Grundwasservorräte in Südwesteuropa insgesamt stabiler als angenommen / Differenzierte Betrachtung jedoch notwendig
Grundwasser ist eine wichtige Ressource für Natur und Menschen. Der zunehmende Klimawandel und anthropogene Einflüsse können jedoch die Verfügbarkeit gefährden, vor allem in Südwesteuropa. Diese Gefährdung hat ein vom UFZ koordiniertes Forschungsteam genauer untersucht und die Daten von mehr als 12.000 Grundwasserbrunnen in Portugal, Spanien, Frankreich und Italien ausgewertet. Die überraschende Erkenntnis: Der Grundwasserspiegel sinkt nicht wie allgemein angenommen überall, sondern vielmehr vor allem in semi-ariden Regionen mit intensiver Landwirtschaft und häufigen Dürreperioden sowie in gemäßigten Regionen mit großen Städten.
„Die Meinung ist weit verbreitet, dass der Grundwasserspiegel überall in Südwesteuropa kontinuierlich sinkt. Eine genauere Untersuchung der Daten zeigt jedoch, dass die Situation komplexer ist“, sagt UFZ-Hydrologe Dr. Seifeddine Jomaa, korrespondierender Autor der Studie. So ergab die Auswertung der Hydrologen für die Jahre 1960 bis 2020, dass 68 Prozent der untersuchten Brunnen in den vergangenen drei Jahrzehnten stabile Werte aufwiesen. 20 Prozent der Brunnen zeigten steigende Pegelwerte in dem Zeitraum, bei lediglich 12 Prozent sanken sie. „Um Verallgemeinerungen zu vermeiden, bedarf es einer differenzierten und detaillierten Betrachtung der lokalen Grundwassersysteme“, sagt er.
Der genaue Blick auf das Datenmaterial zeigt nun, dass sich Brunnen mit stabilen Grundwasserpegeln vor allem in Regionen mit gemäßigtem Klima und ganzjährig hohen Niederschlägen wie zum Beispiel in Nordfrankreich befinden. „In diesen Regionen halten hohe Neubildungsraten den Grundwasserspiegel nahezu stabil“, sagt Rafael Chávez García Silva, Erstautor und ebenfalls Hydrologe am UFZ. In anderen Regionen wie etwa dem unteren Po-Einzugsgebiet bei Ravenna steigt der Grundwasserspiegel unter anderem infolge einer natürlichen Bodensenkung sogar an, sodass Oberflächenwasser abgeleitet und Grundwasser abgepumpt werden muss, um Überschwemmungen zu verhindern.
In semi-ariden Regionen wie zum Beispiel in Tarbes (Frankreich) und Medina del Campo (Spanien) finden sich dagegen vielerorts Grundwassermessstände, deren Pegel seit Jahrzehnten sinken. Dies ist zum einen auf die durch den Klimawandel bedingten geringeren Niederschläge und höheren Temperaturen zurückzuführen. Mitentscheidend ist zum anderen aber auch die intensive Landwirtschaft. „Diese vier Mittelmeerländer sind für einen großen Teil der Obst-, Gemüse- und Getreideproduktion in der EU verantwortlich“, sagt Seifeddine Jomaa. Das Grundwasser liefere zwischen 30 und 50 Prozent des Wassers, das für die Bewässerung in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Doch auch in Regionen mit gemäßigtem Klima fanden die Forscher Brunnen mit rückläufigen Grundwasserständen. Die Ursache dafür: Die Nähe zu Städten und Industriebetrieben. Rückläufig sind seit den 1960er Jahren zum Beispiel die Grundwasserpegel im Großraum von Städten wie Lyon, Nizza, Modena oder Bordeaux. In der neuntgrößten Stadt Frankreichs Bordeaux lässt sich die hohe Grundwassernutzung auf den zunehmenden Wasserverbrauch der Haushalte zurückführen. In der beliebten französischen Touristenstadt Béziers ist der Grundwasserspiegel aufgrund der verstärkten Entnahme von Trinkwasser für die Sommertouristen erheblich gesunken.
Während sich der Rückgang des Grundwassers in urbanen und industriell geprägten Regionen nicht so leicht stoppen lässt, fanden die Forscher in semi-ariden, landwirtschaftlich geprägten Regionen effektive Managementansätze. Deswegen konnten sich dort die Grundwasserstände erholen – wie etwa in La Mancha Oriental in Spanien. Bis in die 1990er Jahre sank der Grundwasserspiegel aufgrund der übermäßigen Bewässerung. „Infolgedessen trocknete beispielsweise der Fluss Júcar 1994 an einigen Abschnitten erstmals aus – ein dramatisches Ereignis, das Landwirte dazu bewog, eine lokale Wassernutzervereinigung zu gründen, die mit einer Kombination aus Monitoring, der Fernerkundung und individuellen Wassernutzungsplänen den Rückgang des Grundwasserstands stoppen wollte. Diese Maßnahmen waren effektiv und haben die Entwicklung des Grundwasserspiegels umgekehrt“, sagt J. Jaime Gómez-Hernández, Professor für Hydrogeologie an der Universitat Politècnica de València und Co-Autor der Studie.
Aus den Erfahrungen Südwesteuropas lassen sich auch Rückschlüsse für das Grundwassermanagement in Deutschland und anderen Regionen weltweit ziehen, denn auch da steigt der Grundwasserbedarf, und die Grundwasserneubildung leidet vielerorts aufgrund des Klimawandels. „Deutschland könnte von den Erfahrungen in Südwesteuropa profitieren, zum Beispiel wie Grundwasser optimal genutzt werden kann, welche Bewässerungsmethoden in der Landwirtschaft wirksam sind, wie sich Stakeholder stärker engagieren lassen und welche Fehler in Zukunft vermieden werden können“, sagt Seifeddine Jomaa. Denn eines sei in jedem Fall klar: Deutschland braucht einen vorausschauenden Ansatz für eine nachhaltige Grundwassernutzung.
Diese Forschungsarbeit wurde von den Projekten InTheMED und OurMED unterstützt, die Teil des PRIMA-Programms (Partnership for Research and Innovation in the Mediterranean Area) sind. PRIMA wird durch das EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 finanziert.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michael Rode
UFZ-Department Aquatische Ökosystemanalyse
michael.rode@ufz.de
Originalpublikation:
Rafael Chávez García Silva, Robert Reinecke, Nadim K. Copty, David A. Barry, Essam Heggy, David Labat, Pier Paolo Roggero, Dietrich Borchardt, Michael Rode, J. Jaime Gómez-Hernández, Seifeddine Jomaa: Multi-decadal groundwater observations reveal surprisingly stable levels in southwestern Europe, Communications Earth & Environment, https://doi.org/10.1038/s43247-024-01554-w