Fleisch
Wann wurden Tiere zu Dingen? Welche historisch gewachsene Logik steht hinter Fleischproduktion und Fleischkonsum? Antworten gibt der Sammelband "Fleischwissen. Zur Verdinglichung des Lebendigen in globalisierten Märkten", unlängst herausgegeben von Professor Dr. Gunther Hirschfelder, Professur für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg (UR), und einem Team von Wissenschaftler*innen aus Regensburg, Dortmund, Fulda, Bonn und Berlin. Die Publikation mit 24 Beiträgen von führenden Expert*innen aus Europa und den USA bündeln das komplexe Wissen um Fleisch und machen dieses Wissen für aktuelle gesellschaftliche Aushandlungsprozesse verfügbar.
Die Publikation markiert den Abschluss des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten und von Hirschfelder geleiteten Verbundprojekts „Verdinglichung des Lebendigen: Fleisch als Kulturgut“, das im Rahmen des BMBF-Calls „Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen“.Die Redaktion fragte bei Gunther Hirschfelder nach:
Essen Sie noch Fleisch, Herr Hirschfelder?
Ja, sogar gerne. Fleisch ist doch ein Lebensmittel mit einer langen und erfolgreichen Geschichte, das in der europäischen Esskultur fest verankert ist. Zudem ist es ja nicht unbedingt Aufgabe der Wissenschaft, sich zu positionieren. Vielmehr sollten wir ergebnisoffen Daten analysieren; und da sind meine persönlichen Verhaltensweisen nicht wichtig.
Sind Schlachthöfe der Inbegriff gesellschaftlicher Rücksichtslosigkeit?
Im 19. Jahrhundert durchlief die Fleischproduktion eine allmähliche Industrialisierung und wurde demokratisiert. Fleisch wurde bis dahin gerade in der Frühindustrialisierung eher von den Wohlhabenden gegessen, eher von Männern und eher von Jüngeren. Jetzt gab es das begehrte Fleisch für alle. Im Fokus standen bald weniger das Tier als vielmehr seine Verwertbarkeit und die Produkte, die es lieferte. Tiere wurden von Lebewesen zu Dingen. Im Zuge dieser Verdinglichung haben wir uns vom Fleisch entfremdet.
Warum essen wir lieber ein Veggie-"Schnitzel" als einen Gemüse-Bratling?
Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass tierische Produkte seit dem Beginn der Menschheit integrative Bestandteile der Ernährung bilden: Sie genossen hohes Ansehen. Fleisch war durchgängig und bis ins 20. Jahrhundert hinein Symbol für Wohlstand und Gesundheit.
Wie wurde Fleisch zur Krisenmetapher?
Zwar hatte es auch am Ende des 19. Jahrhunderts erste und leise Kritik am Verzehr von Tieren gegeben, aber erst die verstärkte Industrialisierung der Landwirtschaft seit den 1950-er Jahren ließ die Kritik neu aufflammen und lauter werden. Die Fernsehsendung „Ein Platz für Tiere“, die seit 1956 große Erfolge feierte, beflügelte diesen Trend ebenso wie der Bestseller „Stummer Frühling“, den die Biologin Rachel Carson 1962 vorgelegt hatte. Die negativen Umweltfolgen von Industrialisierung und Überkonsum wurden in der Folge immer stärker mit dem Fleischkonsum in Verbindung gebracht. So wurde der Verzehr von Tieren allmählich zum Symbol für die Zerstörung der Welt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Professor Dr. Gunther Hirschfelder, Vergleichende Kulturwissenschaft, Universität Regensburg, gunther.hirschfelder@ur.de
Originalpublikation:
Fleischwissen. Zur Verdinglichung des Lebendigen in globalisierten Märkten (Umwelt und Gesellschaft, Bd. 29), hrsg. von Gunther Hirschfelder, Lars Winterberg, René John, Jana Rückert-John und Corinna Schirmer. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2024, 519 Seiten, 69 Abbildungen, Hardcover, 70,00 € (D) / 72,00 € (A), ISBN: 978-3-525-30253-8.
Weitere Informationen:
https://www.uni-regensburg.de/newsroom/presse/mitteilungen/index.html?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=22409&cHash=4c0b19a61edaa8469192785d8c2f69df