Kaum Unterschiede zwischen Geduldeten und vergleichbar Bleibeberechtigten bei Integration und Teilhabe
Zum Ende des Jahres 2023 lebten in Deutschland laut Ausländerzentralregister rund 119.000 geduldete Menschen, die im Zuge eines ablehnenden Asylbescheides ausreisepflichtig wurden. Das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) hat nun die Lebenssituation von Geduldeten mit der Situation Bleibeberechtigter, die den Geduldeten hinsichtlich Herkunft und soziodemografischer Merkmale ähnlich sind, verglichen: Mit Ausnahme der Wohnsituation sind nur geringe Unterschiede im Spracherwerb und der Arbeitsmarktintegration zwischen den beiden Gruppen feststellbar, wie die Kurzanalyse „Auswirkungen einer Duldung auf Lebenssituation und Lebenszufriedenheit“ zeigt.
Die Rechtsnorm der Duldung, mit der die Abschiebung Ausreisepflichtiger aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zeitlich befristet ausgesetzt wird, hat sich in den letzten Jahren weiter ausdifferenziert. Für Geduldete eröffnen sich Möglichkeiten zur Teilhabe erst mit zeitlicher Verzögerung und oft abhängig vom Ermessen der jeweils zuständigen Ausländerbehörde. Personen mit Bleibeberechtigung dagegen ist der Zugang zu Integrationskursen, Sozialleistungen und zum Arbeitsmarkt sofort möglich. „Bislang hat sich die quantitative Forschung kaum der Integration von Geduldeten und deren Lebenssituation gewidmet, weshalb wenig über die Auswirkungen der verzögerten Teilhabechancen von Geduldeten bekannt ist“, so Randy Stache, wissenschaftlicher Mitarbeiter im BAMF-FZ. Damit beschäftigt sich die heute erschienene Kurzanalyse des BAMF-FZ und nimmt insbesondere die Arbeitsmarktbeteiligung, den Spracherwerb, die Wohnsituation sowie das subjektive Wohlbefinden der Geduldeten unter die Lupe.
Als Datengrundlage nutzt die Kurzanalyse die Daten der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten aus den Befragungswellen 2016 bis 2020. Dabei handelt es sich um jährlich wiederholende, bundesweite und repräsentative Befragungen von Asylantragstellenden unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens. Die Daten erlauben eine Analyse der Lebenssituation von Geduldeten im Vergleich zu Bleibeberechtigten, die den Geduldeten in Alter, Geschlecht, Bildung, Deutschkenntnissen sowie ihrer sozialen Position im Herkunftsland ähnlich sind.
Mit einer Ausnahme sind Geduldete und vergleichbar Bleibeberechtigte ähnlich integriert
„Die Ergebnisse zeigen, dass die Lebenssituation von Geduldeten und vergleichbar Bleibeberechtigten hinsichtlich ihrer Teilhabechancen in vielen Aspekten ähnlich ist. Die Erwerbsstruktur unterscheidet sich zwischen beiden Gruppen kaum, hinsichtlich der Deutschkenntnisse entwickeln sich beide Gruppen zu Beginn ebenfalls recht ähnlich“, fasst der Studienautor Randy Stache die Ergebnisse zusammen. Erst nach mehreren Jahren des Aufenthaltes in Deutschland zeichnen sich für Bleibeberechtigte im Vergleich zu der Gruppe der Geduldeten bessere Deutschkenntnisse ab. Ein Grund dafür könnten die unterschiedlichen Wohnsituationen sein: Gegenüber Bleibeberechtigten ist der Anteil Geduldeter, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, etwa doppelt so hoch. In einer Gemeinschaftsunterbringung ergeben sich für Geduldete möglicherweise weniger informelle Sprachgelegenheiten. Kaum Unterschiede sind hingegen in der Arbeitsmarktintegration auszumachen: Eine Duldung führt, auch im Zeitverlauf, nur zu einer geringfügig schlechteren Erwerbssituation.
Geduldete haben ein geringeres Wohlbefinden als vergleichbar Bleibeberechtigte
Weitaus stärkere Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zeigen sich in der Lebenszufriedenheit und damit der subjektiven Bewertung der eigenen Lebenssituation. „Eine Duldung geht in erheblichem Maße mit Sorgen einher, nicht in Deutschland bleiben zu können. Mit über 80 Prozent ist der Anteil unter den Geduldeten, die sich entsprechende Sorgen machen, mehr als doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe der Bleibeberechtigten“, so Randy Stache. Geduldete fühlen sich in Deutschland weniger willkommen als Bleibeberechtigte und schätzen ihre Gesundheit schlechter ein. Unter anderem deswegen sind sie trotz ähnlicher Integration und Teilhabe mit ihrem Leben unzufriedener als die Vergleichsgruppe – eine Diskrepanz, die sich mit jedem Jahr in Deutschland verstärkt, trotz der Integrationsfortschritte im Bereich des Spracherwerbs und der Erwerbstätigkeit. Demgegenüber steigt die Lebenszufriedenheit für Bleibeberechtigte mit zunehmender Aufenthaltsdauer und steigender Teilhabe.
Ausblick: Auswirkungen des Chancen-Aufenthaltsrechts
Das zum 31.12.2022 eingeführte Chancen-Aufenthaltsrecht würdigt die Integrationsleistungen von Geflüchteten und ermöglicht geduldeten Personen, die mindestens fünf Jahre in Deutschland leben und straffrei sind, unter bestimmten Voraussetzungen eine zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Auch wenn die Befragungsdaten vor der Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts erhoben wurden, können die Ergebnisse erste Annahmen über die Auswirkungen dieser Regelung liefern: Zu erwarten ist, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht bei einem langfristigen Wechsel in einen regulären Aufenthalt zu einem schnelleren Verlassen von Gemeinschaftsunterkünften beiträgt, was sich durch häufigere Sprachgelegenheiten positiv auf die Entwicklung der Sprachkenntnisse auswirken dürfte. Zudem ist basierend auf den Analyse-Ergebnissen davon auszugehen, dass sich die subjektiv empfundene Lebenszufriedenheit mit einer aufenthaltsrechtlichen Perspektive deutlich verbessert.
Weitere Informationen:
Die BAMF-Kurzanalyse „Auswirkungen einer Duldung auf Lebenssituation und Lebenszufriedenheit“ finden Sie hier: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse3-2024-iab-bamf-soep-lebenssituation-zufriedenheit-duldung.html?nn=282388
Die BAMF-Kurzanalyse entstand im Projekt „Machbarkeitsstudie zu Im-/Mobilität ausreisepflichtiger Personen in Deutschland (MIMAP)“. Hier erfahren Sie mehr: https://www.bamf.de/SharedDocs/ProjekteReportagen/DE/Forschung/Migration/mimap.html?nn=283568
Weiterführende Informationen zum Projekt IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten:
https://www.bamf.de/SharedDocs/ProjekteReportagen/DE/Forschung/Integration/iab-bamf-soep-befragung-gefluechtete.html?nn=283560
Über das BAMF-Forschungszentrum:
Mit der Arbeit des 2005 gegründeten Forschungszentrums kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seiner gesetzlichen Aufgabe nach, wissenschaftliche Forschung zu Migrations- und Integrationsthemen zu betreiben. Das Forschungszentrum betrachtet das Migrationsgeschehen nach und von Deutschland und analysiert die Auswirkungen der Zuwanderung. Es begleitet Integrationsprozesse und trägt mit seinen Erkenntnissen entscheidend zur Weiterentwicklung von Integrationsmaßnahmen auf Bundesebene bei. Weitere Forschungsschwerpunkte sind u. a. Erwerbs- und Bildungsmigration, Fluchtmigration, Rückkehr und sicherheitsrelevante Aspekte der Zuwanderung. Damit leistet das BAMF-Forschungszentrum einen grundlegenden Beitrag zum Informationstransfer zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Weitere Informationen unter: https://www.bamf.de/DE/Themen/Forschung/forschung-node.html
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Randy Stache, Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Kontakt: https://www.bamf.de/SharedDocs/Struktur/Personen/DE/WissenschaftlicheMA/stache-randy-person.html?nn=870138
Originalpublikation:
Stache, R. (2024). Auswirkungen einer Duldung auf Lebenssituation und Lebenszufriedenheit (Kurzanalyse 03|2024). Nürnberg. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
https://doi.org/10.48570/bamf. fz.ka.03/2024.d.2024.duldung.1.0
Die BAMF-Kurzanalyse „Auswirkungen einer Duldung auf Lebenssituation und Lebenszufriedenheit“ finden Sie hier: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Kurzanalysen/kurzanalyse3-2024-iab-bamf-soep-lebenssituation-zufriedenheit-duldung.html?nn=282388