statt für Aufnahmen in diesem Grössenbereich auf derzeit unmöglich herzustellende Linsen zu setzen, nutzten die Forschenden sogenannte Ptychografie: ein Computerverfahren, das viele Einzelbilder zu einer hochauflösenden Abbildung vereint. Dank einer kürzeren Belichtungszeit und eines optimierten Algorithmus konnten sie ihren eigenen Weltrekord von 2017 deutlich übertreffen. Für ihre Experimente nutzten die Forschenden das Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS.
Zwischen konventioneller Röntgentomografie und Elektronenmikroskopie
Computerchips sind Wunderwerke der Technik. Heutzutage ist es möglich, mehr als 100 Millionen Transistoren pro Quadratmillimeter in modernste integrierte Schaltkreise zu packen – Tendenz steigend. In Reinräumen werden mit hochautomatisierten Optikanlagen die nanometergrossen Leiterbahnen in Silizium-Rohlinge geätzt. Schicht um Schicht wird auf- und wieder abgetragen, bis der fertige Chip, das Gehirn unserer Smartphones und Computer, herausgestanzt und verbaut werden kann. Was nach einer aufwendigen und komplizierten Produktion klingt, erweist sich in der Charakterisierung und Abbildung der erzeugten Strukturen als genauso schwierig.
Zwar erlauben Rasterelektronenmikroskope eine Auflösung von wenigen Nanometern und eignen sich daher gut, um die winzigen Transistoren und Metallverbindungen, aus denen die Schaltkreise bestehen, abzubilden. Allerdings lassen sich damit nur zweidimensionale Bilder der Oberfläche erzeugen. «Die Elektronen gelangen nicht tief genug ins Material», erklärt Mirko Holler, Physiker an der SLS. «Um daraus dreidimensionale Bilder zu rekonstruieren, muss der Chip schichtweise untersucht und dabei jede Schicht einzeln im Nanometerbereich abgetragen werden – ein sehr aufwendiges und heikles Verfahren, und der Chip wird dabei zerstört.»
Dreidimensionale und zerstörungsfreie Aufnahmen lassen sich jedoch mit Röntgentomografie erzeugen, denn Röntgenstrahlen können Materialien deutlich besser durchdringen. Dieses Verfahren funktioniert ähnlich wie bei einer Tomografieuntersuchung im Spital. Die Probe wird dabei gedreht und aus verschiedenen Winkeln mit Röntgenlicht durchleuchtet. Je nach Struktur der Probe wird die Strahlung unterschiedlich absorbiert und gestreut. Ein Detektor registriert das austretende Licht und ein Algorithmus rekonstruiert daraus das fertige 3-D-Bild. «Hier haben wir das Problem mit der Auflösung», erklärt Mirko Holler. «Es existieren derzeit keine Röntgenlinsen, die diese Strahlung für die Abbildung solch winziger Strukturen bündeln können.»
Ptychografie – die virtuelle Linse
Die Lösung nennt sich Ptychografie. Bei diesem Verfahren wird der Röntgenstrahl nicht im Nanometerbereich gebündelt, sondern die Probe wird im Nanometerbereich verschoben. «Unsere Probe wird so bewegt, dass der Strahl einem genau vorgegebenen Raster folgen kann – ähnlich einem Sieb. An jedem Rasterpunkt wird dann jeweils ein Streubild aufgenommen», erklärt der Physiker. Der Abstand zwischen den einzelnen Rasterpunkten ist kleiner als der Durchmesser des Strahls, so dass sich die abgebildeten Bereiche überlappen. So kann genug Information registriert werden, um das das Bild der Probe mithilfe eines Algorithmus hochauflösend zu rekonstruieren. Der Rekonstruktionsprozess ist quasi eine Art virtuelle Linse.
«Seit 2010 haben wir unseren Versuchsaufbau und die Positioniergenauigkeit der Proben stetig perfektioniert. 2017 gelang uns schliesslich die räumliche Abbildung eines Computerchips mit einer Auflösung von 15 Nanometern – ein erster Rekord», erinnert sich Holler. Trotz weiterer Optimierungen im Aufbau und im Algorithmus blieb die Auflösung in unserem Instrument seither konstant. «Wir verbesserten uns vielleicht noch um ein bis zwei Nanometer, aber danach war Schluss. Irgendetwas limitierte uns und wir mussten herausfinden, was das ist.»
Die Suche nach dem limitierenden Faktor
2021 begann schliesslich die aufwendige Suche mit einem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekt. Nebst Mirko Holler und Manuel Guizar-Sicairos, welche beide bereits am ersten Rekord beteiligt waren, stiess neu auch Tomas Aidukas hinzu. Der Physiker unterstützte das Team mit seinen programmiertechnischen Erfahrungen und entwickelte den neuen Algorithmus, der später zum Durchbruch verhalf.
Einen ersten Anhaltspunkt fanden die Forschenden, als sie die Belichtungszeit reduzierten – plötzlich waren die Beugungsbilder schärfer. Daraus liess sich folgern, dass womöglich der Röntgenstrahl nicht ebenmässig auf die Probe trifft, sondern eine winzige Bewegung vollführt – er wackelt. «Das ist analog zur Fotografie», erklärt Guizar-Sicairos. «Wollen Sie in der Nacht ein Bild aufnehmen, so wählen Sie wegen der Dunkelheit eine lange Belichtungszeit. Wenn Sie das ohne Stativ machen, überträgt sich Ihre Bewegung auf die Kamera und das Bild wird verschwommen.» Wählt man hingegen eine kurze Belichtungszeit, sodass das Licht schneller registriert wird, als wir uns bewegen, wird das Bild scharf. «Dann hat man jedoch das Problem, dass das Bild womöglich komplett schwarz oder verrauscht ist, weil in dieser kurzen Zeit fast kein Licht registriert werden kann.»
Ähnlich erging es den Forschenden. Zwar hatten sie nun scharfe Bilder, allerdings enthielten sie durch die kurze Belichtungszeit zu wenig Information, um den ganzen Computerchip zu rekonstruieren.
Kürzere Belichtungszeit und ein neuer Algorithmus
Um das Problem zu lösen, ergänzten die Forschenden ihr Set-up mit einem schnelleren Detektor, der ebenfalls am PSI entwickelt wurde. Damit nahmen sie pro Rasterpunkt viele Bilder mit einer kurzen Belichtungszeit auf. «Ein enormer Datenberg», ergänzt Aidukas. Wenn man die Einzelbilder summiert und übereinanderlegt, erhält man wieder das ursprüngliche, verschwommene Bild – äquivalent zur langen Belichtungszeit.
«Stellen Sie sich den Röntgenstrahl als einen Punkt auf der Probe vor. An diesem Punkt nehme ich nun ganz viele Einzelbilder auf», erklärt Aidukas. Da der Strahl wackelt, wird sich jedes Bild leicht verändern. «In manchen Bildern stimmt die Position des Strahls überein, in anderen weicht sie ab. Anhand dieser Veränderungen können wir die tatsächliche Position des Strahls verfolgen, die durch die unbekannten Schwingungen verursacht wird.» Als Nächstes gilt es, die Datenmenge zu reduzieren. «Unser Algorithmus vergleicht die Strahlpositionen der einzelnen Bilder. Wenn die Positionen übereinstimmen, kommen sie in dieselbe Gruppe und werden dort summiert.» Dieses Gruppieren erhöht den Informationsgehalt der niedrig belichteten Bilder. So gelingt es den Forschern, aus der kurzbelichteten Bilderflut ein scharfes Ergebnis mit hohem Lichtanteil zu rekonstruieren.
Beim neuartigen Ptychografieverfahren handelt es sich um einen grundlegenden Ansatz, welcher auch in vergleichbaren Forschungseinrichtungen eingesetzt werden kann. Das Verfahren ist nicht nur auf Computerchips begrenzt, sondern kann auch für andere Proben beispielsweise in den Material- oder Biowissenschaften eingesetzt werden.
Text: Paul Scherrer Institut PSI/Benjamin A. Senn
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Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2300 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 460 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Mirko Holler
Labor für Makromoleküle und Bioimaging
PSI Center for Photon Science
Paul Scherrer Institut PSI
+41 56 310 36 13
mirko.holler@psi.ch [Deutsch, Englisch]
Dr. Tomas Aidukas
Labor für Makromoleküle und Bioimaging
PSI Center for Photon Science
Paul Scherrer Institut PSI
+41 56 310 58 07
tomas.aidukas@psi.ch [Englisch]
Prof. Dr. Manuel Guizar-Sicairos,
Labor für Makromoleküle und Bioimaging
PSI Center for Photon Science
Paul Scherrer Institut PSI
+41 56 310 34 09
manuel.guizar-sicairos@psi.ch [Englisch, Spanisch]
Labor für Computergestützte Röntgenbildgebung
EPFL Lausanne, Institut für Physik, 1015 Lausanne, Schweiz
Originalpublikation:
High-performance 4 nm resolution X-ray tomography using burst ptychography
Tomas Aidukas, Nicholas W. Phillips, Ana Diaz, Emiliya Poghosyan, Elisabeth Müller, A.F.J. Levi, Gabriel Aeppli, Manuel Guizar-Sicairos, Mirko Holler
Nature, 31.07.2024
DOI: 10.1038/s41586-024-07615-6
Weitere Informationen:
https://i.psi.ch/4Vt – Medienmitteilung auf der Webseite des Paul Scherrer Instituts PSI